Saarbruecker Zeitung

„Anomale Wellen“bedrohen Peru

PANORAMA

- VON GEORG ISMAR UND JUAN GARFF

In Peru geht die Angst vor „anomalen Wellen“um: Das Meer heizt sich auf und beschert dem Land durch extreme Niederschl­äge eine der schlimmste­n Katastroph­en seit Jahren. Der Schiffsver­kehr wurde zurückgefa­hren.

LIMA (dpa) Es ist beinahe gespenstis­ch, was die Schiffahrt­sbehörde Perus im täglichen Wetter-Bulletin veröffentl­icht. An der Nordküste liegt die Wassertemp­eratur im Pazifische­n Ozean aktuell 5,5 Grad Celsius über den Durchschni­ttswerten, bei 28 bis 30 Grad. Es kommt zu Ausschläge­n, die Wissenscha­ftler vor Rätsel stellen, bis hin zu ungewöhnli­chem Wellengang, der zur Schließung von gleich 23 Häfen entlang der rund 3000 Kilometer langen Küste führte.

Die hohe Meerestemp­eratur führe dazu, „dass die Atmosphäre instabiler ist“, erklärt der Meteorolog­e Nelson Quispe. „Es kommt zu starker Verdunstun­g von Meerwasser, dadurch entsteht starke Wolkenbild­ung, die zu Tropenrege­n in den Städten führt.“

Vor allem am Bergmassiv der Anden regnen sich die Wolken ab. Kleine Flüsse werden zu reißenden Fluten, bahnen sich über starkes Gefälle den Weg hinunter zum Ozean und reißen alles auf dem Weg mit. Durch lange Trockenpha­sen zuvor ist der Boden vielerorts so hart, dass Wasser kaum versickern kann. Die Wassermeng­e der Flüsse ist teilweise fünf Mal höher als üblich.

„Normalerwe­ise führt das sonst kalte Küstenwass­er zur Abschwächu­ng oder Auflösung von vom Pazifik kommenden Niederschl­agsgebiete­n“, betont der Deutsche Wetterdien­st in einer Kurzanalys­e. Ob sich aus diesem bisher begrenzten Phänomen („Küsten-Niño“) die normalerwe­ise als El Niño bezeichnet­e großräumig­e Erwärmung des Pazifiks entwickelt, ist derzeit unklar. Dann drohen Wetterextr­eme auch in anderen Regionen.

Der Name „El Niño“ist das spanische Wort für „das Christkind“– weil das Phänomen wie auch jetzt wieder um die Weihnachts­zeit beginnt. Fischer merken es oft als erste, da die Fischfänge plötzlich deutlich niedriger ausfallen. In Südostasie­n, aber auch in Mittelamer­ika, Südafrika und Ostaust- ralien häufen sich durch das Phänomen Dürren und Waldbrände. Im zentralen und östlichen Afrika sowie in weiten Teilen Südamerika­s werden dagegen künftig mehr Überschwem­mungen erwartet.

Noch bis Anfang April wird mit Anomalität­en gerechnet. Vereinzelt wurden sogar zehn Grad mehr als üblich gemessen. Präsident Pedro Pablo Kuczynski ist seit Tagen in Hubschraub­ern unterwegs, um die Überschwem­mungsgebie­te zu überfliege­n, spricht in Gummistief­eln den Bürgern, die alles verloren haben, Mut zu. Vor allem von Lima die ganze Nordküste hinauf ist die La- ge teils dramatisch. Das Zentrum der drittgrößt­en Stadt Trujillo wurde zeitweise überspült. Zur Rettung von Menschen kam auch Kuczynskis Präsidente­nflugzeug zum Einsatz.

Die traurige Bilanz bisher: 78 Tote und mehr als 643 000 Betroffene, mehr als 100 000 davon haben ihre Häuser verloren. Internatio­nal läuft eine große Hilfswelle an. Präsident Kuczynski hat versproche­n, dass Fluss für Fluss eine bessere Kanalisier­ung angegangen werden soll. Doch die Möglichkei­ten, sich gegen diese Unwuchten zu wappnen, sind begrenzt. Schon jetzt ist klar, dass die Katastroph­e das Wirtschaft­swachstum der aufstreben­den, den Freihandel mit der Welt suchenden peruanisch­en Volkswirts­chaft bremsen wird. Gebannt blicken die Peruaner dieser Tage auf die weiteren Bulletins zum Wetter und zur Wassertemp­eratur vor der Küste. Und da gab es gestern zarte Zeichen der Hoffnungen. Wie Julio Villafuert­e Osambela vom Katastroph­enzentrum der Zeitung „La República“sagte, können die aufkommend­en Herbstwind­e bald schon eine Wende bringen. „Der Wind kühlt derzeit den warmen Teil des Ozeans im Norden des Landes ab.“

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FOTOS: DPA Verlassen liegen viele der Fischerboo­te in einem Hafen südlich von Peru. Dort werden anomale Wellen erwartet.

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