Warum die Republik auf das Saarland schaut
Vom Ausgang der Landtagswahl hängt ab, wie die Parteien ins Bundestagswahljahr starten. Für einige geht es um die politische Existenz.
SAARBRÜCKEN Wann gibt es das schon mal, dass die BBC und das russische Fernsehen aus dem Saarland berichten? Das Interesse der internationalen und nationalen Medien an der Landtagswahl am Sonntag ist enorm. Es gilt aber weniger der Frage, ob im Saarland wieder das neunjährige Gymnasium eingeführt wird, die Kita-Gebühren sinken, das Grubenwasser steigt, die Uni mehr Geld bekommt oder der Ausbau der Windkraft gebremst wird. Die meisten Journalisten von außerhalb des Saarlandes kommen vor allem deshalb nach Saarbrücken, um zu sehen, ob der „Schulz-Effekt“im Saarland seinen ersten RealitätsTest besteht. Im Mai stehen Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen an, im September die Bundestagswahl.
In den vergangenen Wochen hat sich im Saarland die Polit-Prominenz die Klinke in die Hand gegeben: Angela Merkel, Martin Schulz, Sahra Wagenknecht, Frauke Petry, Cem Özdemir, Christian Lindner – alle machten im Saarland Wahlkampf, einige von ihnen kamen sogar öfter. Das zeigt, dass die Saar-Wahl für die Bundesparteien eine wichtige Rolle auf dem Weg zur Bundestagswahl spielt, auch psychologisch.
Schon heute steht fest, dass es ein spannender Wahlabend wird, bis Landeswahlleiterin Monika Zöllner das vorläufige amtliche Endergebnis bekannt geben wird. Im ZDF-„Heute-Journal“sprach der Moderator am Donnerstagabend von der „spannendsten Saarland-Wahl aller Zeiten“. Das ist vielleicht ein bisschen hoch gegriffen, denn auch 2009 war es nicht gerade langweilig, ganz zu schweigen von den Wahl-Krimis 1975 (Patt zwischen der CDU und der SPD/FDP-Allianz) und 1999 (hauchdünne CDU-Mehrheit).
Für die Spannung hat jemand gesorgt, der im Saarland gar nicht zur Wahl steht. Denn nach der Ausrufung von Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten der SPD schoss die Partei in den Umfragen empor, im Bund noch etwas stärker als im Saarland. Je nach Erhebung hätte die Saar-SPD nunmehr nicht nur die Chance, die bei den Saarländern beliebte große Koalition fortzusetzen, sondern auch eine rot-rote (oder notfalls rot-rot-grüne) Koalition mit der Linken einzugehen. Das wäre ein Novum in einem westdeutschen Bundesland – und für die Befürworter einer Zusammenarbeit beider Parteien im Bund „ein wichtiges Signal“, wie Ex-Linken-Chef Gregor Gysi gerade kundtat.
Rot-Rot wäre rechnerisch übrigens schon nach der Wahl 2012 möglich gewesen, die SPD entschied sich aber für die große Koalition. Linken-Fraktionschef Oskar Lafontaine, der letztmals für den Landtag kandidiert, sieht den Regierungswechsel nun zum Greifen nah. Weder inhaltlich noch personell gibt es größere Hürden für ein solches Bündnis. SPDKanzlerkandidat Martin Schulz hat keine Einwände gegen Rot-Rot an der Saar.
Könnte die SPD auf diese Weise der CDU eine weitere Staatskanzlei abjagen, würde Schulz bei seiner Kanzlerkandidatur Rückenwind verspüren, es wäre auch ein Rückschlag für die CDU, die dann bundesweit nur noch drei Regierungschefs stellen würde (Hessen, Sachsen, Sachsen-Anhalt). Umgekehrt dürfte die auf Bundesebene zuletzt arg gebeutelte Union neue Hoffnung schöpfen, wenn sie gegenüber der Wahl von 2012 zulegt und die Staatskanzlei am Saarbrücker Ludwigsplatz verteidigt.
Die saarländische SPD und ihre Spitzenkandidatin Anke Rehlinger, die voll auf den Schulz-Effekt setzen und einen Wahlkampf für mehr soziale Gerechtigkeit führten, halten sich auch eine Fortsetzung der großen Koalition offen, vorzugsweise als stärkste Kraft. Die CDU und ihre populäre Regierungschefin Annegret Kramp-Karrenbauer wollen ihrerseits die 1999 errungene Position als Nummer eins im Land verteidigen und weiterhin die große Koalition anführen, um das 2012 gestartete „Projekt“fortzuführen, wie KrampKarrenbauer betont: die Sicherung der Eigenständigkeit des Landes. Eine andere Koalitions-Möglichkeit hätte die CDU auch nicht. Die Umfragen sehen die CDU je nach Institut einen Prozentpunkt bis fünf Punkte vor der SPD – bei einer Fehlertoleranz von bis zu drei Punkten nach oben und unten. In beiden Parteien war zuletzt die Nervosität zu spüren.
Welche Machtoptionen es im nächsten Landtag gibt, wird auch davon abhängen, ob FDP und Grüne in den Landtag einziehen. Beide Parteien schneiden im Saarland traditionell schlechter ab als auf Bundesebene, sie müssen aktuellen Umfragen zufolge zittern. Es könnte für beide ein langer Abend werden.
Schaffen Grüne und FDP den Sprung in den Landtag, dann gäbe es im Saarland ein Sechs-Parteien-Parlament – übrigens erstmals wieder seit 1955.
Den Piraten werden nach ihrem Überraschungserfolg von 2012 keine Chancen mehr eingeräumt, sie rangieren in den Umfragen unter „Sonstige“.
Das Abschneiden der AfD wird ebenfalls mit Spannung erwartet. In den Umfragen hat der auch innerparteilich umstrittene Landesverband in den vergangenen Wochen Federn lassen müssen. Allerdings ist fraglich, wie zuverlässig die Demoskopen die AfD überhaupt einschätzen können, 2016 lagen sie mehrmals daneben.
Als wahrscheinlich gilt, dass wieder mehr Bürger zur Wahl gehen als bei den vergangenen Landtagswahlen. Im Saarland beteiligten sich traditionell sehr viele Bürger an Wahlen, oft über 80 Prozent. Das änderte sich 1999 (68,7 Prozent), der Tiefpunkt war 2004 mit 55,5 Prozent erreicht. Das knappe Rennen sowie die Mobilisierung durch AfD und „Schulz-Effekt“lassen eine größere Beteiligung als 2012 (61,6 Prozent) erwarten.