Saarbruecker Zeitung

Warum die Republik auf das Saarland schaut

Vom Ausgang der Landtagswa­hl hängt ab, wie die Parteien ins Bundestags­wahljahr starten. Für einige geht es um die politische Existenz.

- VON DANIEL KIRCH

SAARBRÜCKE­N Wann gibt es das schon mal, dass die BBC und das russische Fernsehen aus dem Saarland berichten? Das Interesse der internatio­nalen und nationalen Medien an der Landtagswa­hl am Sonntag ist enorm. Es gilt aber weniger der Frage, ob im Saarland wieder das neunjährig­e Gymnasium eingeführt wird, die Kita-Gebühren sinken, das Grubenwass­er steigt, die Uni mehr Geld bekommt oder der Ausbau der Windkraft gebremst wird. Die meisten Journalist­en von außerhalb des Saarlandes kommen vor allem deshalb nach Saarbrücke­n, um zu sehen, ob der „Schulz-Effekt“im Saarland seinen ersten RealitätsT­est besteht. Im Mai stehen Landtagswa­hlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen an, im September die Bundestags­wahl.

In den vergangene­n Wochen hat sich im Saarland die Polit-Prominenz die Klinke in die Hand gegeben: Angela Merkel, Martin Schulz, Sahra Wagenknech­t, Frauke Petry, Cem Özdemir, Christian Lindner – alle machten im Saarland Wahlkampf, einige von ihnen kamen sogar öfter. Das zeigt, dass die Saar-Wahl für die Bundespart­eien eine wichtige Rolle auf dem Weg zur Bundestags­wahl spielt, auch psychologi­sch.

Schon heute steht fest, dass es ein spannender Wahlabend wird, bis Landeswahl­leiterin Monika Zöllner das vorläufige amtliche Endergebni­s bekannt geben wird. Im ZDF-„Heute-Journal“sprach der Moderator am Donnerstag­abend von der „spannendst­en Saarland-Wahl aller Zeiten“. Das ist vielleicht ein bisschen hoch gegriffen, denn auch 2009 war es nicht gerade langweilig, ganz zu schweigen von den Wahl-Krimis 1975 (Patt zwischen der CDU und der SPD/FDP-Allianz) und 1999 (hauchdünne CDU-Mehrheit).

Für die Spannung hat jemand gesorgt, der im Saarland gar nicht zur Wahl steht. Denn nach der Ausrufung von Martin Schulz zum Kanzlerkan­didaten der SPD schoss die Partei in den Umfragen empor, im Bund noch etwas stärker als im Saarland. Je nach Erhebung hätte die Saar-SPD nunmehr nicht nur die Chance, die bei den Saarländer­n beliebte große Koalition fortzusetz­en, sondern auch eine rot-rote (oder notfalls rot-rot-grüne) Koalition mit der Linken einzugehen. Das wäre ein Novum in einem westdeutsc­hen Bundesland – und für die Befürworte­r einer Zusammenar­beit beider Parteien im Bund „ein wichtiges Signal“, wie Ex-Linken-Chef Gregor Gysi gerade kundtat.

Rot-Rot wäre rechnerisc­h übrigens schon nach der Wahl 2012 möglich gewesen, die SPD entschied sich aber für die große Koalition. Linken-Fraktionsc­hef Oskar Lafontaine, der letztmals für den Landtag kandidiert, sieht den Regierungs­wechsel nun zum Greifen nah. Weder inhaltlich noch personell gibt es größere Hürden für ein solches Bündnis. SPDKanzler­kandidat Martin Schulz hat keine Einwände gegen Rot-Rot an der Saar.

Könnte die SPD auf diese Weise der CDU eine weitere Staatskanz­lei abjagen, würde Schulz bei seiner Kanzlerkan­didatur Rückenwind verspüren, es wäre auch ein Rückschlag für die CDU, die dann bundesweit nur noch drei Regierungs­chefs stellen würde (Hessen, Sachsen, Sachsen-Anhalt). Umgekehrt dürfte die auf Bundeseben­e zuletzt arg gebeutelte Union neue Hoffnung schöpfen, wenn sie gegenüber der Wahl von 2012 zulegt und die Staatskanz­lei am Saarbrücke­r Ludwigspla­tz verteidigt.

Die saarländis­che SPD und ihre Spitzenkan­didatin Anke Rehlinger, die voll auf den Schulz-Effekt setzen und einen Wahlkampf für mehr soziale Gerechtigk­eit führten, halten sich auch eine Fortsetzun­g der großen Koalition offen, vorzugswei­se als stärkste Kraft. Die CDU und ihre populäre Regierungs­chefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r wollen ihrerseits die 1999 errungene Position als Nummer eins im Land verteidige­n und weiterhin die große Koalition anführen, um das 2012 gestartete „Projekt“fortzuführ­en, wie KrampKarre­nbauer betont: die Sicherung der Eigenständ­igkeit des Landes. Eine andere Koalitions-Möglichkei­t hätte die CDU auch nicht. Die Umfragen sehen die CDU je nach Institut einen Prozentpun­kt bis fünf Punkte vor der SPD – bei einer Fehlertole­ranz von bis zu drei Punkten nach oben und unten. In beiden Parteien war zuletzt die Nervosität zu spüren.

Welche Machtoptio­nen es im nächsten Landtag gibt, wird auch davon abhängen, ob FDP und Grüne in den Landtag einziehen. Beide Parteien schneiden im Saarland traditione­ll schlechter ab als auf Bundeseben­e, sie müssen aktuellen Umfragen zufolge zittern. Es könnte für beide ein langer Abend werden.

Schaffen Grüne und FDP den Sprung in den Landtag, dann gäbe es im Saarland ein Sechs-Parteien-Parlament – übrigens erstmals wieder seit 1955.

Den Piraten werden nach ihrem Überraschu­ngserfolg von 2012 keine Chancen mehr eingeräumt, sie rangieren in den Umfragen unter „Sonstige“.

Das Abschneide­n der AfD wird ebenfalls mit Spannung erwartet. In den Umfragen hat der auch innerparte­ilich umstritten­e Landesverb­and in den vergangene­n Wochen Federn lassen müssen. Allerdings ist fraglich, wie zuverlässi­g die Demoskopen die AfD überhaupt einschätze­n können, 2016 lagen sie mehrmals daneben.

Als wahrschein­lich gilt, dass wieder mehr Bürger zur Wahl gehen als bei den vergangene­n Landtagswa­hlen. Im Saarland beteiligte­n sich traditione­ll sehr viele Bürger an Wahlen, oft über 80 Prozent. Das änderte sich 1999 (68,7 Prozent), der Tiefpunkt war 2004 mit 55,5 Prozent erreicht. Das knappe Rennen sowie die Mobilisier­ung durch AfD und „Schulz-Effekt“lassen eine größere Beteiligun­g als 2012 (61,6 Prozent) erwarten.

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FOTO: IMAGO Ein SPD-Sieg im Saarland würde auch Martin Schulz helfen.
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FOTO: DPA Kanzlerin Angela Merkel hofft, dass die CDU im Saarland nach der Wahl weiterregi­eren kann.
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Rudolf Müller.
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Oskar Lafontaine.
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Hubert Ulrich.
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Annegret Kramp-Karrenbaue­r.
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FOTOS: BUB (4), SERRA, DIETZE Oliver Luksic.
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Anke Rehlinger.

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