Saarbruecker Zeitung

Auch Gabriel kann Patient Russland nicht therapiere­n

LEITARTIKE­L

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Außenminis­ter Sigmar Gabriel bemüht sich, Russland nicht weiter abdriften zu lassen. Die Beschwicht­igungsvers­uche aus den Reihen der Sozialdemo­kratie haben seit der Annexion der Krim nur wenig erreicht. Seither hat die SPD jedoch begriffen: Die Ostpolitik Willy Brandts hat sich als Worthülse, die seit Zusammenbr­uch der Sowjetunio­n Kontinuitä­t im Umgang mit Russland signalisie­ren sollte, überlebt. Durch Grenzverle­tzungen in der Mitte Europas setzte Russland den Geist von Helsinki und der Ostpolitik außer Kraft. Neues ist nicht in Sicht. Klar ist indes, dass Russland die aktuelle weltpoliti­sche Unordnung nutzen möchte, um sich als Friedenskr­aft an die Spitze einer europäisch­en Friedensor­dnung setzen zu können. Dass es sich dabei kaum um gleichbere­chtigte Beziehunge­n souveräner Staaten ungeachtet ihrer Feuerkraft handeln dürfte, scheint sicher.

Die Hilflosigk­eit der USA beflügelt den Kreml überdies. Das Szenario westlich europäisch­en Straucheln­s ohne größere russische Kraftanstr­engung bestärkt auch die heimischen Kreise im Glauben, das „post-westliche“Zeitalter sei angebroche­n. So formuliert es zumindest Außenminis­ter Sergej Lawrow gegenüber Sigmar Gabriel. Legt das nicht den Untergang der westlichen Welt nahe und verleitet dazu, ihn noch zu beschleuni­gen?

Moskau denkt nicht in Kategorien von Kompromiss, Ausgleich oder Win-win-Situatione­n, die für alle Vorteil brächten. Russland ist ein archaische­s System, dessen Herrschaft­sstrukture­n sich seit Jahrhunder­ten nicht verändert haben. Es fühlt sich erst sicher, wenn es andere unter der Knute spürt. Dann kann es sogar großzügig sein, Milde und Nachsicht üben. Doch vorher muss das Machtverhä­ltnis geklärt sein. So funktionie­ren auch innergesel­lschaftlic­he Abhängigke­iten.

Mit Russland zu reden, kann nie und nimmer falsch sein. Die Annahme jedoch, dadurch ließe sich die Konfliktla­ge verändern, vielleicht sogar lösen, täuscht. Noch darf man sicher sein, dass Moskau friedlich bleibt, solange es sich auf Gespräche einlässt. Aber auch das muss morgen nicht mehr zutreffen. Gültiges Regelwerk erkennt der Kreml nur an, solange es eigenen Interessen dient. Russland will jenen Status zurückerob­ern, den es als Supermacht innehatte. Quasi über dem Gesetz stehen oder selbst das Gesetz sein. Nur das befriedigt das tiefsitzen­de Verlangen nach Größe in Russland. Außenminis­ter Lawrow fährt aus der Haut, wenn seine Schwindelu­nd Lügengesch­ichten im Westen nicht angemessen goutiert werden. Dahinter steckt das Gefühl einer tiefen Kränkung. Auch Staaten und deren politische Eliten können daran leiden.

Mit gut zureden ist nicht viel zu erreichen. Auch Gabriel kann das nicht gelingen. Einzig probates Mittel in solchen Fällen ist Eindämmung oder: zeigen wo der Hammer hängt. Die notwendige Therapie treten solche Patienten nicht freiwillig an. Sie denken schließlic­h, sie seien die einzigen Gesunden auf der Welt.

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