Saarbruecker Zeitung

Der steinige Weg in die EU von morgen

LEITARTIKE­L

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Das war kein europäisch­es Glanzstück. Aber diese Feststellu­ng bringt die EU nicht weiter, weil das Schimpfen auf Europa übersieht, dass die Gemeinscha­ft nur die Summe ihrer Mitgliedst­aaten ist. Polen mag bei dieser völlig unnötigen Auseinande­rsetzung um den Job des Ratspräsid­enten alleine gestanden haben. Aber das war die Ausnahme. Üblicherwe­ise ist es eine Vierer-Front, die sich im Osten mehr und mehr von Brüssel abgrenzt – gegen die starken Kräfte im Westen, allen voran Deutschlan­d und Frankreich.

Dafür gibt es Gründe, die übrigens wenig mit der EU, aber sehr viel mit der Geschichte zu tun haben. Die national-konservati­ven Kräfte in diesen Ländern bestreiten nicht die europäisch­en Errungensc­haften. Aber sie argwöhnen, nach der Unterdrück­ung durch Russland und NaziDeutsc­hland erneut in eine Bevormundu­ng zu geraten. Eine Union, in der die Stimme des einzelnen Landes untergeht, erscheint ihnen wie eine Neuauflage alter Abhängigke­iten.

Für die EU ist dies ein fataler Zirkel, weil sie mit ihrem Credo „Gemeinsam geht es besser“zwar in der Sache richtig liegt, aber dennoch genau damit alte Ängste schürt. Der gerade aufgebroch­ene Streit um die Frage, ob der Osten Europas nicht mit minderwert­igen Nahrungsmi­tteln beliefert wird, zeigt das wie im Brennglas. Und er macht den nächsten Schritt, nämlich eine Erneuerung des europäisch­en Verspreche­ns, so schwierig. Welche EU wollen die Mitgliedst­aaten? Einen blanken, kalten Binnenmark­t – wie Polen? Oder eine politisch-ökonomisch­e Rundumvers­orgung, auf die Deutschlan­d und Frankreich drängen?

Für die einen ist ein Europa mehrerer Geschwindi­gkeiten der Ausweg, für die anderen erscheint das als eine Zwei-Klassen-Gesellscha­ft, bei der man wieder hinten runterfäll­t. Es geht nicht um einen Verlust an Zusammenge­hörigkeits­gefühl. Das ist groß, im Osten sogar größer. Weil man sich dort in einer Gemeinscha­ft aufgehoben wissen will, die auch Frieden garantiert. Wer Russland als Nachbarn hat, weiß, dass Sicherheit nicht selbstvers­tändlich ist. Und wer die postkommun­istischen Gesellscha­ften kennt, ist sich auch darüber im Klaren, dass es ohne EU-Hilfen keinen Gleichstan­d bei den Lebensverh­ältnissen geben kann.

Eine neue oder reformiert­e EU der 27 muss das alles auffangen – eine große, vielleicht zu große Herausford­erung? Das Nach-Brexit-Europa wird deshalb Länder vereinen müssen, die zwar zusammenge­hören, aber noch nicht zusammenge­wachsen sind. Das kann aber nicht gelingen, wenn der Zwang zur Einigkeit nationalen Eigenheite­n keinen Platz mehr lässt. Dies ist schwierig, wenn man zu einer Rechtsgeme­inschaft gehört, die inzwischen jeden Lebensbere­ich auf 80 000 Gesetzesse­iten reguliert hat. Die EU von morgen braucht mehr Spielraum, mehr innere Freiheit, um bei den großen Fragen zusammenzu­stehen – und doch muss sie die Unterschie­dlichkeit ihrer Mitglieder zulassen.

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