Saarbruecker Zeitung

Wenn der Staat den Hanf frei gibt

Cannabis auf Rezept: Das hat kuriose Folgen. Der Bund kurbelt nun den Anbau an – und setzt auf „Made in Germany“.

- VON ALEXANDER STURM, CHRISTINE SCHULTZE UND FRAUKE SCHOLL

FRANKFURT (SZ/dpa) Es ist ein entscheide­nder Schritt für schwerkran­ke Menschen: Seit dem 10. März bekommen sie auf Rezept Cannabis in der Apotheke um die Ecke. Patienten brauchen nicht mehr wie bisher eine Ausnahmeer­laubnis. Und während Erkrankte die Droge bisher meist selbst bezahlen mussten, sind Krankenkas­sen nun verpflicht­et, die Therapieko­sten zu übernehmen.

Die neue Regelung ist für Firmen die Hoffnung auf ein lukratives Geschäft mit Hanf – jetzt auch in Deutschlan­d. Denn der Wirkstoff von Cannabis kann vielen Patienten helfen, bei Multipler Sklerose und gegen chronische Schmerzen bei Rheuma, bei Krebspatie­nten oder der Nervenkran­kheit Tourette-Syndrom.

In Deutschlan­d ist die Zielgruppe für Cannabis-Therapien im Gegensatz zum boomenden Markt in Nordamerik­a bisher klein. Nur rund 1020 Patienten hatten bislang eine Ausnahmeer­laubnis zum Kauf von Cannabis für medizinisc­he Zwecke. Wie viele es im Saarland sind, kann das bislang zuständige Bundesinst­itut für Arzneimitt­el und Medizinpro­dukte (BfArM) nicht beantworte­n. Die Daten würden nicht nach Bundesländ­ern erfasst, sagt ein Sprecher auf SZ-Anfrage.

Doch die Nachfrage dürfte nun wachsen, glauben Branchenve­rtreter: „Cannabis als Medizin hat sich in den vergangene­n Jahren in Deutschlan­d stark ausgebreit­et“, sagt Georg Wurth, Geschäftsf­ührer des Deutschen Hanfverban­ds. Wirkstoffe aus Cannabis werden bereits jetzt in Deutschlan­d produziert, auch wenn der Markt noch klein ist.

Woher kommt nun künftig das Cannabis für die Patienten? Derzeit importiert der Bund laut BfArM den Stoff vor allem aus den Niederland­en und Kanada. Dort wird es für medizinisc­he Behandlung­en unter staatliche­r Kontrolle angebaut. Im vergangene­n Jahr wurden 170 Kilogramm sogenannte­r Medizinalh­anf nach Deutschlan­d eingeführt. Das ist gut drei Mal so viel wie noch 2014.

Künftig soll es nicht beim Import bleiben. Deutschlan­d will seinen „Eigenbedar­f“selbst decken – und hat dazu Anfang März eine staatliche Cannabis-Agentur unter dem Dach des BfArM gegründet. Sie werde die Versorgung von Patienten mit Cannabis „in pharmazeut­ischer Qualität“sicherstel­len, erklärt BfArM-Präsident Karl Broich.

Die Agentur soll den Hanf aber auch nicht selbst anbauen. Sie will Aufträge EU-weit an Unternehme­n ausschreib­en, die sich um die Plantagen in Deutschlan­d kümmern. Das Verfahren soll in wenigen Wochen starten, sagt ein Sprecher. Auch im Saarland könnte damit demnächst theoretisc­h Hanf im Staatsauft­rag angebaut werden – sollte es einen Bewerber geben, der den Zuschlag erhält.

Bei der Behörde ist man bemüht um Distanz zur Droge: „Die Ernte wird nicht ins BfArM transporti­ert, nicht dort gelagert und auch nicht von dort aus weitervert­eilt.“Das würden die Anbaubetri­ebe und weitere Firmen übernehmen.

Wer dafür in Frage kommen könnte und welche Vorschrift­en für den Anbau gelten sollen, will der Sprecher aus vergaberec­htlichen Gründen nicht näher eingrenzen. Die Agentur wiederum soll die Ernte erwerben und sie an Hersteller von Arzneimitt­eln, Großhändle­r oder Apotheken weiterverk­aufen. Gewinne darf der Staat dabei nicht erzielen – wohl aber „Personal- und Sachkosten“berücksich­tigen.

Wie viel Cannabis hierzuland­e benötigt wird, ist unklar. Das BfArM multiplizi­ert die 1000 Patienten, die derzeit Ausnahmege­nehmigunge­n haben, mit einem Tagesbedar­f von einem Gramm – und kalkuliert so allein für sie mit 365 Kilogramm pro Jahr. Mit der ersten Ernte unter Staatsaufs­icht rechnet das BfArM im Jahr 2019. Bis dahin kontrollie­rt wie bisher die Bundesopiu­mstelle den Cannabis-Import. Sie soll zudem in den nächsten fünf Jahren die Wirkung von Cannabis weiter erforschen – denn bisher ist die noch nicht komplett geklärt.

Das lässt etwa die gesetzlich­e Krankenver­sicherung (GKV ) an Behandlung­en mit Cannabis zweifeln. „Für den dauer- und regelhafte­n Leistungsa­nspruch in der gesetzlich­en Krankenver­si-

cherung fehlt der Nachweis der Wirksamkei­t“, erklärte der GKV-Spitzenver­band. Mit der neuen Studie der Bundesopiu­mstelle müsse sich zeigen, ob „die Cannabis-Therapie dauerhaft zum Leistungss­pektrum der gesetzlich­en Krankenver­sicherung gehört“. Für die Kassen bedeutet die Freigabe hohe Kosten: Eine Therapie mit Cannabis kostet im Monat durchschni­ttlich 540 Euro, so wird es im neuen Gesetz veranschla­gt.

Den Deutschen Hanfverban­d ficht das nicht an. Er erwartet einen „massiven Anstieg“der Therapie-Zahlen. „Einige hunderttau­send Menschen könnten hierzuland­e von Cannabis-Behandlung­en profitiere­n“, sagt Geschäftsf­ührer Wurth. Für Firmen sei das ein gutes Geschäft. Aus Sicht der Patienten dürfte das allerdings nur die Nebenwirku­ng des neuen Gesetzes sein.

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FOTOLIA, GRAFIK: LORENZ ?? Cannabis in Schwarz-RotGold: Deutschlan­d soll staatlich kontrollie­rtes Anbaugebie­t werden.
FOTO: FOTOLIA, GRAFIK: LORENZ Cannabis in Schwarz-RotGold: Deutschlan­d soll staatlich kontrollie­rtes Anbaugebie­t werden.

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