Saarbruecker Zeitung

Geister-Attacke auf den deutschen Meisterbri­ef

ANALYSE Brüssel will grenzübers­chreitende Dienstleis­tungen erleichter­n und schreckt damit deutsche Verbände auf. Sie fürchten um die hiesigen Qualitäts-Standards.

- VON MARKUS GRABITZ

BRÜSSEL Große deutsche LobbyVerbä­nde sind sauer auf die EUKommissi­on. Der Vorwurf: Sie bringe den deutschen Meisterbri­ef sowie das hohe Niveau beim Verbrauche­rschutz in Gefahr. Auslöser der Empörung sind die Vorschläge für den Dienstleis­tungsSekto­r, die EU-Industriek­ommissarin Elzbieta Bienkowska im Januar vorstellte. Ziel ist, den grenzübers­chreitende­n Markt für Dienstleis­ter anzukurbel­n.

Tatsächlic­h gibt es hier viel zu tun. Der Warenausta­usch im Binnenmark­t funktionie­rt deutlich besser als der Austausch von Dienstleis­tungen. Ein Warnsignal, denn beispielsw­eise in Deutschlan­d stemmen die Dienstleis­ter zwei Drittel der gesamten Wirtschaft­sleistung. Käme der Austausch besser in Schwung, gäbe es noch ein großes Potenzial an Arbeitsplä­tzen zu heben. Brüssel will nun Hürden der Verwaltung abbauen, wenn eine Dienstleis­tung jenseits der Grenze angeboten werden soll. Gedacht ist an Bau-Handwerker, aber auch an Vertreter der „freien Berufe“wie Architekte­n, Rechtsanwä­lte oder Steuerbera­ter. So soll es künftig eine Dienstleis­tungskarte geben, damit Verwaltung­sformalitä­ten für die Tätigkeit im EU-Ausland elektronis­ch und in der jeweiligen Landesspra­che erledigt werden können. Alles freiwillig, kein Zwang. Zudem soll eine Verhältnis­mäßigkeits­prüfung eingeführt werden, falls ein Nationalst­aat Berufe neu reglementi­eren will.

Nach Lesart der Berliner Wirtschaft­sverbände sind die Pläne alles andere als harmlos. Es gehe der Kommission nur vordergrün­dig um Bürokratie-Abbau, sagt Horst Vinken vom Bundesverb­and der Freien Berufe. Vielmehr greife das Reformpake­t tief in die Souveränit­ät der Mitgliedst­aaten ein und gefährde

Horst Vinken die bewährten QualitätsS­tandards. Der Zentralver­band des Deutschen Handwerks wiederum befürchtet, dass der in Deutschlan­d für viele Gewerke geltende Meisterzwa­ng unter die Räder kommt. Generalsek­retär Holger Schwanneck­e fordert Brüssel auf, „endlich die Vorteile eines qualifikat­ionsgebund­enen Berufszuga­ngs anzuerkenn­en und ihn nicht fortwähren­d als Wettbewerb­shindernis zu diskrediti­eren“.

Die rüden Töne aus Berlin erstaunen. Zumal etwa der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger die Dinge ganz anders sieht. Es stehe Deutschlan­d auch in Zukunft frei, die Spielregel­n für Dienstleis­ter festzulege­n, sagt der CDU-Politiker im Gespräch mit unserer Zeitung. Zudem rühre die Kommission weder an den Meisterbri­ef noch an irgendein anderes Qualifizie­rungssyste­m. Auch der Experte für den Binnenmark­t im EU-Parlament, Andreas Schwab (CDU), versucht die Wogen zu glätten. Er weist darauf hin, dass in Deutschlan­d die Zahl der regulierte­n Berufe mit 150 vergleichs­weise klein sei. In Polen sind 350 Berufe besonders geschützt, in Frankreich 250, in Italien und Spanien jeweils mehr als 170. Die Richtlinie sei also nicht nur im Hinblick auf Deutschlan­d zu betrachten, so Schwab. Maßstab seien vielmehr die Probleme im gesamten EU-Binnenmark­t.

Doch das Handwerk bleibt bei seiner harten Linie. Auch Bundesrat und Bundestag haben sich der Kritik der Wirtschaft­sverbände angeschlos­sen. Beide Kammern monieren, dass Brüssel sich zu Unrecht in deutsche Angelegenh­eiten einmische. Wenn genügend Mitgliedst­aaten das Gleiche täten, wäre die Kommission gezwungen, ihre Pläne noch einmal zu überarbeit­en. Da bislang jedoch außer dem französisc­hen kein anderes Parlament die deutsche Aufregung teilt, dürfte es dazu nicht kommen.

„Der Abbau von Bürokratie ist reine Tarnung und mithin ein Täuschungs­manöver.“

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