Beim Brüsseler Gipfel siegt ein Pole gegen Polen
ANALYSE Donald Tusk bleibt gegen den Willen der polnischen Regierung Ratspräsident der EU. Doch beim Streit ist nicht nur Warschau Verlierer, auch die EU.
BRÜSSEL. Am Ende hatte ein Pole gewonnen, aber Polen verloren. Donald Tusk (59) bleibt für weitere zweieinhalb Jahre Ratspräsident der EU und damit Vorsitzender der Europäischen Gipfeltreffen. Es ist nicht das Ergebnis der Abstimmung am gestrigen, ersten Tag des europäischen Spitzentreffens in Brüssel, das überrascht, sondern der Weg dahin. „Ich verstehe diese Position nicht“, hatte sich Kommissionspräident Jean-Claude Juncker noch auf dem Weg zur Gipfelrunde der 28 Staatenlenker kopfschüttelnd gezeigt. Frankreichs Staatspräsident François Hollande appellierte sogar an die Moral seiner Amtskollegen: „Das ist ein Moment, in dem Europa Einigkeit zeigen muss.“
Tagelang hatte die polnische Führung versucht, ihren Landsmann Tusk sturmreif zu schießen. Er habe sich, obwohl zur Neutralität verpflichtet, „in brutaler Weise“in die polnischen inneren Angelegenheiten eingemischt. Einen völlig ungeeigneten Gegenkandidaten ohne jede Erfahrung in einem Regierungsamt schob man vor. Noch gestern Morgen drohte Warschaus Außenminister Witold Waszczykowski, man werde den Gipfel platzen lassen. „Nichts ohne uns, ohne unser Einverständnis“, bekräftigte Polens Premierministerin Beata Szydlo, eine treue Vasallin des eigentlich starken Mannes im Hintergrund: Jaroslaw Kaczynksi, Chef der Regierungspartei PiS und ein Erzrivale Tusks in der Innenpolitik. Während die Experten bereits in den Statuten des Gipfels blättern, welche Auswirkungen die vorzeitige Abreise einer Regierungsdelegation haben könnte, trat die Bundeskanzlerin auf den Plan. Im Krisengespräch zwischen deutscher und polnischer Führungsspitze übernahm Angela Merkel wieder ihre Lieblingsrolle: Sie moderierte und beruhigte. Danach hieß es: Nein, Polen werde nicht vorher abreisen. Und alles solle so weiterlaufen wie geplant.
So kam es dann auch: 27 Stimmen gab es für Tusk, Polens Regierungschefin stand auf verlorenem Posten. Nicht einmal die befreundeten Nachbarn Tschechien, Slowakei und Ungarn waren ihr zur Seite gesprungen. Eine beispiellose Blamage. Dabei hatte man sich doch so viel vorgenommen. Knapp drei Wochen vor dem 60 Geburtstag der Union, wenn an die Unterzeichnung der Römischen Verträge erinnert wird, wollte man mit einer überzeugenden Erklärung am heutigen Freitag dokumentieren, dass die Union sich vom Brexit nicht kleinkriegen lässt. Sogar die wirtschaftliche Bilanz, die gestern Abend vorgelegt wurde, konnte sich sehen lassen: Erstmals seit 2008 verzeichnen alle Volkswirtschaften Zuwächse – auch Griechenland. Doch darüber wurde am Abend ebenso wenig spekuliert wie über das unmissverständliche Bekenntnis der Staats- und Regierungschefs zum Ceta-Freihandelsabkommen mit Kanada. Es war ein Seitenhieb auf die Abschottungspolitik von US-Präsident Trump.
Mehr noch: Ein weiterer Vertrag mit Japan sei praktisch fertig, sagte Kanzlerin Angela Merkel. Und auch die Gespräche mit China kämen gut voran. Doch über den Beratungen der Runde schwebte weiter der Schatten der polnischen Niederlage. Denn am Abend bestätigte die Regierungschefin aus Warschau Spekulationen, sie werde sich für den Gesichtsverlust rächen. Szydlo gab bekannt, dass sie die Gipfel-Ergebnisse nicht mittragen und dadurch blockieren wolle. Nun soll es bei einem reinen Statement des maltesischen EU-Vorsitzes bleiben. Zwar bemühte sich die Kanzlerin noch um einen Brückenschlag: Die Suche nach einem Konsens sei zwar wichtig, dürfe jedoch „nicht für eine Blockade genutzt werden“. Doch da war es schon zu spät. Der EU-Gipfel, das stand fest, würde mit einem Eklat enden.
„Ich verstehe diese
Position nicht“
Jean-Claude Juncker EU-Kommissionspräsident
zur Haltung Polens