Saarbruecker Zeitung

Die wundersame Auferstehu­ng

Barcelona vollbringt ein Fußballwun­der und zieht durch ein 6:1 gegen Paris ins Viertelfin­ale der Champions League ein.

- VON MARCO MADER Trainer des FC Barcelona

BARCELONA (sid) Als das vielleicht größte Wunder der Fußball-Geschichte perfekt war, brachen im altehrwürd­igen Camp Nou von Barcelona alle Dämme. Weltstar Lionel Messi stürzte sich völlig entrückt in den Fan-Block. Trainer Luis Enrique rutschte ekstatisch jubelnd auf dem Hosenboden über den nassen Rasen, 96 290 Zuschauer hüpften, schrien und weinten vor Glück. „Die Krankenhäu­ser sollten Hebammen einstellen“, sagte Barças Gerard Piqué nach dem ebenso historisch­en wie verrückten 6:1 (2:0) gegen Paris St. Germain: „Heute Nacht werden die Menschen ganz viel Liebe machen.“

Dieses Achtelfina­l-Rückspiel der Champions League wird als Jahrhunder­tspiel in die Annalen eingehen, als denkwürdig­ste aller Fußball-Nächte und Comeback, das Jesus zur Ehre gereicht hätte. Nach dem 0:4 im Hinspiel, sagte der stolze Katalane Piqué, „wollten uns viele Leute beerdigen. Irgendwann wird diese Generation tatsächlic­h mal abdanken, aber bis dahin werden wir kämpfen“.

Enrique, der wenige Tage nach dem Debakel von Paris seinen Abschied zum Sommer bekanntgeg­eben hatte, wähnte sich „wie in einem Horrorfilm“– mit glückliche­m Ende. „Das ist ein Sport für verrückte Leute“, sagte er ungläubig, „echt für Verrückte. Jedes Kind, das im Camp Nou war, wird sich daran für den Rest seines Lebens erinnern.“Vier Tore hatte in der Königsklas­se nie zuvor eine Mannschaft aufgeholt. „So werden epische Comebacks geschriebe­n“, sagte Enrique stolz.

So, genauer gesagt: Mit drei Toren binnen völlig verrückten sieben Minuten und 16 Sekunden. Bevor der Wahnsinn seinen Lauf nimmt, haben Luis Suárez (3. Minute), ein Eigentor von Layvin Kurzawa (40.), Lionel Messi (50., Foulelfmet­er) und Edinson Cavani (62.) für den 3:1-Zwischenst­and gesorgt. Auftritt Neymar: Der brasiliani­sche Volksheld trifft per Freistoß zum 4:1 (88.), per Foulelfmet­er zum 5:1 (90.+1) und legt dem eingewechs­elten Sergi Roberto nach 94:39 Minuten das wunderbrin­gende 6:1 auf.

„Das ist das beste Spiel, das ich jemals gemacht habe“, sagte Neymar, das Sportblatt Marca schrieb von einem Gala-Auftritt, der „des goldenen Balls würdig“war. Neymar feierte hüpfend auf den Straßen der Stadt und mit dem mehrfachen Formel-1-Weltmeiste­r Lewis Hamilton. In diversen TV-Studios weltweit rasteten derweil ungläubige Experten aus, katalanisc­he Radiorepor­ter lagen sich weinend in den Armen. Auf der Tribüne schrie Piqués Freundin, Popstar

Luis Enrique Shakira, „oh, wie schön ist der Fußball“. Die Presse überbot sich in Superlativ­en oder schwärmte verzückt wie Italiens Corriere dello Sport von Fußball als „Poesie“.

Es war ein Abend vieler kleiner Heldengesc­hichten. Wie der von Barça-Torwart Marc-André ter Stegen, der stark hielt und vor dem 6:1 den entscheide­nden Freistoß herausholt­e. „Mir fehlen ein bisschen die Worte“, sagte der Nationalsp­ieler nach dem „emotionale­n Ende einer hart umkämpften Partie, das ist unglaublic­h, sehr groß“. Oder wie der von Roberto, der im 35. Spiel der Saison erstmals traf und so zum „glücklichs­ten Kerl der Welt“(Zeitung Sport) wurde. „Diesen Moment werde ich nie vergessen“, sagte er. Und inmitten all des Irrsinns versöhnten sich Messi und Enrique mit einer innigen Umarmung.

Es war auch der Abend von Schiedsric­hter Deniz Aytekin, der das Wunder mit mehreren zweifelhaf­ten Entscheidu­ngen mit ermöglicht­e. „Wir dürfen nicht dem Schiedsric­hter die Schuld geben“, betonte jedoch der Pariser Kapitän Thiago Silva: „Wir waren es, die versagt haben.“Der saarländis­che Torhüter Kevin Trapp erlebte einen rabenschwa­rzen Abend. Schwere Patzer unterliefe­n ihm zwar nicht, aber bei zumindest zwei Treffern sah er nicht gut aus und konnte die „Erniedrigu­ng“(L’Équipe) nicht verhindern. Sein Landsmann, Weltmeiste­r Julian Draxler, enttäuscht­e komplett.

Nicht auszuschli­eßen, dass Trainer Unai Emery das „historisch­e Schiffswra­ck PSG“(L’Équipe) im Sommer schon wieder verlassen muss. Clubchef Nasser AlKhelaifi vermied ein Bekenntnis zum Spanier: „Ob er noch haltbar ist? Das ist nicht der Moment, um darüber zu sprechen“, sagte AlKhelaifi. „Die Wahrheit ist: Wir haben eine riesige Möglichkei­t als Club ausgelasse­n“, stammelte Trainer Emery niedergesc­hlagen.

„Jedes Kind, das im Camp Nou war, wird sich daran für den Rest seines Lebens erinnern.“

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FOTO: IMAGO Die Szene nach dem Tor zum 6:1: Luis Suárez (vorne) greift den Kopf des Torschütze­n Sergi Roberto, die Teamkolleg­en jubeln mit.
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FOTO: GTRES/DPA Torhüter Kevin Trapp sitzt geschlagen am Boden. Der Saarländer erwischte im historisch­en Rückspiel keinen guten Tag.
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FOTO: IMAGO Neymar feiert seinen Gala-Auftritt mit freiem Oberkörper.
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FOTO: GTRES/DPA Barcelonas Trainer Luis Enrique kann es kaum glauben.

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