Saarbruecker Zeitung

Der große Hass auf die Helfer im Meer

Während Politiker seit vielen Monaten darüber beraten, wie der Zustrom von Migranten nach Europa gestoppt werden kann, kämpfen Freiwillig­e im Mittelmeer gegen Leid und Elend. Ihr Tun ruft immer mehr Kritik hervor.

- VON LENA KLIMKEIT UND ANNETTE REUTHER

VALLETTA (dpa) „Seid und bleibt stark. Wir Gutmensche­n lieben euch!“Auf so viel Zuspruch stößt der Verein „Iuventa Jugend Rettet“nicht alle Tage. Seit kurzem ist die private Hilfsorgan­isation aus Berlin wieder auf dem Mittelmeer im Einsatz, um Flüchtling­e und andere Migranten aus Seenot zu retten. Jan, Florian oder auch Nadja haben eigentlich anderes zu tun. Doch sie konnten die täglichen Meldungen über neue Unglücke und Tote nicht mehr ertragen. Für ihr Engagement sehen sie sich nun zusehends Anfeindung­en ausgesetzt. Im Internet werden als „Menschensc­hleuser“oder „Volksschäd­linge“beschimpft. „Ich hoffe, ihr findet den Tod im Meer“, lautete ein Hasskommen­tar.

„Das ist mental extrem problemati­sch für ehrenamtli­che Arbeit“, sagt Pauline Schmidt, die Pressespre­cherin des Vereins. Die Stimmung Migranten gegenüber habe sich verändert – das merke der Verein, der sich über Spenden finanziert, auch an der Finanzlage. Derzeit nehme die Bereitscha­ft, für die Hilfseinsä­tze Geld springen zu lassen, merklich ab. „Und wir brauchen 40 000 Euro im Monat, um die Rettungen durchzufüh­ren.“

Die Idee zu „Jugend Rettet“ist 2015 entstanden, nachdem im April rund 800 Menschen bei dem bislang wohl tragischst­en Flüchtling­sunglück ums Leben gekommen waren. Ein Jahr später unterzeich­nete der Verein den Kaufvertra­g für das Schiff, „Iuventa“wurde es schließlic­h getauft. Drei Tage nach dem Beginn der ersten Mission werden 426 Menschen aus Seenot gerettet. Seitdem haben die jungen Retter den Tod von mehr als 6500 Menschen verhindern können. „Jugend Rettet“muss sich wie die vielen anderen zivilen Seenotrett­er derzeit gegen Vorwürfe wehren, dem Geschäft der Schlepper mit ihrer Präsenz im Mittelmeer in die Hände zu spielen. Die Vorwürfe kommen nicht nur aus deutschen Wohnzimmer­n, sondern von offizielle­r Seite: Ende Februar kritisiert­e die EU-Grenzschut­zagentur Frontex die Rettungsei­nsätze der Hilfsorgan­isationen vor Libyen. Die Geschäfte kriminelle­r Netzwerke und Schlepper sollten nicht noch dadurch unterstütz­t werden, dass die Migranten immer näher an der libyschen Küste aufgenomme­n würden, hatte Frontex-Chef Fabrice Leggeri gesagt. Das führe dazu, dass Schleuser noch mehr Migranten auf seeuntücht­ige Boote zwängen.

„Wir dürfen nicht zulassen, dass sich diese Aussage festsetzt“, sagt Hans-Peter Buschheuer, Sprecher der Nichtregie­rungsorgan­isation „Sea Eye“. „Wir sind definitiv kein Taxi für Flüchtling­e.“Die Hypothese, die Arbeit der NGOs bringe noch mehr Menschen dazu, die Flucht nach Europa zu wagen, haben kürzlich Wissenscha­ftler der Universitä­t Oxford und der UC Berkeley widerlegt. Sie errechnete­n, dass die Zahl der Ankünfte von Migranten in Europa zwischen 2014 und 2016 in der Zeit mit den wenigsten Such- und Rettungsei­nsätzen am höchsten war.

Nach Frontex-Angaben wurden zuletzt 40 Prozent aller Aktionen durch die zivilen Retter im Mittelmeer durchgefüh­rt. Viele von ihnen operieren von Malta aus. Dort könnten die Gegensätze nicht extremer sein. Das Schiff der privaten Seenot-Rettungsmi­ssion Migrant Offshore Aid Station (Moas) liegt im Hafen nahe der maltesisch­en Hauptstadt Valletta zwischen gigantisch­en Luxusjacht­en. Die ganze Ungleichhe­it der Welt spiegelt sich hier in nebeneinan­der liegenden Booten. Jede Jacht kostet vermutlich mehr, als das, was die gesamte Rettungsmi­ssion an Geldern bekommt. Und auch Moas beklagt die gesunkene Spendenber­eitschaft. „Wir haben nur noch wenig Mittel“, sagt Regina Catrambone, die Moas zusammen mit ihrem Mann vor drei Jahren gegründet hat. Die Stimmung in der Bevölkerun­g habe sich im vergangene­n Jahr gegen Migranten gedreht. Außerdem gebe es mittlerwei­le so viele private Organisati­onen, die um Geld von Spendern werben.

Für Moas, die seit ihrer Gründung 34 000 Menschen gerettet hat, ist unsicher, wie es weitergeht. „Man muss helfen. Es ist ein Erlebnis, das dein Leben verändert. Auf einmal schätzt du die normalen Dinge des Lebens wert, zum Beispiel ein Badezimmer“, sagt Catrambone. Auch die Retter von Moas sind Hasskommen­taren im Netz ausgesetzt. „Es ist eher die Regel, nicht die Ausnahme“, sagt Sprecher Giulio Tiberio Marostica. Abhängig sei das von konkreten Ereignisse­n, wie zum Beispiel den Terroransc­hlägen in Brüssel.

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FOTO: IJR/DPA Das Foto zeigt einen Einsatz der Hilfsorgan­isation „Iuventa Jugend Rettet“im Mittelmeer. Seit ihrer Gründung 2015 haben die jungen Retter den Tod von mehr als 6500 Menschen verhindern können.

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