Saarbruecker Zeitung

EU bleibt nach 60 Jahren einzige Lösung für Europa

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Wer in diesen Tagen vor dem 60. Geburtstag der EU Bilanz zieht, beginnt üblicherwe­ise mit den Krisen: Flüchtling­e, Euro, Staatsschu­lden und so weiter. Je älter die Union wird, desto länger fällt die Liste aus. Dabei tut der Blick in die Gründerzei­ten gut, weil er zeigt: Es war damals nicht anders. Man lag sich über den Abbau von Zöllen, übers Geld und die gerechte Lastenvert­eilung in den Haaren. Als ob Streit zwischen autonomen Staaten über das richtige Miteinande­r nicht normal wäre – in jedem Fall aber besser, als alles, was die Menschen in den Jahrzehnte­n vor dem Beginn der europäisch­en Integratio­n durchmache­n mussten. Aber je mehr Länder das Projekt erreichte, umso herzlicher wurde miteinande­r gerungen. Dabei ist die Nachricht „Krach vor dem EU-Gipfel“eigentlich nicht erwähnensw­ert.

Wirklich bemerkensw­ert bleibt die Tatsache, dass man miteinande­r erbittert ringt, während man am gleichen Tisch sitzt und das Abendessen kredenzt wird. Miteinande­r zu diskutiere­n, wo früher Panzer gerollt sind, ist und bleibt ein Verdienst – auch wenn er nach über 70 Jahren ohne kriegerisc­he Auseinande­rsetzung auf dem Boden der Unionsmitg­lieder selbstvers­tändlich geworden scheint. Reicht das, um für die EU zu werben? Ja, sagen die Mitgliedst­aaten, die nahe an der Grenze zu Russland immer neu Furcht von Übergriffe­n haben. Nein, antworten jene, die glücklich sind, weiter weg zu leben. Als ob nicht alle auch von den Grundwerte­n wie Reisefreih­eit oder Binnenmark­t profitiere­n würden. Die öffentlich­e Belustigun­g über Richtlinie­n, in deren Folge die Saugkraft von Staubsauge­rn reguliert oder die Anforderun­gen an Standby-Schaltunge­n harmonisie­rt werden, ist nachvollzi­ehbar. Dabei gehören diese Schritte dazu, wenn man Klimapolit­ik nicht unverbindl­ich lassen will. Und wenn man Jobs dadurch schafft, dass Unternehme­n nicht mehr 28 technische Vorgaben zu beachten haben, sondern nur noch eine. Wer nur die oft gespannte Atomsphäre zwischen den Staats- und Regierungs­chefs im Blick hat, aber vergisst, dass das Räderwerk im Kleinen funktionie­rt und Fortschrit­te produziert, kommt der europäisch­en Wirklichke­it nicht einmal annähernd nahe. Diese EU mag kein Idealfall sein, aber sie ist das einzige politische Lösungskon­zept für Krisenregi­onen, zu denen dieser Kontinent lange gehörte. Die Kritiker haben ja Recht: Dieser Moloch ist zu unbeweglic­h, zu bürokratis­ch, zu sehr vom Egoismus der Mitgliedst­aaten bestimmt. Wir Deutschen sind da keine Ausnahme.

Aber ihr Fazit geht daneben: Das sind Gründe, um die EU zu verbessern, nicht um sie abzuwickel­n. Der Weg ist das Ziel – das stimmt auch für Europa. Der Staatenbun­d steht an seinem Geburtstag vor einem Berg an Problemen. Aber auch vor einer langen Liste an Errungensc­haften. Wer weder das eine, noch das andere übersieht, kann eigentlich nur zum Schluss kommen: Gäbe es diese EU für Europa nicht, müsste man sie schaffen.

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