Erinnerungen an ein Phantom werden wach
Vor 16 Jahren wurde Johann Mühlegg in Lahti Langlauf-Weltmeister über 50 Kilometer. Am Sonntag geht es dort wieder um den Titel.
LAHTI (sid) Wie Johann Mühlegg heute über alles denkt, weiß man nicht. Seit Jahren schweigt er. Und vielleicht will man es auch gar nicht wissen. Was er heute macht, ist zumindest halbwegs bekannt. Mit Immobilien handelt der gebürtige Allgäuer in Natal im Norden Brasiliens. Skilanglauf, das alte Leben, in dem er vor 16 Jahren in Lahti Weltmeister über 50 Kilometer wurde, ist weit weg. Mühlegg könnte eine Legende sein, stattdessen ist er ein Phantom.
„Johann hätte die Langlauf-Welt über Jahre beherrschen können“, sagt Ex-Bundestrainer Jochen Behle, als er über seinen alten Weggefährten spricht. An diesem Sonntag findet in Lahti wieder ein WM-Rennen über den klassischen Fünfziger statt. Niemand könnte es so dominieren wie 2001 Mühlegg, dessen Weg vom Jahrhunderttalent zum größten Dopingsünder Olympischer Winterspiele ebenso einzigartig bleiben wird.
„Er hat so viel Begabung mitgebracht, er hat so viel verbockt“, sagt Behle (56), der mit Mühlegg lief und ihn danach kurz betreute, als jener längst nicht mehr von dieser Welt war: „Er ist nicht der Hellste gewesen. Daran ist er schließlich gescheitert.“
Mühlegg, Jahrgang 1970, sei ein Arbeitsmonster gewesen, sagt Behle, „lief vormittags 60 Kilometer und wollte nachmittags dann richtig trainieren“. Im Verband verzieh man ihm manche Marotte, vor allem den latenten Hang zu Aberglaube und Übersinnlichem.
Das Unheil begann, als Mühlegg plötzlich nur noch in Begleitung seiner portugiesischen Putzkraft auftrat. Mühlegg sagte, sie sei ein Medium. Jene arbeitslose Münchner Reinemachkraft – Justina Agostinho bürgerlich, von Mühlegg nur „die Gnade“genannt – sei sein „Retter und Führer in allen Lebenslagen“. Durch sie spreche
Ex-Bundestrainer Jochen Behle
der „ewige Vater“zu ihm, und dieser habe mitgeteilt, dass Georg Zipfel ihn verflucht habe und ihm nach dem Leben trachte. Zipfel war nicht irgendwer, sondern Bundestrainer, die weitere Zusammenarbeit gestaltete sich schwierig. Mühlegg reiste fortan mit durch Gnaden-Hand geweihtem Wasser an. „Die Geschichte war sein Untergang“, sagt Behle.
Irgendwann war Mühlegg nicht mehr tragbar, der Bruch mit dem Deutschen Skiverband unausweichlich – 1998 kam der Rausschmiss, 1999 wechselte Mühlegg zum spanischen Verband. Von Verfolgungswahn zerfressen, Johann gegen den Rest der Welt, ein Besessener im Kampf gegen böse Mächte. Und wie er diesen führte! 2001 holte Mühlegg in Lahti WMGold – mit zwei Minuten Vorsprung. 2002 rannte er bei den Winterspielen in Salt Lake City alles in Grund und Boden. Sieg im Skiathlon, über 30 Kilometer, über 50 Kilometer – und Niederlage gegen die Dopingkontrolleure. „Das hätte er gar nicht müssen, so überlegen war er“, sagt Behle.
Mühlegg gab sich uneinsichtig. Auf die Frage, ob er wirklich gedopt habe, sagte er: „Ich warte die B-Probe ab.“Einer der größten olympischen Skandale endete mit dem Verlust der Goldmedaillen und zwei Jahren Sperre. Mühlegg war erledigt. 2006 taucht er ab, wird zum Phantom. Mal heißt es, Mühlegg verkaufe christliche Holzschnitzereien in Oberammergau, dann, er verdinge sich als Touren-Führer in Südtirol, schließlich, er sei Surf-Lehrer in Südamerika. Es wirkte wie die Jagd nach einem Nazi-Verbrecher.
Und so beteiligte sich auch die schwedische Zeitung „Expressen“an der Suche nach dem „meistgehassten Betrüger der Skiwelt“und spürte ihn 2014 in Natal auf. Es existiert ein 60-sekündiger VideoMitschnitt, wie Johann Mühlegg war den Reportern die vielleicht letzte öffentliche Erklärung seines Lebens abgibt. „Ich will über das, was gewesen ist, nicht sprechen“, sagt er: „Ich habe diese Welt für immer verlassen.“
„Er ist nicht der Hellste gewesen. Daran ist er schließlich gescheitert.“
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