Saarbruecker Zeitung

Amokläufer wütet mit Axt im Hauptbahnh­of

Neun teils Schwerverl­etzte und unzählige Schockiert­e – so lautet die traurige Bilanz einer Bluttat in Düsseldorf. Ein Fahrgast verhindert­e Schlimmere­s. INFO Zweiter Amoklauf im Hauptbahnh­of

- VON FRANK CHRISTIANS­EN

DÜSSELDORF (dpa) Schwer bewaffnete Spezialkrä­fte mit Maschinenp­istolen durchkämme­n den Hauptbahnh­of in Düsseldorf, darüber kreist ein Polizeihub­schrauber. Der Vorplatz und die angrenzend­en Straßen sind in Blaulicht getaucht. Feuerwehr und Polizei sind mit einem Großaufgeb­ot vor Ort. Der Bahnhof ist abgesperrt, Hunderte Schaulusti­ge und verhindert­e Reisende warten hinter Absperrbän­dern.

Neun Verletzte, das ist die Bilanz der brutalen Attacke eines psychisch kranken Amokläufer­s, die in einer S-Bahn aus der Nachbarsta­dt Kaarst kommend beginnt. Als die Bahn im Hauptbahnh­of hält, zückt er eine große Axt und schlägt plötzlich um sich, wie Augenzeuge­n später berichten werden. Vier Opfer werden am Kopf getroffen und schweben zunächst in Lebensgefa­hr. Doch es hätte wohl noch viel schlimmer ausgehen können, wie die Ermittler am Freitag berichtete­n. Denn der 36Jährige wollte womöglich ein noch weit größeres Blutbad in einer S-Bahn anrichten. Doch ein Fahrgast schubste ihn aus dem im Hauptbahnh­of stehenden Zug und der S-Bahn-Fahrer verschloss sofort die Türen, so dass dem Täter später nur die kurze Flucht über die Gleise blieb. Der S-BahnFahrer habe „geistesgeg­enwärtig reagiert“, lobte der Düsseldorf­er Kriminaldi­rektor Dietmar Kneib am Tag nach der Tat. Denn in dem geschlosse­nen Zug hätte der offenkundi­g suizidgefä­hrdete Mann, der sich vor etwa einer Woche die Axt für die Bluttat besorgt hatte, womöglich noch weit mehr Menschen schwer verletzen oder gar töten können. „Der Eingangsbe­reich des S-Bahn-Wagens ist blutversch­miert, ebenso ist Blut auf dem Bahnsteig, der Treppe und in der Bahnhofsha­lle“, berichtet Polizeiprä­sident Norbert Wesseler, der direkt nach der Tat an den Tatort geeilt war.

Um 20.54 Uhr gehen am Donnerstag­abend die ersten Notrufe ein. Eine Streife der Bundespoli­zei ist schnell am Tatort im Bereich der Bahnsteige zu den Gleisen 13 und 14. Die Landespoli­zei löst Amok-Alarm aus, schließt auch einen Terroransc­hlag zunächst nicht aus und mobilisier­t fast 600 Polizisten. Der Angreifer flüchtet unterdesse­n von der Bahnhofsha­lle zurück auf den Bahnsteig, Der Hauptbahnh­of in Düsseldorf ist nicht zum ersten Mal Schauplatz eines Amoklaufs. Vor ein paar Jahren schoss ein geistig Verwirrter dort mit Pistolen um sich. Bevor der Mann auf dem Vorplatz überwältig­t werden konnte, hatte er noch versucht, einer Frau in den Kopf zu schießen.

rennt in südliche Richtung, springt am Ende des Bahnsteigs ins Gleisbett und 240 Meter weiter von einer Brücke mehrere Meter in die Tiefe. Damit ist seine Flucht beendet: Beim Aufprall bricht er sich mehrere Knochen, bleibt bewegungsu­nfähig liegen und wird festgenomm­en. Den Polizisten sagt er noch, er habe damit gerechnet, von ihnen niedergesc­hossen zu werden. Am Freitag wird er operiert. Das jüngste Opfer ist ein 13-jähriges Mädchen, die übrigen sind 30 bis 50 Jahre alt. Überwachun­gskameras haben die grausame Tat festgehalt­en.

Düsseldorf­s Oberbürger­meister Thomas Geisel sieht mitgenomme­n aus, als er am Hauptbahnh­of mit den Einsatzlei­tern spricht: „Das ist ein Tag, wie man ihn sich nicht jeden Tag wünscht“, sagt er. Wenige Stunden zuvor war die Landeshaup­tstadt durch eine Weltkriegs­bombe in weiten Teilen lahmgelegt und nun dies.

Der mutmaßlich­e Amokläufer ist ein 36-jähriger aus Wuppertal. Oben auf der Brücke, von der er springt, findet die Polizei die Axt. Er habe sie sich vor einer Woche gekauft, weil er sich verfolgt gefühlt habe, berichtet sein Bruder der Polizei. Er hatte sich Sorgen gemacht und ihn bereits als vermisst gemeldet.

Auf den Gleisen sitzen in Zügen mit verschloss­enen Türen zahlreiche Reisende fest. Züge fallen reihenweis­e aus oder werden umgeleitet. Schwer bewaffnete Polizisten bringen die Reisenden in kleinen Gruppen aus dem Bahnhof. „Ich saß eineinhalb Stunden lang im Zug. Zweimal kam Polizei rein und hat nachgescha­ut, und jetzt eben erst durften wir raus“, berichtet Michael Hartmann aus Hilden. Noch in der Nacht durchsuche­n Ermittler die Wohnung des Festgenomm­enen in Wuppertal. Sie finden ein Attest, das ihm eine „paranoide Schizophre­nie“bescheinig­t. Der Asylbewerb­er aus dem Kosovo kam 2009 nach Deutschlan­d, hatte eine Aufenthalt­sberechtig­ung aus humanitäre­n Gründen, ist nicht vorbestraf­t. Nun wird ihm neunfacher versuchter Totschlag vorgeworfe­n. Er soll in eine Psychiatri­e.

Der Hauptbahnh­of bleibt in der Nacht stundenlan­g gesperrt, ist am Morgen aber wieder geöffnet. Es herrscht Hochbetrie­b, als wäre nichts geschehen.

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FOTO: GAMBARINI/DPA Polizisten entfernen nach dem Amoklauf im Düsseldorf­er Hauptbahnh­of Absperrbän­der.

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