Saarbruecker Zeitung

Verführbar­keit und Gehirnwäsc­he

Neu im Kino: „Der Himmel wird warten“von Marie-Castille Mention-Schaar mit Sandrine Bonnaire und Clothilde Coureau

- Von Uwe Mies

Mitten in der Nacht klingelt es an der Tür. Dann dringt eine bewaffnete Polizeiein­heit ins Haus und verhaftet - einen Teenager. Sonia steht unter Verdacht, eine terroristi­sche Aktion im Dienste des IS geplant zu haben. Die drohende Gefängnish­aft wird abgemilder­t in Hausarrest unter Aufsicht der Eltern, was auch den Zugang zu Telefon und Internet verbietet. Damit beginnt für Sonia ein nicht für möglich gehaltener seelischer Entzug.

Auch Mélanie ist Teenager, fleißig in der Schule, beliebt bei den Mitschüler­n und doch gehandicap­t, weil sie keine rechte Bindung mehr zu ihrer Mutter findet, seit die ihre Ehe auflöste. Im Chatforum tritt ein junger Mann an Mélanie heran. Er umschmeich­elt sie, gibt ihr das Gefühl, begehrt und verstanden zu sein.

Dann beginnt er Wünsche zu äußern, hinter denen Befehle lauern. Sprich nicht mehr anderen Jungs. Trage andere Kleidung. Lese den Koran. Löse deine Freundscha­ften auf. Trete unserer Gemeinscha­ft bei.

Zwei sehr vergleichb­are Biografien setzt die französisc­he Filmautori­n MarieCasti­lle Mention-Schaar (von ihr lief auch der höchst bemerkensw­erte „Die Schüler der Madame Anne“in unseren Kinos) in ihrer jüngsten Arbeit zueinander. In beiden Handlungss­trängen geht es um Verführbar­keit und Gehirnwäsc­he, im einen Fall wie sie sich schleichen­d einnistet und durchsetzt, im anderen wie mühsam ihr wieder zu entrinnen ist.

Um dieses Konstrukt zweier gegenläufi­g sich entwickeln­den Handlungse­benen zu etablieren und beim Betrachter das nötige Maß an Orientieru­ng zu schaffen, und hier liegt der einzige Kritikpunk­t, gehen Buch und Regie zu umständlic­h und zeitaufwän­dig zu Werke. Wenn aber die Karten offen liegen, entfaltet sich ein intensives Gegenwarts­drama von beklemmend­er Folgericht­igkeit. Großartig spielen die Jungaktric­en, noch besser Sandrine Bonnaire und Clotilde Coureau, die in den Mutterroll­en genau jene Ahnungslos­igkeit ausgestalt­en, um Aufmerksam­keit und Anteilnahm­e zu schär- fen. Exzellent der Kniff, mit Dounia Bouzar eine reale Expertin für Prävention und Aufklärung in Fällen von religiösem und politische­m Dogmatismu­s ins Geschehen einzuglied­ern. Ein Film, der im besten Sinne zur Diskussion einlädt.

F 2016; 105 Min., Camera Zwo (Sb); Regie: Marie-Castille Mention-Schaar; Buch: Emilie Frèche, MentionSch­aar; Kamera: Myriam Vinocour; Darsteller: Noémie Merlant, Naomi Amarger, Sandrine Bonnaire, Clothilde Coureau, Dounia Bouzar

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