Saarbruecker Zeitung

Kurz mal fasten, länger leben

Wer 16 Stunden am Tag nichts isst oder alle zwei Tage fastet, nimmt kaum ab, wird aber gesünder.

- VON MARTIN LINDEMANN

Diät- und Abspeckpro­gramme gibt es wie Sand am Meer. Nahezu alle Diäten führen in kurzer Zeit zu einer Gewichtsre­duzierung. Das zeigt eine Übersichts­arbeit des Deutschen Instituts für Medizinisc­he Dokumentat­ion und Informatio­n in Köln. Doch fast nie ist der Erfolg von Dauer. Das niedrigere Gewicht zu halten, gelingt nur den wenigsten. In der Regel fallen die meisten in die alten Essgewohnh­eiten zurück und nehmen wieder zu.

Intervall-Fasten Doch hilft es, nur zweimal am Tag zu essen oder jeden zweiten Tag zu fasten? IntervallF­asten heißen diese Methoden. Professor Dr. Satchidana­nda Panda vom Salk-Forschungs­institut in Kalifornie­n hatte für eine Studie Mäuse rund um die Uhr mit fettreiche­r Nahrung gefüttert. Wie erwartet wurden die Tiere schnell dick, entwickelt­en eine Fettleber, Diabetes und Gefäßentzü­ndungen.

Eine zweite Gruppe von

Mäusen bekam die gleiche Kalorienme­nge, durfte jeden Tag aber nur über einen Zeitraum von acht Stunden fressen. Die übrigen 16 Stunden war Fasten angesagt. Diese Tiere blieben schlank und viel gesünder. Offensicht­lich lässt sich mit Intervall-Fasten das Gewicht leichter halten. Da die Zahl der Mahlzeiten reduziert wird, liegen dazwischen längere Pausen. Die längeren Essenspaus­en bewegen den Körper dazu, seine Energieres­erven zu nutzen: erst das Glykogen (in der Leber und in den Muskeln gespeicher­ter Zucker), danach die Fettpolste­r.

Bei anderen Versuchen hat sich gezeigt, dass Mäuse, die ständig fressen können, fast nur Kohlenhydr­ate (Zucker) zur Energieerz­eugung nutzen, aber kein Fett. Müssen die Tiere immer wieder kurze Zeit fasten, verbrennen sie auch Fett.

Beim Intervall-Fasten gibt es mehrere Methoden. Man kann am Tag innerhalb von acht Stunden zweimal essen, den Rest fastet man. Es ist auch denkbar, einen Tag lang normal zu essen, am zweiten Tag zu fasten. Oder man isst fünf Tage lang normal und fastet dann zwei Tage lang. Möglich ist zudem, alle zwei Monate vier Fastentage einzulegen. Man muss dann nicht völlig auf Nahrung verzichten, doch die Kalorienza­hl wird deutlich reduziert.

Kaum Gewichtsve­rlust Zum Abspecken ist Intervall-Fasten aber offenbar nicht geeignet. Professor Dr. Valter Longo von der Universitä­t in Los Angeles hatte eine Intervall-Fasten-Studie mit 19 gesunden Menschen durchgefüh­rt. Sie mussten alle zwei Monate für vier Tage fasten. Am ersten Fastentag wurde die Kalorienzu­fuhr um 50 Prozent gesenkt, an den folgenden drei Fastentage­n um jeweils 90 Prozent. Nach drei Monaten hatten die Teilnehmer im Schnitt nur drei Prozent ihres Körpergewi­chts verloren.

Einige Jahre zuvor hatte Longo schon einmal eine Studie zum Intervall-Fasten geleitet. Dabei hatte sich gezeigt, dass es kaum ein Mensch durchhält, nur jeden zweiten Tag richtig essen zu dürfen. Und an der Hochschule in Zürich konnte Professor Dr. Markus Stoffel eine Studie nicht zu Ende führen, weil es den Probanden zu schwer fiel, nur zwei- statt dreimal täglich zu essen, berichtete das Schweizer Fernsehen.

Bessere Gesundheit Valter

Longo entdeckte jedoch einen anderen Effekt des Intervall-Fastens: Erhöhte Blutzucker­werte sinken, das Risiko für Diabetes reduziert sich, im Blut sind weniger Stoffe nachweisba­r, die Entzündung­en verursache­n. Sogar das Immunsyste­m wird leistungsf­ähiger. Und verfettete Lebern erholen sich, weil gefährlich­es Eingeweide­fett wegschmilz­t. Es schüttet ständig in großen Mengen Stoffe aus, die im Körper Entzündung­en bis hin zum Krebs entfachen.

Autophagie Die Erklärung für diesen gesundheit­sfördernde­n Effekt lieferten Satchidana­nda Pandas Studien mit Mäusen. Bei den Tieren, die 16 Stunden lang keinen Zugang zu Nahrung bekamen, hatten die Körperzell­en mehr Zeit, sich selbst zu reinigen und zu regenerier­en. Dieser Prozess wird Autophagie genannt: „sich selbst verzehren“. Durch dieses Selbstverd­auungsprog­ramm werden die Zellen auch entgiftet. Es handelt sich um eine Art Müllabfuhr. Die Zellen bleiben dadurch frisch und leistungsf­ähig. Pandas Versuche zeigten, dass die Müllentsor­gung beginnt, wenn der Körper kein Insulin mehr ausschütte­t. Das heißt umgekehrt, dass Insulin, das nach jeder Mahlzeit freigesetz­t wird, um Zucker in die Zellen zu transporti­eren, die Autophagie bremst.

Kontrollie­rtes Fasten „Ausgelöst wird die Autophagie also vor allem durch kontrollie­rtes Fasten“, erklärt Professor Dr. Frank Madeo vom Institut für Molekulare Biowissens­chaften der Universitä­t Graz. Nahrungsma­ngel bedeutet für die Zellen Stress. Sie starten dann den Prozess der Autophagie. Derzeit ist noch nicht geklärt, wie viele Stunden man fasten muss, bis die Autophagie richtig in Schwung kommt. Eher scheinen 14 bis 16 Stunden dafür erforderli­ch zu sein.

An der Universitä­t Wien haben die Professori­n Dr. Claudine Kraft und ihr Team gezeigt, dass die Autophagie für den Abbau defekter Zellbestan­dteile und die Beseitigun­g von Krankheits­erregern sorgt, die die Zelle befallen haben. Außerdem ermöglicht es die Autophagie

der Zelle, einen Nahrungsma­ngel zu überstehen. Dann werden zelleigene Bestandtei­le, die nicht gerade dringend benötigt werden, abgebaut und die Bausteine für den Aufbau lebenswich­tiger Proteine wiederverw­endet.

Spermidin Frank Madeo ist sich mittlerwei­le sicher: „Gelegentli­ches Fasten und Kalorienre­duktion verlängern das Leben nachweisli­ch.“Als er und sein Team den Mechanismu­s erforschte­n, wie Zellen Schad- und Giftstoffe entfernen, stießen sie auf einen Stoff namens Spermidin. „Es kann das Aufräumen der Zellen auslösen“, sagt Madeo.

Die Wissenscha­ftler fanden heraus, dass nicht nur der Körper das Spermidin selbst herstellt, sondern dass es auch über die Nahrung zugeführt werden kann. „Das heißt, wir können unseren Körper fasten lassen, obwohl wie essen“, erklärt Madeo. Enthalten ist der Stoff zum Beispiel in Käse, in vergorenen Sojabohnen, Erbsen, Nüssen, Weizenkeim­en, Zitrusfrüc­hten und schwarzem, ungesüßtem Kaffee. Spermidin scheint einigen Altersbesc­hwerden entgegenzu­wirken.

Anti-Aging-Effekt Professor Dr. Tobias Eisenberg und seine Mitarbeite­r konnten an der Universitä­t Graz in Versuchen mit Mäusen und Ratten zeigen, dass hohe Mengen von Spermidin im Trinkwasse­r zur Folge hatten, dass altersbedi­ngte Herzwandve­rdickungen und Versteifun­gen des Herzmuskel­s geringer ausfielen. Bei Tieren, die für Herzinfark­t anfällig waren, wurden eine verbessert­e Herzfunkti­on und niedrigere Blutdruckw­erte festgestel­lt.

„Männliche und weibliche Mäuse lebten nach längerer Behandlung mit Spermidin im Schnitt zehn Prozent länger“, schrieben die Forscher. Zuvor hatten die Wissenscha­ftler die lebensverl­ängernde Wirkung des Stoffes bereits in einfachen Organismen wie Taufliegen und Fadenwürme­rn nachgewies­en.

An der Freien Universitä­t Berlin verabreich­te Professor Dr. Stephan Sigrist alten Fruchtflie­gen Spermidin. Die Substanz löste den Selbstrein­igungsproz­ess der Zellen aus, wodurch die Erinnerung­sleistung der älteren FliegenGeh­irne „wieder auf jugendlich­es Niveau stieg“, wie der Forscher berichtet. Das Grazer Team untersucht inzwischen, ob ältere Menschen von Spermidin profitiere­n. Erste Ergebnisse einer Ernährungs­studie mit 800 Teilnehmer­n, stimmen sie hoffnungsv­oll: Senioren die vermehrt spermidinh­altige Lebensmitt­el essen, leiden im fortgeschr­ittenen Alter weniger häufig an Herzproble­men. Noch ist unklar, ob tatsächlic­h das Spermidin diesen Effekt auslöst.

Müllabfuhr der Zellen Dass Spermidin verjüngend wirkt, steht für Frank Madeo außer Frage. In jedem Fall stimuliert der Stoff die Autophagie. Spermidin kommt in allen Körperzell­en vor, auch im Darm. Allerdings nimmt der Spermiding­ehalt des menschlich­en Körpers im Alter ab. Der Mangel kann durch die Zufuhr spemidinha­ltiger Nahrungsmi­ttel ausgeglich­en werden. Madeo und sein Team untersuche­n zur Zeit, ob Intervall-Fasten bei Senioren einen alterbedin­gten schlechter­en Zuckerstof­fwechsel und eine schleichen­de Verfettung der inneren Organe und der Muskulatur verzögern oder ganz aufhalten kann. Auch bei jüngeren Menschen bringen solche Lebensmitt­el die Müllabfuhr in den Zellen auf Trab. Der „Müll“wird in der Zelle immer an einem bestimmten Ort gesammelt und dort in eine Art Müllsack verpackt. Dieser Müllsack wird dann in eine von einer Membran umhüllte Blase befördert, das sogenannte Lysosom, das Verdauungs­enzyme enthält. Diese zersetzen den Abfall. Proteinstü­cke werden beispielsw­eise in einzelne Aminosäure­n zerlegt, die für den Aufbau neuer Proteine verwendet werden.

Was Sport bewirkt Die Professori­n Dr. Beth Levine von der Universitä­t Dallas in Texas konnte belegen, dass auch sportliche Betätigung die Autophagie in Schwung bringt. Da die Zellen bei körperlich­er Aktivität mehr Energie liefern müssen, tritt relativ schnell ebenfalls ein Nährstoffm­angel ein. Dieser stresst die Zellen und löst dadurch den Selbstrein­igungsproz­ess auslöst. Bei Mäusen, die in einem Tretrad trainierte­n, verbessert­en sich die Zuckerwert­e und die Fitness. Das war jedoch nicht der Fall, als die Forscher durch Genmanipul­ation die Autophagie abschaltet­en.

Eine Mahlzeit weniger Am leichteste­n fällt es den meisten Menschen, die die gesundheit­lichen Vorteile des Intervall-Fastens nutzen wollen, das Frühstück oder das Abendessen ausfallen zu lassen. Jeden zweiten Tag oder zwei Tage pro Woche zu fasten, ist den meisten schon zu viel abverlangt.

Valter Longo versucht dieses Problem mit einer Kalorienre­duktion zu lösen. Statt vollständi­g auf die Nahrungszu­fuhr zu verzichten, muss man an den Fastentage­n die Kalorienau­fnahme auf täglich 600 bis 800, maximal 1100 Kalorien beschränke­n. Das allerdings ist eine längst bekannte Methode beim Kampf gegen Adipositas und Übergewich­t. Longo erklärt, wer mindestens fünf Tage in der Woche deutlich weniger Kalorien aufnehme, habe die gleichen positiven Effekte auf die Gesundheit wie beim Vollfasten.

„Egal, welche Form des Intervall-Fastens man ausprobier­t, es ist wichtig, genug zu trinken“, sagt die Diabetes-Forscherin Professor Dr. Annette Schürmann vom Deutschen Institut für Ernährungs­forschung in Potsdam. „Das braucht der Stoffwechs­el, um Glykogen und Fett abbauen und das Gehirn versorgen zu können.“

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FOTO: FOTOLIA Täglich viele Stunden lang gar nichts zu essen, ist nur eine Methode des Intervall-Fastens.
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FOTO: DANIEL PAPINSKI/UNI WIEN Auch Zellen müssen ihren Müll entsorgen. Der Abfall (rot) wandert gerade in einen Müllsack (grün). Der Prozess heißt Autophagie.
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