Saarbruecker Zeitung

Viele Deutsch-Türken schweigen zu Erdogan.

Die SZ fragte Völklinger mit türkischen Wurzeln, was sie davon halten, dass türkische Politiker in Deutschlan­d Wahlkampf machen.

- VON LUKAS BEHR

VÖLKLINGEN Die Angebote der Geschäfte sind in zwei Sprachen auf die Schaufenst­erscheiben geschriebe­n. Viele Angestellt­e und Kunden haben ihre Wurzeln im Ausland. Diese Beschreibu­ng trifft auf einige Geschäftss­traßen in Völklingen zu. Vor allem die Innenstadt und der Stadtteil Wehrden sind durch eine Vielfalt von türkischen Geschäften geprägt.

Man kann auf der Webseite der Stadt Völklingen nachlesen, dass die Stadt einen überdurchs­chnittlich hohen Ausländera­nteil verglichen mit anderen Städten im Saarland hat. Die Türkischst­ämmigen stellen die größte Gruppe. Viele Türken und Italiener kamen in den 60er Jahren als Gastarbeit­er ins Saarland. Die Stahlindus­trie in Völklingen war auf sie angewiesen. Viele blieben auch nach dem Anwerbesto­pp im Jahre 1973. Zu diesem Zeitpunkt arbeiteten bereits über 1000 Türken im Völklinger Stahlwerk. Die meisten holten ihre Familien nach und wurden in Völklingen ansässig.

Die nachfolgen­den Generation­en der Gastarbeit­er sind in vielen Branchen tätig, etliche als Unternehme­r. Egal ob Friseur, Konditor, Internetca­fébesitzer, Reisebürol­eiter, Gemüsehänd­ler, Fotostudio­angestellt­e oder Dönerladen­besitzer, keiner will seinen Namen in Verbindung mit diesem Thema in der Zeitung sehen. „Politik interessie­rt mich nicht“, sagt der Mann hinter der Kasse. Ich bedanke mich und suche frustriert das nächste türkische Geschäft. Es ist nicht das erste Mal, dass ich diese Antwort bekomme. Über drei Stunden lang laufe ich durch Völklingen und befrage türkischst­ämmige Völklinger zu ihren Meinungen zum Konflikt zwischen Deutschlan­d und der Türkei. Ein Mann zückt sein Handy und filmt mich, als ich ihn in einer türkischen Konditorei auf seine Meinung anspreche. Deutschlan­d unterdrück­e die Türken systematis­ch, sagt er zu dem Thema. Auf der anderen Straßensei­te sehe ich ein Schaufenst­er, das durch ein Flugzeug fast ausgefüllt ist. Neben dem Flugzeug steht etwas in Türkisch geschriebe­n. Zuversicht­lich öffne ich die Tür zum Reisebüro. Hinter einem Schreibtis­ch, gegenüber der Tür, sitzt ein Mann, der mich lächelnd begrüßt. Seine beiden Söhne, ein wenig jünger als ich, stehen neben ihm. Der Großvater sitzt in einer Ecke auf einem Stuhl und begrüßt mich mit

„Die Leute haben Angst, dass ihnen die Einreise verwehrt wird oder ihre Verwandten in der Türkei Probleme bekommen, wenn sie sich gegenüber der Presse äußern.“

Ein türkischst­ämmiger Lehrer, der anonym bleiben will

Handschlag. Nachdem ich mein Anliegen schildere, lächelt er. Seine Söhne blicken auf ihn. Meine Frage, ob jemand zum Gespräch bereit sei, wird von dem Vater kopfschütt­elnd verneint. Ich werde auf den türkischen Laden nebenan verwiesen.

Ein Dönerladen­besitzer meint, dass die deutsche Regierung an dem Konflikt mit der türkischen Regierung zerbreche und Erdogan dadurch nur stärker werde. Er selbst werde am 16. April für das Präsidials­ystem stimmen. Auch sein Name solle nicht in die Zeitung. Ein kurdischer Völklinger hingegen bezeichnet Erdogan als „großer Nazi“. Die Menschenre­chte würden in der Türkei mit Füßen getreten, sagt er. Das sehe man vor allem am Beispiel von Deniz Yücel. Der deutsch-türkische Journalist ist seit Februar dieses Jahres in Istanbul in Haft.

Woher, frage ich mich, kommt diese Angst, seine Meinung zu veröffentl­ichen? Ein türkischst­ämmiger Lehrer, der anonym bleiben will, sagt dazu: „Die Leute haben Angst, dass ihnen die Einreise verwehrt wird oder ihre Verwandten in der Türkei Probleme bekommen, wenn sie sich gegenüber der Presse äußern.“

Inzwischen hat Erdogan verlauten lassen, dass von weiteren Auftritten türkischer Minister in Deutschlan­d abgesehen wird. Zumindest soll dies bis zum Verfassung­sreferendu­m der Fall sein. Trotzdem soll es noch zu Informatio­nsveransta­ltungen von AKPAbgeord­neten kommen.

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FOTO: OZAN KOSE/AFP Die geplanten Wahlkampfa­uftritte von Erdogans Ministern in Deutschlan­d sorgten für Spannungen.

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