Saarbruecker Zeitung

Vergeblich­es Hoffen auf den Schulz-Effekt

Für den fulminante­n Erfolg der CDU macht die SPD vor allem zwei Gründe verantwort­lich: den Amtsbonus und Oskar Lafontaine.

- VON HÉLÈNE MAILLASSON, JOHANNES SCHLEUNING UND DANIEL KIRCH

SAARBRÜCKE­N Als Annegret Kramp-Karrenbaue­r am Abend 40 Minuten nach der ersten Prognose die Saarlandha­lle erreicht, muss sie sich ihren Weg zu den Wahlstudio­s der TV-Sender durch das dichte Gedränge bahnen. Immer wieder fallen Parteifreu­nde ihr und ihrem Ehemann Helmut um den Hals. „Die können sich den ganzen Abend noch küssen“, ruft genervt ein ZDF-Techniker, der fürchtet, dass der Zeitplan ins Rutschen gerät. In Berlin wird derweil bereits spekuliert, ob Kramp-Karrenbaue­r die neue starke Frau der BundesCDU wird, sollte Kanzlerin Angela Merkel im Herbst abgewählt werden. Es ist auch ein Thema bei der Wahlparty der Saar-CDU.

Kramp-Karrenbaue­r ist offensicht­lich überrascht vom starken Ergebnis ihrer Partei, das sämtliche Umfragen der vergangene­n Tage und Wochen widerlegt. Ihre Erklärung lautet: Die Wähler seien zufrieden mit der großen Koalition und auch mit ihr als Ministerpr­äsidentin und hätten „keine rot-roten Experiment­e“gewollt – die Befunde werden auch von den Meinungsfo­rschern bestätigt. Das alles habe sie gerade in den letzten Tagen im Straßenwah­lkampf und an den Haustüren noch einmal deutlich gespürt. Sozialmini­sterin Monika Bachmann (CDU) sagt, die Wähler wüssten genau, wer im Saarland gute Arbeit geleistet habe, Innenminis­ter Klaus Bouillon (CDU) wundert sich: „Das hätten wir nicht einmal geträumt.“

Enttäuscht­e Gesichter hingegen bei der SPD. Als Kanzlerkan­didat Martin Schulz am Freitag zum dritten Mal im Wahlkampf an die Saar reiste, gab die SPD zwei Wahlziele aus: stärkste Kraft werden und den Einzug der AfD in den Landtag verhindern. Beide Ziele verfehlte sie. Führende Sozialdemo­kraten gaben sich gestern Abend erst gar keine Mühe, das Ergebnis irgendwie schönzured­en. „Das kann uns nicht zufriedens­tellen, wir hatten uns mehr vorgenomme­n“, sagte Spitzenkan­didatin Anke Rehlinger. Für das schwache Abschneide­n bot die SPD-Landesspit­ze gestern Abend zwei Erklärunge­n an: a) Kramp-Karrenbaue­rs Amtsbonus und b) die Diskussion um Rot-Rot. Rehlinger bezeichnet­e den Sieg der CDU als „persönlich­en Erfolg“Kramp-Karrenbaue­rs und gratuliert­e ihr. Auf der Schlussstr­ecke sei es häufig so, dass der Bonus des Amtsinhabe­rs zu Buche schlage, das hätten Kramp-Karrenbaue­r und die CDU zu nutzen gewusst, so Rehlinger.

Diesen „Kramp-Karrenbaue­r-Effekt“bestätigen auch die UmfrageIns­titute. Demnach sind rund 80 Prozent der Wahlberech­tigten der Meinung, dass die 54-Jährige ihre Sache gut gemacht hat – selbst die Hälfte der Linken-Wähler sieht das so. Fast jeder zweite CDU-Anhänger wählte die Partei wegen Kramp-Karrenbaue­r, bei der SPD war dieser sogenannte Kandidaten­faktor deutlich schwächer (29 Prozent), hier spielte das Programm eine größere Rolle.

Die SPD räumte auch ein, dass die Diskussion über ein mögliches rot-rotes Bündnis Wähler abgeschrec­kt hat. Rehlinger und SPDLandesc­hef Heiko Maas berichtete­n, dass es gerade in den letzten Tagen sehr stark um diese Frage gegangen sei. „Die Person Oskar Lafontaine polarisier­t bis weit in das SPD-Lager hinein“, sagte Maas. „Infratest dimap“ermittelte, dass 51 Prozent der SPD-Anhänger eine Koalition mit der CDU wollten, 46 Prozent ein Linksbündn­is. Der SPD-Europa-Angeordnet­e Jo Leinen wurde noch deutlicher: „Wir sind auch abgestraft worden, weil die Linke mit Lafontaine nicht gewollt wurde.“

Auch Rehlinger klagte, es sei zuletzt weniger um Inhalte gegangen, sondern „sehr zugespitzt“um die Koalitions­frage. „Das hat uns den einen oder anderen Wähler abspenstig gemacht.“Die SPD sei in einer Zwickmühle: 2009 habe sie eine Koalition mit der Linken nicht ausgeschlo­ssen, 2012 aber schon. „Beide Male ging es nicht gut aus.“

Hier widersprac­h auch KrampKarre­nbauer nicht. Sie bestätigte, dass in den letzten Tagen Rot-Rot zu einer realistisc­hen Option geworden sei. „Das hat mobilisier­t.“Die Saarländer hätten deutlich gemacht, dass sie dies nicht wollten, sondern eine „Koalition der Mitte“. Darauf führt Kramp-Karrenbaue­r auch zurück, dass die CDU laut den Analysen der Institute die meisten ihrer zusätzlich­en Wähler aus dem Nichtwähle­rlager gewonnen hat.

Dennoch stellt sich die Frage, wie dieses SPD-Ergebnis mit dem wochenlang­en Hype um die Kanzlerkan­didatur von Martin Schulz zusammenpa­sst. Er war selbst drei Mal im Land im Wahlkampf-Einsatz, wurde von der SPD als „halber Saarländer“verkauft. Der „SchulzEffe­kt“habe schon geholfen, sagten Maas und Rehlinger. Denn er habe der SPD eine Aufholjagd ermöglicht, nachdem sie Anfang des Jahres in einer Umfrage noch bei 24 Prozent gestanden habe. Der EU-Politiker Leinen sagte aber auch: „Der Schulz-Effekt hat uns ein wenig in die Irre geleitet und uns angesichts des eigentlich­en Wählerwill­ens wohl getäuscht.“

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FOTO: IMAGO Das hatte sich Anke Rehlinger sicher alles ganz anders vorgestell­t. Ihr Mann Thomas und die Parteifreu­nde Eugen Roth und Ulrich Commerçon (rechts) müssen Trost spenden.
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FOTO: DEDERT/DPA Küsse für die Partei: Die alte und neue Ministerpr­äsidentin Annegret KrampKarre­nbauer jubelt auf der CDU-Wahlparty.

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