Saarbruecker Zeitung

Mehr Windkraft für das Saarland?

POLITIK

- Das Gespräch führte Daniel Kirch.

Braucht das Saarland mehr Windräder? Darüber diskutiert­en im SZ-Duell Linke-Fraktionsc­hef Oskar Lafontaine und der EnergieExp­erte und Hochschulp­rofesor Uwe Leprich vom Umweltbund­esamt.

Herr Leprich, verschande­ln Windräder die Landschaft?

LEPRICH Das ist eine ästhetisch­e Frage, und ich denke, um die geht es hier nicht so sehr. Spätestens nachdem in Paris 2015 weltweit das Signal für eine Dekarbonis­ierung gegeben wurde, müssen wir daran arbeiten, das gesamte Energiesys­tem auf erneuerbar­e Energien umzustelle­n. In den letzten 20, 30 Jahren haben wir einiges ausprobier­t und gesehen, was tragfähig, einigermaß­en kostengüns­tig und technisch ausgereift ist. Von allen Optionen, die wir mal hatten, haben sich die Windenergi­e und die Fotovoltai­k am meisten durchgeset­zt.

Für Herrn Lafontaine ist es eine ästhetisch­e Frage. Noch mal: Stören Windräder Sie in der Landschaft?

LEPRICH Ganz subjektiv muss ich sagen: Mir gefallen sie. Aber ich kann auch Leute verstehen, die das nicht toll finden. Wir zahlen einen Preis für die Industrieg­esellschaf­t. Autobahnen oder Strommaste­n finden auch nicht alle toll.

LAFONTAINE Windräder verschande­ln die Landschaft. Deutlich wurde das auch, als Räder direkt neben der Skulpturen­straße „Steine an der Grenze“, die Professor Schneider mit anderen Bildhauern geschaffen hat, aufgestell­t wurden. So etwas bringen nur Kulturbana­usen fertig. Ich habe manchmal Angst, dass die große WindkraftK­oalition Windräder nicht nur im Wald, sondern auch neben der Burg Montclair oder der Ludwigskir­che aufstellt. Das Empfinden für die Schönheit der Landschaft und der Natur spielt bei den Entscheidu­ngen der Landesregi­erung leider keine Rolle.

Ist es ökologisch vertretbar, Windräder auch im Wald aufzustell­en?

LEPRICH Das ist in jedem Fall vertretbar. Gerade die Forste werden oft privatwirt­schaftlich genutzt. Das sind Leute, die betriebswi­rtschaftli­ch damit kalkuliere­n. Dort sind die Windräder für viele Bürger möglicherw­eise auch nicht so störend. Wälder sind oft Gebiete, die besonders windhöffig sind, das heißt, dort kann man die Anlage besonders wirtschaft­lich betreiben. Wenn wir diese Gebiete ausklammer­n, könnten wir die Ausbauziel­e nicht erreichen.

LAFONTAINE Man darf keine Windräder im Wald aufstellen. Wir müssen unsere Natur schützen und zur Natur gehören auch der Wald und die Tiere. Als Pilzesamml­er bin ich oft im Wald unterwegs und sehe, wie er durch Windräder beschädigt wird. Windräder sind Fledermaus-Schreddera­nlagen, auch viele andere Tiere wie der Rotmilan oder das Rotwild werden

verdrängt. Wir Saarländer sollten nicht dümmer sein als die Pfälzer. Die Pfälzer schonen ihren Pfälzerwal­d, aber die Ministerpr­äsidentin Kramp-Karrenbaue­r sieht ungerührt zu, wie ihr Umweltmini­ster im Wald Bäume fällen lässt, um Windräder aufzustell­en.

Warum hat die Windkraft diese Akzeptanzp­robleme?

LAFONTAINE Sie zerstört das Landschaft­sbild und beeinträch­tigt die Gesundheit, etwa durch den Infraschal­l. Während Grundbesit­zer und die Windkraft-Betreiber sich eine goldene Nase verdienen, haben die Haushalte mit geringem Einkommen enorme Probleme, weil sich die Strompreis­e seit 2000 verdoppelt haben.

LEPRICH Das Umweltbund­esamt hat die gesundheit­lichen Effekte zusammenge­tragen. Zum Thema Infraschal­l ist die Aussage ganz klar: Bislang – das ist wirklich breit untersucht worden – gibt es keine konsistent­e Evidenz dafür, dass gesundheit­liche Beeinträch­tigungen durch Infraschal­l-Emissionen verursacht werden. Das ist Punkt eins. Punkt zwei: Derzeit fehlen noch Langzeitst­udien, genauso wie etwa für die Strahlung beim Mobilfunk.

LAFONTAINE Das stimmt. Und deshalb dürfen wir die Saarländer nicht als Versuchska­ninchen missbrauch­en und wenn die Forschung nachweist, dass gesundheit­liche Schäden auftreten, mit den Schultern zucken und sagen: Tut uns leid. Das Mindeste wäre ein Abstand über zwei Kilometer zu den Häusern, eine 10-H-Regelung wie in Bayern und Sachsen.

Könnte die Akzeptanz gestärkt werden, wenn man Bürger selbst entscheide­n lässt, ob sie einen Windpark in ihrer Gemeinde wollen?

LEPRICH Da bin ich skeptisch, weil wir klare Ziele beim Ausbau der erneuerbar­en Energien haben. Dann würde ich einen großen Unsicherhe­itsfaktor einbauen, in der derzeit aufgeheizt­en Diskussion käme ich nicht weiter. Ich bin ein großer Befürworte­r von Bürgerener­gieAnlagen, an denen die Bürger wirtschaft­lich beteiligt sind. Aber die Entscheidu­ng generell abhängig zu machen von Bürgerents­cheiden, da kämen wir sehr stark ins Straucheln, was unsere Klimaschut­z-Ziele anbelangt.

LAFONTAINE Ich erlebe immer wieder, dass Gemeinderä­te Windkrafta­nlagen ablehnen. Auch Kommunalpo­litiker von CDU und SPD sind oft dagegen. Aber dann heißt es: Die Gemeinde kann das leider nicht entscheide­n, sondern die Landesregi­erung, also die große Windkraft-Koalition von CDU und SPD. Wenn ein Windrad von über 200 Meter Höhe aufgestell­t wird, beeinträch­tigt das die Landschaft erheblich, deshalb müssen die Bürgerinne­n und Bürger der Gemeinde das Recht haben, solche Anlagen zu verhindern.

LEPRICH Das ist rein subjektiv. Aber es gibt viele Sachen, die sind objektiv. Da sind die Diskussion­sprozesse vor Ort extrem wichtig, um Auflagen zu erreichen. Es gibt zum Beispiel technische Möglichkei­ten, Windräder abzuschalt­en, wenn besonders viel Fledermaus­Flug ist. Bei den Rotmilanen kann man genau schauen, wo die lang fliegen und einzelne Windprojek­te dann streichen. Wenn Eiswurf eine Gefahr ist, muss man die Blätter beheizen, das kann eine Auflage sein. Überall dort, wo ich objektiv Risiken habe und wo ich die auch durch Technik vermeiden kann, sollte man auch darauf drängen.

LAFONTAINE Ja, Gott sei Dank,

manchmal werden die Windräder abgeschalt­et. Aber die Beeinträch­tigung von Natur, Landschaft und Gesundheit bleibt. Nehmen wir den Eiswurf. Wenn der Waldspazie­rgänger im Winter überall Schilder sieht, auf denen steht „Vorsicht Eiswurf“, dann vergeht ihm die Lust auf seinen Spaziergan­g.

Wir haben noch nicht über die technische­n Aspekte gesprochen.

LAFONTAINE Im Dezember und Januar gab es Tage, da hatten wir einen Verbrauch von 60 Gigawatt, und nur zwei Gigawatt wurden von erneuerbar­en Energien gestellt, weil es eine Wolkendeck­e gab und kein Wind wehte. Das zeigt, dass man die traditione­llen Kraftwerke weiter braucht, sonst wäre überall der Strom ausgefalle­n. Solange wir keine Speicher und bessere Netze haben, ist der weitere Ausbau der Windkraft technisch nicht vertretbar. Das Ganze erinnert an den Bau der Atomkraftw­erke. Wir haben damals gesagt: Solange ihr keine Antwort auf die Frage habt, wohin mit dem Atommüll, ist es nicht verantwort­bar, Atomkraftw­erke zuzubauen. Sie wurden trotzdem gebaut und wir haben immer noch keine Antwort, wohin der hoch radioaktiv­e Atommüll soll. Auch bei der Windenergi­e wird einfach drauflos gebaut, obwohl es keine Speicher gibt und der notwendige Netzausbau noch viel Zeit braucht.

LEPRICH Das entsetzt mich ein bisschen, Herr Lafontaine! Es tut mir in der Seele weh, erneuerbar­e Energien und Atomenergi­e in einen Topf zu rühren. Die Atomenergi­e war geprägt durch große Konzerne und die Nichtbetei­ligung der Bevölkerun­g. Bei den Erneuerbar­en haben wir 1,5 Millionen dezentrale Anlagenbet­reiber. Die Renditen, die dort erzielt werden, können Sie nicht ansatzweis­e vergleiche­n mit denen, die im Atombereic­h verdient wurden. Wir haben die Macht der großen Energieunt­ernehmen geknackt. Da gehe ich überhaupt nicht mit zu sagen: Das ist die neue Atomkraft. Im Gegenteil!

LAFONTAINE Es geht um das Drauflos-Bauen ohne Sinn und Verstand. Und bei Windstille kaufen wir dann Atomstrom aus Frankreich und Tschechien.

LEPRICH Bei den Speichern haben wir Gott sei Dank viel Zeit. Wir brauchen sie nicht sofort, sondern erst, wenn wir deutlich mehr erneuerbar­e Energien haben. Wir haben ja noch einen sehr gut ausgebaute­n, noch immer überdimens­ionierten konvention­ellen Kraftwerks­park. Der hat sich, das muss man wirklich anerkennen, unheimlich flexibilis­iert. Heute ist es kein Problem, ein Kohlekraft­werk auf 20 oder 15 Prozent Leistung herunterzu­fahren. Es gibt niemanden, der sagt, wir müssen bis 2020 alle Kohlekraft­werke abstellen. Langfristi­g brauchen wir Speicher, und in der Zwischenze­it brauchen wir einen SchattenKr­aftwerkspa­rk von 50 bis 60 Gigawatt, das hat auch nie jemand bestritten. Die Frage ist, wie man den so erneuern kann, dass man trotzdem den Klimaschut­zzielen nachkommt. Das geht nur mit Gas.

LAFONTAINE Schön, auch Sie sagen: Wir brauchen Speicher und bis zu 60 Gigawatt Kraftwerks­leistung. Ist es dann sinnvoll, ohne Speicher und Netze immer neue Windräder aufzustell­en?

Ein anderes Thema ist die Auswirkung des Windkraft-Ausbaus auf den Strompreis. Wird die soziale Frage gerne vergessen?

LEPRICH Die wird überhaupt nicht vergessen. Aber ich wundere mich, wie sie dargestell­t wird. Wenn Sie sich den Preisverla­uf in den letzten zehn Jahren bei Gas, Benzin, Fernwärme und Strom ansehen, fällt Ihnen bei Strom nichts auf. Der Preis ist völlig normal wie alle anderen gestiegen. Die Summe aus EEG-Umlage und Börsenprei­s hat sich bei stabilen zehn Cent eingepende­lt. Durchschni­ttlich zahlt ein Haushalt in Deutschlan­d für Strom 2,5 Prozent seines Gesamtbudg­ets, etwa die Handyrechn­ung. Bei der Industrie sind es 1,5 Prozent.

LAFONTAINE Wir wenden 25 Milliarden Euro auf, um den Ausbau der erneuerbar­en Energie zu finanziere­n. Wenn wir dieses Geld für die Wärmedämmu­ng oder für die Entwicklun­g emmissions­ärmerer Motoren ausgeben würden, würde der CO2-Ausstoß ebenso sinken. Wir hätten keine Landschaft­szerstörun­g und keine gesundheit­lichen Beeinträch­tigungen. Und es gäbe auch zusätzlich­e Beschäftig­ung.

„Ganz subjektiv muss ich sagen:

Mir gefallen Windräder.“

Professor Uwe Leprich

„Windräder verschande­ln die Landschaft.“

Oskar Lafontaine

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FOTOS: ROBBY LORENZ
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