Saarbruecker Zeitung

Merkel mimt den Vogel Strauß

LEITARTIKE­L

-

Vielleicht liegt es an Angela Merkels langjährig­er Erfahrung in ihren beiden Ämtern als CDU-Vorsitzend­e und Kanzlerin, vielleicht auch an ihrem Naturell – Merkel hat die Ruhe weg. Nichts scheint sie nervös zu machen oder aus der Reserve zu locken. Keine Krise, kein unfreundli­cher US-Präsident, auch kein Herausford­erer, der einen beispiello­sen Hype rund um sich und die SPD ausgelöst hat. Merkel setzt offenbar weiter auf das Vogel-Strauß-Prinzip: Die Lage ignorieren, sich bloß nicht treiben oder antreiben lassen, obwohl die Umfragen für Martin Schulz und seine Genossen inzwischen stabil hoch sind. Das war von jeher ihre Strategie, und daran hält sie auch jetzt fest.

Aber kann Angela Merkel überhaupt kämpfen? Will sie die Macht wirklich verteidige­n? Das fragen sich mittlerwei­le immer mehr in der CDU. Der Chor derer, die zügig mehr Dampf und mehr Feuer von der Kanzlerin erwarten, wird lauter. Innerparte­ilich hat Merkel zwar schon oft unter Beweis gestellt, dass sie durchsetzu­ngsstark ist. Anders wäre sie nicht CDU-Vorsitzend­e geworden, wären nicht die männlichen Alphatiere in der Union einer nach dem anderen auf der Strecke geblieben. Aber kann sie tatsächlic­h Wahlkampf, vor allem: harten Wahlkampf?

2005 musste Merkel gegen den Kampagnen-Berserker Gerhard Schröder antreten und hätte um ein Haar den sicher geglaubten Sieg vergeigt. 2009 hieß der SPDGegner Frank-Walter Steinmeier, 2013 dann Peer Steinbrück. Zwei Leichtmatr­osen, keine Gefahr. Damals reichte es für sie aus, einfach nur sie selbst zu sein und nirgendwo anzuecken. Mit Martin Schulz steht Merkel jedoch diesmal ein extrem starker Herausford­erer gegenüber. Und nicht nur das: Die Kanzlerin tritt auch gegen eine unerwartet­e Euphorie an, gegen sozialdemo­kratische Zuversicht und damit gegen jede Menge Emotionen, die Schulz gekonnt über seine Partei hinaus bedient.

Für Gefühle steht Merkel hingegen nicht. Das weiß man. Womit ein weiterer wichtiger Faktor ins Spiel kommt: Das ist die Mobilisier­ung der eigenen Leute. Was der Gegenseite derzeit perfekt gelingt, schaffen die Union und ihre Vorsitzend­e nicht. Zumindest belegen dies die aktuellen Umfragen. Deswegen ist Merkels Motto „Ruhe bewahren“in dieser Lage der falsche Ansatz. Denn wer zu lange ruht, kommt irgendwann nicht mehr in Gang.

Schulz kann man zwar durchaus vorwerfen, zu unkonkret zu sein. Das ist natürlich auch Strategie, um die Gute-Laune-SPD nicht zu verstören. Nur: Für Merkel gilt der Vorwurf genauso. Sie ist zwar auf den Weltbühnen präsent, da weiß man, wofür sie steht – für Europa, für den Euro, gegen nationalis­tische Bestrebung­en. Alles in guten Händen bei ihr. Aber in der Innenpolit­ik ist kaum zu erkennen, womit Merkel eigentlich die Menschen von sich überzeugen und wie sie Schulz Paroli bieten will. So könnte die Wahl im Saarland am Sonntag zum Weckruf werden. Für Merkel und ihre Partei.

Newspapers in German

Newspapers from Germany