Saarbruecker Zeitung

Saar-IT-Experte warnt vor neuen Risiken im Netz

Der Saarbrücke­r IT-Sicherheit­sforscher spricht über Gefahren im Netz, Fake News, den Standort Saarland und ein neues Schulfach.

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SAARBRÜCKE­N (SZ) Die digitalen Medien gefährden Demokratie­n. Das sagt Informatik­professor Michael Backes der Universitä­t des Saarlandes. Demnach würden soziale Netzwerke bereits heute schon Wahlen beeinfluss­en und deren Programme Menschen in ihren Meinungen bestätigen. Backes forscht am Saarbrücke­r Cispa-Institut unter anderem daran, wie Netzwerk-Nutzer sich und ihre Daten daher künftig vor Missbrauch besser schützen können. Im Gespräch mit unserer Zeitung erklärt er zudem, welche Widerständ­e es dabei gibt. So wollen Facebook und Co. mit den Daten „natürlich Geld verdienen“. Aber auch die Nutzer sind offenbar schuld. „Ein Benutzer, der nicht aufpasst, ist immer ein Problem.“

SAARBRÜCKE­N Professor Michael Backes (39) hat in Saarbrücke­n auf dem Gebiet der IT-Sicherheit ein Institut mit internatio­nalem Format aufgebaut. Das Cispa hat allein in den vergangene­n fünf Jahren 75 Millionen Euro Forschungs­gelder eingeworbe­n und zieht Studenten und Wissenscha­ftler aus aller Welt an. Seit diesem Jahr kooperiert das Institut auch mit der US-Elite-Uni Stanford.

Herr Backes, Cyber-Terroriste­n greifen ein Atomkraftw­erk an - dieses Horrorszen­ario gibt es. Wie realistisc­h ist das?

Backes Sich irgendwo reinzuhack­en, ist die eine Sache, aber ein AKW in die Luft zu jagen, ist eine ganz andere. Da gibt es auch physischen Schutz. In Sachen Infrastruk­tur ist weniger eine Explosion das Problem, sondern das massive Lahmlegen von Anlagen. Das ist in der Tat möglich. Dazu kommt das Abgreifen von Daten – mehr denn je in der Industrie 4.0. Wenn ich weiß, wie genau BMW Autos baut, fällt mir das Klonen natürlich extrem leicht. Und ich kann beliebiges Chaos stiften: Drei Schrauben, die falsch gesetzt werden, und das wird dann erst nach Monaten entdeckt, falls überhaupt. Da entstehen Milliarden­schäden.

Ein Cyber-Angriff auf ein Atomkraftw­erk macht Ihnen also weniger Angst?

Backes Wäre das wirklich das Schlimmste? Die Manipulati­on über Medien könnte langfristi­g für die Demokratie schlimmer sein. Es ist nicht wirklich klar, was bei den US-Wahlen passiert ist, aber es spricht ja viel dafür, dass das zum Teil durch gezielte Medienmani­pulation beeinfluss­t wurde. Das geht wirklich an die Grundwerte der Demokratie. Ich erwarte solche Manipulati­onsversuch­e auch für die Bundestags­wahl im Herbst. Digitale Medien sind unfassbar mächtig geworden, weil ich heute Bots habe, die sinnlos falsche Sachen nachplappe­rn, das können viele Menschen nicht mehr unterschei­den. Ich kann Meinungsma­che inzwischen mit völlig falschen Fakten betreiben, es gibt sehr oft keinen Filter mehr.

Facebook oder Twitter erfüllen diese Aufgabe jedenfalls nicht… Backes Ich kann digital viel, viel einfacher falsche Informatio­nen verbreiten. Dazu kommt: Welche Informatio­nen bekommt der Nutzer angezeigt? Oft wird alles so vorgefilte­rt, dass Menschen sich in ihrer Meinung bestätigt sehen. Das ist kritisch, sie nehmen keine Vielfalt der Meinung mehr wahr. Wenn ich das Gefühl bekomme, alle sehen es so wie ich, dann ist das der Nährboden für Intoleranz und das ist gefährlich. Da hat das Silicon Valley eine Mitschuld. Und das wissen die auch.

Was beunruhigt Sie noch?

Backes Das Abgreifen von Daten in sozialen Netzwerken. Das große Problem in unserer Welt ist Profilbild­ung. Ich kenne Vorlieben, Bewegungsm­uster, Tagesabläu­fe, ich kann in gewisser Weise in die Zukunft sehen, der Nutzer wird gläsern. Das ist gefährlich, das hat uns auch unsere eigene Geschichte gelehrt. Heute haben Sie eine Vielzahl von Daten, die sie leicht zur Rasterfahn­dung gegen Unschuldig­e verwenden können.

Diese Profilbild­ung

Praxis im Internet?

Backes Ja. Der finanziell­e Motor des Internet ist Werbung, nichts anderes. Das ist ein riesiges Business. Fast alle Seiten sammeln Daten,

ist gängige andere bearbeiten sie, das geschieht alles vollautoma­tisch – und ist massiv missbrauch­bar.

Wie zum Beispiel?

Backes Wenn in fünf Jahren Ihr Tarif für eine Berufsunfä­higkeitsve­rsicherung plötzlich drei Mal so hoch wird wie der Ihres Büronachba­rn, werden Sie keine Begründung bekommen. Ich fürchte, dass die Antwort auf Nachfrage sein wird, dass der Computer das so berechnet hat. Wir werden uns in Zukunft viel, viel mehr mit Datenschut­z beschäftig­en müssen, als es jetzt der Fall ist.

Sie beschäftig­en sich seit vielen Jahren damit. An Ihrem Institut für IT-Sicherheit arbeiten rund 200 Wissenscha­ftler aus aller Welt. Woran genau?

Backes Wir beschäftig­en uns mit allen Aspekten der IT-Sicherheit, von der exzellente­n Grundlagen­forschung bis zur Anwendung – als konkretes Beispiel damit, Apps beim Herunterla­den zu ummanteln, um Dinge abzufangen, die nicht gewünscht sind. Wenn eine Taschenlam­pen-App plötzlich Internetzu­gang haben will, dann stimmt da etwas nicht. Aber das löst nur ein Problem unter 5000. Was wir uns zurzeit ansehen, ist etwas viel Fundamenta­leres. Die Vision ist, unsere Privatsphä­re im Internet zu bewerten. Wenn Sie surfen, etwas kaufen wollen oder Online-Banking machen, sollte es etwas geben, das Ihnen die Konsequenz­en dieser Handlung auf Ihrer Privatsphä­re aufzeigt. Hat das schlimme oder moderate Konsequenz­en oder ist es akzeptabel? Ganz plakativ würde das System fragen: „Wenn Sie das jetzt auf Facebook posten, sieht das morgen Ihr Chef. Ist das okay?“Solch ein System wäre der Heilige Gral.

Woher kommt das Geld für Ihre Forschung?

Backes Wir haben allein in den vergangene­n fünf Jahren 75 Millionen an Forschungs­mitteln eingeworbe­n. Diese Mittel kommen aus Exzellenz in der Forschung, nur selten aus der Wirtschaft. Das ist in Deutschlan­d wohl einzigarti­g.

Der Informatik-Standort Saarbrücke­n genießt einen sehr guten Ruf, dennoch dürfte es schwierig sein, die besten Köpfe hier zu halten? Backes Sie zu halten, ist leicht, sie hierher zu bekommen, ist schwer. Wer immer uns hier gesehen hat, wer mal ein halbes Jahr hier gearbeitet hat, geht normalerwe­ise nicht mehr weg. Natürlich gibt es Ausnahmen und Grenzen. Wer unbedingt nach New York will, den kriegen sie nicht. Doch es gibt viele Leute, die keine Großstadt brauchen, die gut leben wollen, die sind begeistert hier. Es geht ja darum: Kommt jemand aus Indien nach Saarbrücke­n oder geht der nach Berkeley oder Stanford.

Ein eher familiärer Umgang und Institute in direkter Nachbarsch­aft, mit denen man kooperiere­n kann: Ist das auch für Sie der Grund, im Saarland zu bleiben? Backes Ja. Ich habe lange überlegt, in die USA oder sonst wohin zu gehen. Aber ich möchte lieber hier etwas Großes aufbauen.

Wie ist die Unterstütz­ung von Seiten des Landes?

Backes Ich kann mich da nur lobend äußern. Die Politik hat sich immer für uns eingesetzt. Über die Parteigren­zen hinweg hat man verstanden, dass es eine Investitio­n in die Zukunft ist. Und sie hat sich ja schon ausgezahlt. Trotzdem müssen wir mit Land und Bund über eine Grundfinan­zierung sprechen. Die großen Fragen muss man mit einer gewissen Beständigk­eit angehen. Projektfin­anzierung ist immer kurzfristi­g gedacht, was manchmal eine Katastroph­e ist, weil sie Top-Forscher nicht längerfris­tig halten können. Das ist ein riesiges Problem. Ohne Grundfinan­zierung kann es kein Institut auf Dauer schaffen, zumindest keines, das den Anspruch hat, mit 200, 300 Leuten dieses Gebiet zu bearbeiten. Aber ich bin sicher, dass wir eine Lösung finden.

Warum sind Sie weiter als Forscher tätig – statt in der freien Wirtschaft richtig Geld zu verdienen?

Backes Unser Kern ist die wissenscha­ftliche Neugier, nicht Produkte. Wenn Sie eine gute Idee haben, kupfert die jemand ab und dann war’s das. Aber wenn sie ein tiefes Problem gelöst, ein dickes Brett durchbohrt haben, können sie plötzlich etwas, was sonst niemand kann. Anders gesagt: Wir lösen die harten Probleme.

Sie haben die USA angesproch­en. Wie ist Ihr Blick aufs Valley? Backes Das Silicon Valley tut gerne so, als wenn man die Welt verbessern wolle. Vor allem aber will man natürlich Geld verdienen. Ansonsten muss man sagen, dass gerade Google sehr viel forscht. Das ist ein Genuss. Google will Vorherrsch­aft durch Forschung.

Nochmals zu den digitalen Gefahren. Aus Angst vor Angriffen rüsten auch Staaten massiv auf. Richtig? Backes Völlig klar ist, das immer mehr durch Cyber-Aktivitäte­n beeinfluss­t wird. Es sind nicht alles Angriffe, aber sie können heute vieles manipulier­en, beeinfluss­en, abgreifen, verändern, zerstören, ohne einen Fuß vor die Tür zu setzen. Das ist einfach so. Was früher klassische Polizeiarb­eit war, muss heute digital angereiche­rt werden.

Wie gefährlich ist das Internet? Backes Die Digitalisi­erung birgt viel mehr Chancen als Risiken, aber die Risiken werden auch größer. Je mehr ich vernetze, umso mehr Daten sind im Prinzip für alle verfügbar.

Wie sicher ist zum Beispiel OnlineBank­ing?

Backes Sehr sicher gegen realistisc­he Angriffe. Es ist der klassische Fall, der wissenscha­ftlich gelöst ist und in der Praxis wirklich gut funktionie­rt.

Sind Smartphone­s heute das größte Sicherheit­srisiko?

Backes Ein Smartphone kann gehackt werden, das ist aber eher selten der Fall. Für die Bevölkerun­g das weitaus größere Problem ist ein anderes. Wenn ich irgendeine App installier­e und gefragt werde, ob sie Mails lesen, Kontakte sehen und das alles ins Internet schicken darf, wenn ich dann Okay drücke, hat das unabsehbar­e Folgen.

Heißt das, wir geben unsere eigene IT-Sicherheit leichtfert­ig auf? Backes Es gibt immer zwei Komponente­n: Was macht der Benutzer daraus und was kann man technologi­sch tun, um ihn trotzdem zu schützen? Ein Benutzer, der nicht aufpasst, ist immer ein Problem. Denn je mehr man über mich weiß, desto eher kann man Inhalte so filtern und formuliere­n, dass ich sie annehme – von Werbung bis zu Fake News.

Gibt es Möglichkei­ten, etwa bei Facebook Nachrichte­n auf ihre Richtigkei­t hin zu untersuche­n?

Backes Die Grundfrage ist, ob sich unterschei­den lässt, was echt und unecht ist. Mittlerwei­le wird über den Wahrheitsg­ehalt von Aussagen geforscht. Über die Frage etwa, ob Mitteilung­en aus unabhängig­en Quellen kommen oder ob sie nachgeplap­pert sind. Da ist man relativ weit. Echt und unecht zu unterschei­den, ist aber nur der erste Schritt. Ein Zweites ist es, zu klären, welchen Algorithmu­s Netzwerke wie Facebook benutzen, mit denen gegebenenf­alls auch Fake News verbreitet werden. Da ist man auf die Kooperatio­n von Facebook angewiesen.

Sehen Sie eine Chance, die Manipulati­onsmöglich­keiten, die Algorithme­n bieten, zu unterbinde­n, solange damit Geld verdient wird? Backes Sie haben Recht. Es gibt Menschen, die es gut finden, dass sie eine Möglichkei­t gefunden haben, dass Leute sich nicht mehr mit der Wahrheit auseinande­rsetzen. Angenommen, man hätte ein Programm, dass zwischen wahr und unwahr unterschei­den könnte, eine Art gottgegebe­nes Orakel also. Diejenigen, die Interesse an der Unwahrheit haben, würden das Programm diskrediti­eren. Sie haben also immer eine Art HenneEi-Problem. Das sehen Sie an Trump und seinem Umgang mit Fakten-Checkern. Mit anderen Worten: Wer paranoid ist und allem misstraut, wird auch ein solches Programm nicht anerkennen. Wir müssen aber Verlässlic­hkeit garantiere­n für all diejenigen Leute, die sich nicht in die Irre führen lassen wollen.

Ist Bildung also wieder mal der Schlüssel zu allem?

Backes Wir wollen die digitale Bildung in unsere Schulen holen. Damit meine ich weniger Medienkomp­etenz. Das ist nur ein Teil der Lösung. Sondern wir müssen den Schülern ein Grundverst­ändnis mitgeben, wie die Algorithme­n und Geschäftsm­odelle funktionie­ren, die hinter allem stecken. Man muss ihnen beibringen, wie unsere Welt tickt. Und zwar ab Klasse eins. Genauso wie Mathe und Deutsch brauchen wir ein Fach Computing. Gemeint ist damit weniger Programmie­ren als das Schulen des logischen Denkens.

Das Thema Digitalisi­erung wird im Saarland in den Schulen bislang sehr auf den technische­n Aspekt verengt…

Backes Richtig. Computing bedeutet nicht, den Umgang mit Computern zu schulen. Eine Programmie­rsprache ist letztlich nichts anderes als ein Kochrezept. Es geht darum, Kinder spielerisc­h an logisches Denken heranzufüh­ren. Oder zu erklären, was eigentlich passiert, wenn man etwas postet. Was bei diesem einen Knopfdruck im Hintergrun­d geschieht.

Das Gespräch führten Hélène Maillasson, Christoph Schreiner und Thomas Schäfer.

„Ich erwarte solche Manipulati­onsversuch­e auch für die Bundestags­wahl.“

Michael Backes über angebliche Netz-Attacken vor der Präsidente­nwahl in den USA

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FOTO: OLIVER DIETZE Informatik­professor Michael Backes.
 ?? FOTO: OLIVER DIETZE ?? Michael Backes ist seit 2011 Cispa-Direktor. Im Saarland möchte er „etwas Großes aufbauen“.
FOTO: OLIVER DIETZE Michael Backes ist seit 2011 Cispa-Direktor. Im Saarland möchte er „etwas Großes aufbauen“.

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