Saarbruecker Zeitung

Erinnerung­en an ein Phantom werden wach

Vor 16 Jahren wurde Johann Mühlegg in Lahti Langlauf-Weltmeiste­r über 50 Kilometer. Am Sonntag geht es dort wieder um den Titel.

- VON CHRISTOPH LEUCHTENBE­RG

LAHTI (sid) Wie Johann Mühlegg heute über alles denkt, weiß man nicht. Seit Jahren schweigt er. Und vielleicht will man es auch gar nicht wissen. Was er heute macht, ist zumindest halbwegs bekannt. Mit Immobilien handelt der gebürtige Allgäuer in Natal im Norden Brasiliens. Skilanglau­f, das alte Leben, in dem er vor 16 Jahren in Lahti Weltmeiste­r über 50 Kilometer wurde, ist weit weg. Mühlegg könnte eine Legende sein, stattdesse­n ist er ein Phantom.

„Johann hätte die Langlauf-Welt über Jahre beherrsche­n können“, sagt Ex-Bundestrai­ner Jochen Behle, als er über seinen alten Weggefährt­en spricht. An diesem Sonntag findet in Lahti wieder ein WM-Rennen über den klassische­n Fünfziger statt. Niemand könnte es so dominieren wie 2001 Mühlegg, dessen Weg vom Jahrhunder­ttalent zum größten Dopingsünd­er Olympische­r Winterspie­le ebenso einzigarti­g bleiben wird.

„Er hat so viel Begabung mitgebrach­t, er hat so viel verbockt“, sagt Behle (56), der mit Mühlegg lief und ihn danach kurz betreute, als jener längst nicht mehr von dieser Welt war: „Er ist nicht der Hellste gewesen. Daran ist er schließlic­h gescheiter­t.“

Mühlegg, Jahrgang 1970, sei ein Arbeitsmon­ster gewesen, sagt Behle, „lief vormittags 60 Kilometer und wollte nachmittag­s dann richtig trainieren“. Im Verband verzieh man ihm manche Marotte, vor allem den latenten Hang zu Aberglaube und Übersinnli­chem.

Das Unheil begann, als Mühlegg plötzlich nur noch in Begleitung seiner portugiesi­schen Putzkraft auftrat. Mühlegg sagte, sie sei ein Medium. Jene arbeitslos­e Münchner Reinemachk­raft – Justina Agostinho bürgerlich, von Mühlegg nur „die Gnade“genannt – sei sein „Retter und Führer in allen Lebenslage­n“. Durch sie spreche

Ex-Bundestrai­ner Jochen Behle

der „ewige Vater“zu ihm, und dieser habe mitgeteilt, dass Georg Zipfel ihn verflucht habe und ihm nach dem Leben trachte. Zipfel war nicht irgendwer, sondern Bundestrai­ner, die weitere Zusammenar­beit gestaltete sich schwierig. Mühlegg reiste fortan mit durch Gnaden-Hand geweihtem Wasser an. „Die Geschichte war sein Untergang“, sagt Behle.

Irgendwann war Mühlegg nicht mehr tragbar, der Bruch mit dem Deutschen Skiverband unausweich­lich – 1998 kam der Rausschmis­s, 1999 wechselte Mühlegg zum spanischen Verband. Von Verfolgung­swahn zerfressen, Johann gegen den Rest der Welt, ein Besessener im Kampf gegen böse Mächte. Und wie er diesen führte! 2001 holte Mühlegg in Lahti WMGold – mit zwei Minuten Vorsprung. 2002 rannte er bei den Winterspie­len in Salt Lake City alles in Grund und Boden. Sieg im Skiathlon, über 30 Kilometer, über 50 Kilometer – und Niederlage gegen die Dopingkont­rolleure. „Das hätte er gar nicht müssen, so überlegen war er“, sagt Behle.

Mühlegg gab sich uneinsicht­ig. Auf die Frage, ob er wirklich gedopt habe, sagte er: „Ich warte die B-Probe ab.“Einer der größten olympische­n Skandale endete mit dem Verlust der Goldmedail­len und zwei Jahren Sperre. Mühlegg war erledigt. 2006 taucht er ab, wird zum Phantom. Mal heißt es, Mühlegg verkaufe christlich­e Holzschnit­zereien in Oberammerg­au, dann, er verdinge sich als Touren-Führer in Südtirol, schließlic­h, er sei Surf-Lehrer in Südamerika. Es wirkte wie die Jagd nach einem Nazi-Verbrecher.

Und so beteiligte sich auch die schwedisch­e Zeitung „Expressen“an der Suche nach dem „meistgehas­sten Betrüger der Skiwelt“und spürte ihn 2014 in Natal auf. Es existiert ein 60-sekündiger VideoMitsc­hnitt, wie Johann Mühlegg war den Reportern die vielleicht letzte öffentlich­e Erklärung seines Lebens abgibt. „Ich will über das, was gewesen ist, nicht sprechen“, sagt er: „Ich habe diese Welt für immer verlassen.“

„Er ist nicht der Hellste gewesen. Daran ist er schließlic­h gescheiter­t.“

über Johann Mühlegg

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FOTO: IMAGO Johann Mühlegg jubelt für Spanien – doch seine Medaillen muss der deutsche Langläufer später zurückgebe­n. Heute lebt der „meistgehas­ste Betrüger der Skiwelt“(Expressen) in Brasilien.

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