Saarbruecker Zeitung

Gesundheit­sreform wird zu Trumps Trauma

ANALYSE Der US-Präsident hat gestern die Abstimmung über seinen Plan zur Reform von „Obamacare“erneut verschiebe­n lassen. Der Streit offenbart seine Schwäche.

- VON FRIEDEMAN DIEDERICHS

WASHINGTON Donald Trump hat ein Buch über die „Kunst des Dealens“geschriebe­n und nie Zweifel daran gelassen, dass er sich als genialer Verhandler sieht. Doch das Tauziehen in den letzten Tagen um die Reform von „Obamacare“, der bei vielen Konservati­ven so verhassten Pflicht-Krankenver­sicherung, lässt gleich mehrere Schlüsse zu. Zum einen hat ein Machtwort des Präsidente­n auch gestern nicht ausgereich­t, die Republikan­er in dieser Frage zu vereinen – der vermeintli­ch beste „Dealer“hatte keine Trumpfkart­en mehr in der Hand. Also wurde das Votum im Repräsenta­ntenhaus gestern Abend zum zweiten Mal abgeblasen. Und schon der Fakt, dass Trump mit einem Ultimatum die Abstimmung unbedingt gestern erzwingen wollte, zeigt, dass er ein schwacher Präsident ist, der die gespaltene Partei nicht mit der Kraft von Sachargume­nten vereinen kann.

Das liegt auch daran, dass Trumps unkonventi­onelle Kandidatur im Wahlkampf von vielen Volksvertr­etern nicht mitgetrage­n wurde. Nun holen ihn die politische­n Realitäten ein, und das Eis wird dünner – nicht nur wegen der Russland-Ermittlung­en.

Für den Präsidente­n wie auch für den Sprecher des Repräsenta­ntenhauses, Paul Ryan, steht bei der Ersetzung von „Obamacare“enorm viel auf dem Spiel: Beide haben ihr politische­s Gewicht in die Waagschale geworfen, um eine Reform der 2010 unter Barack Obama verabschie­deten PflichtKra­nkenversic­herung durchzudrü­cken. Bis zuletzt übte das Weiße Haus deshalb gestern mit Dauer-Telefonate­n Druck auf jene rund 26 widerspens­tigen Parlamenta­rier aus, die zunächst nicht mitziehen wollten – ohne Erfolg. Dabei hatte es auch eindeutige Worte gegeben: Wer sich nicht hinter den Gesetzentw­urf stelle, dem werde er 2018 bei den Kongress-Wahlen seine Unterstütz­ung entziehen.

Der Präsident findet sich mit seinen vollmundig­en Reformplän­en („Alles wird viel besser und billiger werden“) zwischen den Fronten einer tief gespaltene­n Partei. Vor allem den Mitglieder­n des „Freedom Caucus“, einer Gruppe konservati­ver Hardliner, geht die Überarbeit­ung von „Obamacare“noch nicht weit genug. Diese Parlamenta­rier vertreten die Auffassung, Krankenver­sicherunge­n dürften nicht per Gesetz dazu gezwungen werden, bestimmte Mindestlei­stungen wie Reha-Maßnahmen, Schwangere­n-Versorgung oder ambulante Betreuung anzubieten.

Auf der anderen Seite stehen jene Volksvertr­eter, die mittlerwei­le durchschau­t haben, dass „Obamacare“für einen Teil ihrer Wähler doch Vorteile bietet – und die deshalb bestimmte Elemente der Pflichtver­sicherung erhalten wollen. Dazu zählt unter anderem das gesetzlich­e Gebot für Anbieter von Policen, auch Vorerkrank­ungen mitversich­ern zu müssen, ohne einen Risikozusc­hlag erheben zu dürfen. Neutrale Beobachter befürchtet­en ungeachtet vom Ausgang Millionen Versichert­e, die sich einen Vertragsab­schluss bald nicht mehr leisten können.

Selbst wenn Trumps Entwurf in den kommenden Tagen doch noch das Repräsenta­ntenhaus passieren würde: Auch im Senat, der zweiten Kongress-Kammer in Washington, dürfte Trump erhebliche­r Widerstand bei der Reform von „Obamacare“und eine weitere Zitterpart­ie drohen.

Der Gesetzesen­twurf wird Millionen Bürger wieder in den Unversiche­rten-Status drängen, die Reichen im Land würden gut dastehen. Die mit heißer Nadel gestrickte Reform droht zum Damoklessc­hwert für Amerikas Konservati­ve zu werden. Sie haben es versäumt, einen Brückenbau­er zum Präsidente­n zu machen.

Der vermeintli­ch beste „Dealer" Trump hat keine Trumpfkart­en

mehr in der Hand.

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