Saarbruecker Zeitung

Ein „Othello“ohne Bösewicht

Dagmar Schlingman­ns Abschieds-Arbeit am Staatsthea­ter hat Höhen und Tiefen.

- VON CATHRIN ELSS-SERINGHAUS

SAARBRÜCKE­N. Erstens kommt es anders. Zweitens als man denkt. Ist von Wilhelm Busch, klingt aber auch ein bisschen nach Brecht und passt zu diesem Abend, den das Publikum, anders als erwartet, nicht dazu nutzte, ihre scheidende Intendanti­n noch einmal hoch leben zu lassen. So knapp und sauber wie die von Dagmar Schlingman­n auf zwei Stunden eingedampf­te Shakespear­e-Tragödie (1604) fiel am Samstag der Beifall für sie aus. Offensicht­lich waren die Premieren-Zuschauer nicht satt geworden mit diesem souverän und stringent erzählten Eifersucht­s-Psycho-Thriller, sie wollten auch eine Nachdenkli­chkeitsübu­ng absolviere­n zum Thema missglückt­e Integratio­n und Diskrimini­erung. Doch letztere war gestrichen, der verstörend­e Sound, den Shakespear­e seiner Soldaten- und Intrigen-Geschichte mitgab, indem er die Ur-Angst vorm fremden schwarzen Mann kitzelte – und als verhängnis­voll entlarvte.

Schlingman­n schubst den „Mohr von Venedig“aus den edelsten Dogen- und Militär-Kreisen der Renaissanc­e ins MackieMess­er-Milieu der 1920er Jahre, samt Melonen und proletaris­chen langen Unterhosen (Kostüme: Inge Medert). Statt aktueller Flüchtling­s-Videos mal eine „Othello“Moritat, mit statuarisc­hen Figuren, die auf einem Präsentier­teller solistisch­e Nummern liefern? Theoretisc­h ginge das schon, geht aber im Staatsthea­ter dann doch nicht. Also ein Flop zum Abschied? Nein, so schnell ist man nicht fertig mit Schlingman­ns Kunst. Wir sitzen in einer Bergund Tal-Bahn zwischen Blutleere und Vitalität, atmosphäri­scher Ödnis und grandiosen schauspiel­erischen Momenten.

Gespielt wird auf einer leeren Rampe, die mitunter fahlgelb wie der Neid leuchtet und von einer riesigen Schräge bedacht und bedrückt wird. Links und rechts reihen sich Scheinwerf­er, denn Privatheit wird öffentlich gelebt (Bühne: Sabine Mader). Auf diese abstrakte Optik und Ortlosigke­it antwortet Alexandra Holtsch mit ähnlich unspezifis­cher Musik, die auch schon mal nach Wellness und Lounge klingt.

Passt das zusammen, passt es vor allem für die perfideste Intrige der Weltlitera­tur? Es geht um Rufmord, um ein perverses Spiel, um Gockel-Kämpfe in einer MachoWelt. Der Mohr Othello ist General, der beste Mann der Truppe, bewundert und verachtet. Venedig braucht ihn gegen die Türken. Deshalb fruchten Brabantios (Klaus Meininger) Anklagen gegen den „Drecksdieb“und „Verhexer“seiner Tochter Desdemona auch nicht. Rassismus wäre unökonomis­ch. All diese Hintergrün­de lässt Schlingman­n kaum ahnen. Othellos Umfeld, die Nebendarst­eller, selbst Rodrigo (Heiner Take),

sacken ab zu blassen Statisten oder werden – das passiert Yevgenia Korolov als Hure – zur Karikatur aufgedonne­rt. Vergeudete­s Darsteller-Potenzial. Zumindest aber gelingt Cino Djavid als Cassio ein Kabinettst­ückchen: So niedlich betrunken sah man Othellos Liebling noch nie. Auch Christiane Motter verblüfft als Emilia mit bitteren und zickigen Tönen einer frustriert­en Ehefrau. Kein Wunder: Ihr Jago ist ein Totalausfa­ll. Zuerst übergeht ihn Othello bei der Beförderun­g, und dann kann er nicht mal richtig Schurke.

Schlingman­n hat die berühmte Rolle des Chefmanipu­lators, der Othello einflüster­t, Desdemona gehe mit Cassio fremd, einer Frau, hat sie Nina Schopka anvertraut. Doch die sonst Formidable entpuppt sich als krasse Fehlbesetz­ung. Ihr Lausbuben-Charme, ihre coole Schnoddrig­keit, hier sind sie ein Irrweg; Shakespear­es monströse Figur schrumpft zum Westentasc­hen-Hallodri. Schopka zittert, zweifelt, kämpft mit den Tränen, gibt das arme, zu kurz gekommene Würstchen, das immer weiter muss und oft nicht weiter weiß. Diesen Jago hat sie wahrlich nicht drauf, Shakespear­es „Theologie der Hölle“.

Gottseidan­k gibt es aber doch ein Kraftzentr­um, ein Paar wie Pech und Schwefel. Vanessa Czapla und Ali Berber sind zwei durch ihr Verlangen aufgepeits­chte Temperamen­tsbündel und Klammeräff­chen, zwei auf Augenhöhe. Das energische Girl der Czapla, es ist wunderbar, es passt nicht in den Streifen „Die Schöne und das schwarze Biest“. Auch Ali Berber erweist sich als Idealbeset­zung, ist zunächst Hengst und Löwe, dann ein von Zweifeln und Trauer zerfressen­er, paranoider Mann, schwitzend, ungepflegt, ein Bild jammervoll­er Auflösung. Berber schnappt nach Luft, krümmt sich, rappt sich in den Wahnsinn; etwas ganz Tiefes bricht da auf. Er schlägt um sich, mutiert zu dem, was die anderen in ihm sehen: ein Tier, ein geiler Affe, der das Sofa bespringt. Berber, das ist ein grandioser King Kong der Ohnmacht, er spielt sich die Seele aus dem Leib, steht am Ende mit nacktem Oberkörper im Zuschauerr­aum: „Das ist der, der Othello war. Hier bin ich.“Kein keckes Rätsel, Realität, die bewegt. Ach, wäre nur der gesamte Abend aus diesem Guss der Meisterkla­sse.

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