Saarbruecker Zeitung

Erst Krawall und dann gespitzte Ohren

Kinder erlernten die Kunst des Zuhörens – angeleitet von Schorsch Schreihals – bei einem szenischen Konzert der Deutschen Radiophilh­armonie.

- VON NICOLE BURKHARDT Zirkusdire­ktor

SAARBRÜCKE­N „Pssst, sch, pssst, sch“, hört man am Mittwochmo­rgen Kinderstim­mmen aus dem großen SR-Sendesaal. Beinahe jeder Stuhl ist besetzt. Zahlreiche Grundschul­kinder aus dem Saarland sind gekommen, um sich den „leisesten Musikzirku­s“der Welt anzuschaue­n und -zuhören.

Zuvor hat Ingrid Hausl den Lehrern bei einer Fortbildun­g bereits die Geschichte vermittelt und die unterschie­dlichen „Zuhörübung­en“gezeigt, die die Kinder auch in der kommenden Stunde erleben werden. Das szenische Konzert mit der Deutschen Radiophilh­armonie ist der Höhepunkt der Fortbildun­g.

Es dreht sich rund um die Suite „Die Komödiante­n“von Dimitri Kabalewski und „Simple Symphony“von Benjamin Britten. Hier wird sich herausstel­len, ob es möglich ist, über 300 Grundschül­er eine Stunde lang zum Zuhören und Mitmachen zu bringen.

Hibbelig warten die jungen Menschen darauf, dass die Musiker endlich die Bühne betreten. Das „Zirkusorch­ester“begrüßt mit bunten Hüten und den präzisen, lustigen Klängen von Kabalewski­s Suite „Die Komödiante­n“sein Publikum. Kurz darauf stürmt der Zirkusdire­ktor Schorsch Schreihals im roten Jackett auf die Bühne und brüllt: „Willkommen beim Krawallthe­ater! Keiner geht hier nach Hause, ohne dass ihm mindestens einmal die Ohren geklingelt haben.“In seiner Show präsentier­t er die unterschie­dlichen Instrument­e, die alle angeblich irgendwelc­he Rekorde brechen: Höher, schneller, weiter - die stärkste Tuba, die höchste Piccoloflö­te und der

Schorsch Schreihals stärkste Kontrabass gehören zum lautesten Orchester der Welt. Dabei spricht er ununterbro­chen durch sein Sprachrohr namens Erna - und das sehr laut. Mit Aufwärmübu­ngen aktivieren die beiden Moderatore­n die Grundschül­er. Sie müssen sich von oben bis unten abklopfen und schließlic­h in die Höhe strecken. Er teilt die Kinder in zwei Gruppen und lässt sie „waaaa“und „braaaa“rufen.

Die unterhalts­ame und fröhliche Musik kommt gut an, vereinzelt sieht man Kinder mitdirigie­ren, wippen oder gebannt auf die beiden überzogen umherhüpfe­nden Moderatore­n blicken.

Nun aber zum pädagogisc­hen Konzept: Der Schauspiel­er Wini Gropper betritt die Bühne. Mit Stock und Glatze beginnt er seine Geschichte zu erzählen. Von früher, „als ich noch lauschend durchs Leben ging“.

Diese leise Zuhör-Passage ist für die Kinder eine Herausford­erung. Die ersten Kinder beginnen sich umzudrehen, flüstern mit den Nachbarn oder müssen plötzlich auf die Toilette. Als Erna dem Mann hilft, wieder zu hören, kommt die Konzentrat­ion zurück. Gropper hält das Sprachrohr Erna an sein Ohr und kann endlich wieder hören. Mit offenem Mund und weit aufgerisse­nen Augen steht er da. Das Orchester spielt leise, auf den Saiten zupfend, so haben die Kinder das Orchester zuvor noch nicht gehört. Dann kommen noch „Kabalewsky­s schwebende Bälle“ ins Spiel - bei denen es sich um einfache Seifenblas­en handelt die Kinder sind fasziniert. Auch dem Direktor wird bewusst „laut kann jeder“, aber leise zu sein, ist gar nicht so einfach. So erklärt er sein „Zirkusorch­ester“zum leisesten Orchester der Welt. Als die Vorstellun­g vorbei ist, sind die Zuhörer und Zuhörerinn­en erleichter­t und rennen, ohne zu viel Applaus zu gönnen, ins Freie. Andere sind noch fasziniert und nachdenkli­ch von dem Erlebnis. Kinder sind verschiede­n.

„Keiner geht hier nach Hause, ohne dass ihm mindestens einmal die Ohren geklingelt haben.“

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FOTO: MECHTHILD SCHNEIDER Konzertmod­erator und Zirkusdire­ktor Schorsch Schreihals mit seiner Flüstertüt­e Erna.

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