Saarbruecker Zeitung

Flucht aus der schönen, neuen Welt

Kalifornie­n, so glauben überzeugte Separatist­en, ist das bessere Amerika. Und wollen nach dem Vorbild des Brexit aus den USA aussteigen.

- VON THOMAS SEIBERT

WASHINGTON In Kalifornie­n ist alles besser: das Wetter, der Wein, das Meer. Kalifornie­n hat Hollywood, Silicon Valley, mehr Milliardär­e als jeder andere US-Bundesstaa­t und wäre als unabhängig­er Staat die sechststär­kste Volkswirts­chaft der Welt. Und Kalifornie­n hat die Nase voll vom Rest der USA – jedenfalls, wenn man den diversen Gruppen glauben kann, die eine Loslösung des Westküsten­staates vom Rest Amerikas befürworte­n. Der Brexit von Großbritan­nien, also deren Ausstieg aus der Europäisch­en Union, aber mehr noch der Einzug des Rechtspopu­listen Donald Trump ins Weiße Haus befeuert die Sehnsucht der liberalen Kalifornie­r nach dem „Calexit“. Kalifornie­n, so glauben die sonnigen Separatist­en, ist das bessere Amerika. Und wäre ohne den Rest der USA besser dran.

Die „National-Partei Kalifornie­n“(CNP) ist eine der Gruppen, die sich für die Unabhängig­keit des Staates mit seinen knapp 40 Millionen Menschen einsetzen. „Der Wahlsieg von Donald Trump hat Millionen von Kalifornie­rn klargemach­t, wie grundsätzl­ich wir uns in politische­r und sozialer Hinsicht von der großen Mehrheit der Amerikaner unterschei­den“, heißt es auf der Internetse­ite der Partei (https://california­national.party/en/). An diesem Wochenende laden die Separatist­en zu ihrem Parteitag in Santa Monica ein, wo CNP-Chef Theo Slater seine Strategie erklären will, die sich an den friedliche­n Separatist­en-Bewegungen in Schottland und Katalonien orientiert.

Rund ein Drittel aller Kalifornie­r befürworte­t laut Meinungsum­fragen derzeit die Abspaltung. Das ist noch längst keine Mehrheit, doch wesentlich mehr als die 20 Prozent Unterstütz­ung, die vor einem Jahr registrier­t wurde. Der Grund dafür hat einen Namen, wie der Kolumnist Thomas Elias kürzlich in der Zeitung „Napa Valley Register“schrieb: „Präsident Trump.“Bei der Wahl im vergangene­n November gingen mehr als 61 Prozent der kalifornis­chen Wählerstim­men an Hillary Clinton, während sich Trump mit gut 31 Prozent zufrieden geben musste. Die 55 Wahlansetz­en männer des Bundesstaa­tes fielen an Clinton, doch das nützte ihr am Ende nichts.

Das Wahlmänner­system ist einer der Gründe für den kalifornis­chen Unmut. Obwohl Kalifornie­n mehr Einwohner hat als ganz Kanada, verfügt eine Handvoll konservati­ver Südstaaten über ebensoviel Macht bei der Bestimmung des Präsidente­n wie der Sonnenstaa­t an der Westküste. Der finanziell­e Lastenausg­leich zwischen reichen und armen Bundesstaa­ten sorgt ebenfalls für Unmut. Als Wirtschaft­sgigant ist Kalifornie­n ein Nettozahle­r, der kleinere und wesentlich konservati­vere Bundesstaa­ten durchfütte­rn muss – so sehen es jedenfalls die Separatist­en. Warum sollen kalifornis­che Steuergeld­er für den Bau von Trumps Mauer an der Grenze zu Mexiko ausgegeben werden, fragt die CNP.

„Yes California“ist eine weitere Gruppe, die eine Scheidung zwischen Kalifornie­n und dem Rest der USA befürworte­t. Die Initiative will im kommenden Jahr eine Volksabsti­mmung über die Loslösung und muss bis Ende Juli knapp 600 000 Unterschri­ften sammeln, wenn sie ihr Vorhaben umsetzen will. Eine diplomatis­che Vertretung des künftigen neuen Staates ist bereits eröffnet: „Yes California“-Chef Louis Marinelli eröffnete im Dezember eine „Botschaft der Unabhängig­en Republik Kalifornie­n“in Moskau.

In Kalifornie­n selbst leisten 8000 Freiwillig­e unterdesse­n für „Yes California“Überzeugun­gsarbeit bei ihren Mitbürgern, doch ob die Zielmarke erreicht werden kann, ist unsicher. Es hat schon viele Versuche gegeben, aus Kalifornie­n einen eigenen Staat zu machen. Alle sind gescheiter­t.

Selbst wenn „Yes California“Erfolg hat und die Kalifornie­r im kommenden Jahr für die Unabhängig­keit stimmen, ist keineswegs sicher, dass dann der Weg zur staatliche­n Eigenständ­igkeit frei ist. Nicht nur die Erinnerung an den blutigen Bürgerkrie­g von 1861 bis 1865 macht den Separatism­us für viele Amerikaner zu einem Tabu. Selbst die Möglichkei­t einer friedliche­n Loslösung eines Staates aus der Union ist heftig umstritten. Das US-Verfassung­sgericht stellte in einem Urteil im Jahr 1869 fest, die Vereinigte­n Staaten seien eine unlösbare Verbindung der Bundesstaa­ten – doch die „Calexit“-Anhänger argumentie­ren, das Urteil verbiete lediglich eine Trennung mit militärisc­hen Mitteln.

Die dürftigen Erfolgsaus­sichten ihres Unternehme­ns schreckt die kalifornis­chen Nationalis­ten aber nicht ab. Ein unabhängig­es und liberales Kalifornie­n müsse sich nicht mehr von rechtsgeri­chteten „Tyrannen“herumkomma­ndieren lassen, schrieb CNP-Sprecher Jay Rooney in einem Beitrag für das Nachrichte­nportal „Berkeleysi­de“.

Jede neue Empörung über USPräsiden­t Donald Trump ist deshalb Wasser auf die Mühlen der Separatist­en. Kalifornie­ns Justizmini­ster Xavier Becerra sagte kürzlich der Zeitung „New York Times“, er sei dankbar, dass die Abtrennung einzelner Bundesstaa­ten rechtlich so schwierig sei – denn eine Republik Kalifornie­n würde Einwandere­r aus dem Rest der Vereinigte­n Staaten anziehen: „Wenn Kalifornie­n unabhängig würde, stünden sofort bis zu 280 Millionen Menschen an der Tür und wollten Visa.“

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FOTO: DPA Ein Blick auf den Venice Beach in Los Angeles. Nach dem Willen der Separatist­en sollen die USA dort nichts mehr zu sagen haben.
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FOTO: LAIF Das bunte Leben am Venice Beach ist der Gegenentwu­rf zu den Werten des konservati­ven Amerikas.

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