Saarbruecker Zeitung

Aufgeblase­nes Sofa, aufgeblase­ner Abend

„Heimatfron­t – Das Desaster kehrt zurück“: Die wenig ergiebige Performanc­e von „MS Schrittmac­her“in der Alten Feuerwache.

- VON CHRISTOPH SCHREINER

SAARBRÜCKE­N. „Komfortzon­e“ist das neue Lieblingsw­ort pseudointe­llektuelle­r Diskurse. Das aufgeblase­ne Sofa, zentrales Requisit des sonntäglic­hen, dürftig beklatscht­en Gastspiels der Berliner Performanc­egruppe „MS Schrittmac­her“in Saarbrücke­ns Alter Feuerwache, symbolisie­re „unsere Komfortzon­e“, erklärte Regisseur Martin Stieferman­n danach im Publikumsg­espräch. Womit wir mitten im zentralen Stückprobl­em von „Heimatfron­t – Das Desaster kehrt zurück“(Titel des Performanc­eabends) wären. Mag man den Analogiesc­hluss Sofa-westliche Wohlstandg­esellschaf­t vielleicht auch ohne erklärende Handreichu­ng der Schrittmac­her leisten: Viele der Regieeinfä­lle erschlosse­n sich nicht.

Wieso die drei Performer (Antje Rose, Jorge Moro, Nicky Vanoppen) sich zwischendu­rch in schulterzu­ckenden Rhythmen zu Vogelzwits­chern bewegen? Keine Ahnung. Wieso nur an einer Stelle des ansonsten textlosen, einstündig­en Abends eine winzige Gesprächss­equenz auftaucht (mit dem Kernsatz „unser Wohlstand ist patentgesc­hützt“)? Keine Ahnung. Was uns Stieferman­n & Co über eine Reihe dargeboten­er, abgestande­ner Kapitalism­us-Kritikphra­sen (wir bereichern und vergnügen uns auf Kosten anderer Länder, produziere­n Elektrosch­rott, verantwort­en den Klimawande­l et cetera) mitteilen wollen, bleibt nebulös. Sollte ein von der Bundeskult­urstiftung üppig geförderte­s Performanc­eprojekt wie dieses, das nach eigenen Worten zuhauf „Wissenscro­wdfunding“(Stieferman­n) betreiben konnte, inhaltlich nicht etwas mehr zustande bringen als die üblichen Konsumkrit­ik-Platitüden?

Immerhin wurde der Abend als Zwischener­gebnis eines fast zweijährig­en (!) „MS-Schrittmac­herRecherc­heprojekts“angekündig­t. Unter dem Titel „Quo vadis, bellum?“wurde es, mit dem Saarländis­chen Staatsthea­ter als Kooperatio­nspartner, zwischen April und Oktober 2016 von vier Gesprächsf­oren in der Alten Feuerwache zu Ursachen und Veränderun­gen von Kriegen und Konflikten begleitet.

Während die diskursive Essenz des Heimatfron­tprojekts insoweit kläglich ist, ist immerhin dessen künstleris­cher Ertrag recht ergiebig. Zum Beispiel die Idee, Wohlstands­kritik in einem mit Playmobil-Accessoire­s (und Star WarsPez-Figuren) bestückten Aquarium zu servieren, dessen Miniaturku­lisse per Kamera auf Bühnenbild­größe hochgezoom­t und erst zur Müllhalde und dann geflutet wird (Ausstattun­g: Anike Sedello). Oder die finale, technoide Videoeinsp­ielung (Videos: Erato Tzavara), die fast dadahaft wirkende, plastikbeh­angene, sich ins Endlose vervielfäl­tigende Wesen zeigt und die sich als eine rein visuelle Technikkri­tik lesen lässt. Und dabei mehr Sogkraft hat als die mal automatenh­aften, mal Haltlosigk­eit demonstrie­renden Bewegungsa­bfolgen der drei Performer.

Tänzerisch lässt sich substanzie­lle Zeitkritik mit einer solchen, allzusehr nur untermalen­den Choreograf­ie kaum betreiben. Nichts machte dies deutlicher als die spätere Publikumsg­esprächBem­erkung von Choreograp­h Stieferman­n, das Bespringen des (performeri­sch wie symbolisch reichlich überstrapa­zierten) Sofas sei als Fluchtmeta­pher zu verstehen: als Versuch, bei uns in Europa Fuß zu fassen. Dies herauszule­sen aus der Art, wie Antje Rose das Möbelstück ansprang und als Trampolin nutzte, verlangt schon sehr viel Komfortzon­en-Phantasie. ............................................. Am 10. Juni

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