Vergebliches Hoffen auf den Schulz-Effekt
Für den fulminanten Erfolg der CDU macht die SPD vor allem zwei Gründe verantwortlich: den Amtsbonus und Oskar Lafontaine.
SAARBRÜCKEN Als Annegret Kramp-Karrenbauer am Abend 40 Minuten nach der ersten Prognose die Saarlandhalle erreicht, muss sie sich ihren Weg zu den Wahlstudios der TV-Sender durch das dichte Gedränge bahnen. Immer wieder fallen Parteifreunde ihr und ihrem Ehemann Helmut um den Hals. „Die können sich den ganzen Abend noch küssen“, ruft genervt ein ZDF-Techniker, der fürchtet, dass der Zeitplan ins Rutschen gerät. In Berlin wird derweil bereits spekuliert, ob Kramp-Karrenbauer die neue starke Frau der BundesCDU wird, sollte Kanzlerin Angela Merkel im Herbst abgewählt werden. Es ist auch ein Thema bei der Wahlparty der Saar-CDU.
Kramp-Karrenbauer ist offensichtlich überrascht vom starken Ergebnis ihrer Partei, das sämtliche Umfragen der vergangenen Tage und Wochen widerlegt. Ihre Erklärung lautet: Die Wähler seien zufrieden mit der großen Koalition und auch mit ihr als Ministerpräsidentin und hätten „keine rot-roten Experimente“gewollt – die Befunde werden auch von den Meinungsforschern bestätigt. Das alles habe sie gerade in den letzten Tagen im Straßenwahlkampf und an den Haustüren noch einmal deutlich gespürt. Sozialministerin Monika Bachmann (CDU) sagt, die Wähler wüssten genau, wer im Saarland gute Arbeit geleistet habe, Innenminister Klaus Bouillon (CDU) wundert sich: „Das hätten wir nicht einmal geträumt.“
Enttäuschte Gesichter hingegen bei der SPD. Als Kanzlerkandidat Martin Schulz am Freitag zum dritten Mal im Wahlkampf an die Saar reiste, gab die SPD zwei Wahlziele aus: stärkste Kraft werden und den Einzug der AfD in den Landtag verhindern. Beide Ziele verfehlte sie. Führende Sozialdemokraten gaben sich gestern Abend erst gar keine Mühe, das Ergebnis irgendwie schönzureden. „Das kann uns nicht zufriedenstellen, wir hatten uns mehr vorgenommen“, sagte Spitzenkandidatin Anke Rehlinger. Für das schwache Abschneiden bot die SPD-Landesspitze gestern Abend zwei Erklärungen an: a) Kramp-Karrenbauers Amtsbonus und b) die Diskussion um Rot-Rot. Rehlinger bezeichnete den Sieg der CDU als „persönlichen Erfolg“Kramp-Karrenbauers und gratulierte ihr. Auf der Schlussstrecke sei es häufig so, dass der Bonus des Amtsinhabers zu Buche schlage, das hätten Kramp-Karrenbauer und die CDU zu nutzen gewusst, so Rehlinger.
Diesen „Kramp-Karrenbauer-Effekt“bestätigen auch die UmfrageInstitute. Demnach sind rund 80 Prozent der Wahlberechtigten der Meinung, dass die 54-Jährige ihre Sache gut gemacht hat – selbst die Hälfte der Linken-Wähler sieht das so. Fast jeder zweite CDU-Anhänger wählte die Partei wegen Kramp-Karrenbauer, bei der SPD war dieser sogenannte Kandidatenfaktor deutlich schwächer (29 Prozent), hier spielte das Programm eine größere Rolle.
Die SPD räumte auch ein, dass die Diskussion über ein mögliches rot-rotes Bündnis Wähler abgeschreckt hat. Rehlinger und SPDLandeschef Heiko Maas berichteten, dass es gerade in den letzten Tagen sehr stark um diese Frage gegangen sei. „Die Person Oskar Lafontaine polarisiert bis weit in das SPD-Lager hinein“, sagte Maas. „Infratest dimap“ermittelte, dass 51 Prozent der SPD-Anhänger eine Koalition mit der CDU wollten, 46 Prozent ein Linksbündnis. Der SPD-Europa-Angeordnete Jo Leinen wurde noch deutlicher: „Wir sind auch abgestraft worden, weil die Linke mit Lafontaine nicht gewollt wurde.“
Auch Rehlinger klagte, es sei zuletzt weniger um Inhalte gegangen, sondern „sehr zugespitzt“um die Koalitionsfrage. „Das hat uns den einen oder anderen Wähler abspenstig gemacht.“Die SPD sei in einer Zwickmühle: 2009 habe sie eine Koalition mit der Linken nicht ausgeschlossen, 2012 aber schon. „Beide Male ging es nicht gut aus.“
Hier widersprach auch KrampKarrenbauer nicht. Sie bestätigte, dass in den letzten Tagen Rot-Rot zu einer realistischen Option geworden sei. „Das hat mobilisiert.“Die Saarländer hätten deutlich gemacht, dass sie dies nicht wollten, sondern eine „Koalition der Mitte“. Darauf führt Kramp-Karrenbauer auch zurück, dass die CDU laut den Analysen der Institute die meisten ihrer zusätzlichen Wähler aus dem Nichtwählerlager gewonnen hat.
Dennoch stellt sich die Frage, wie dieses SPD-Ergebnis mit dem wochenlangen Hype um die Kanzlerkandidatur von Martin Schulz zusammenpasst. Er war selbst drei Mal im Land im Wahlkampf-Einsatz, wurde von der SPD als „halber Saarländer“verkauft. Der „SchulzEffekt“habe schon geholfen, sagten Maas und Rehlinger. Denn er habe der SPD eine Aufholjagd ermöglicht, nachdem sie Anfang des Jahres in einer Umfrage noch bei 24 Prozent gestanden habe. Der EU-Politiker Leinen sagte aber auch: „Der Schulz-Effekt hat uns ein wenig in die Irre geleitet und uns angesichts des eigentlichen Wählerwillens wohl getäuscht.“