Saarbruecker Zeitung

Wie Jugendlich­e zu Terroriste­n werden

Radikale Gruppen werben im Internet mit profession­ellen Methoden junge Menschen an. Diese radikalisi­eren sich oft innerhalb kürzester Zeit. Doch wie gelingt den Extremiste­n das? Und was kann gegen die Online-Propaganda getan werden?

- VON ALEXANDER STALLMANN

SAARBRÜCKE­N Was bewegt junge Menschen dazu, ihr bisheriges Leben aufzugeben und sich einer radikalen Terrorgrup­pe anzuschlie­ßen? Wie kommt es dazu, dass sie bereit sind, sich bei Attentaten selbst zu töten und möglichst viele andere Menschen mit in den Tod zu reißen? Die Ursachen dafür können meist nicht eindeutig benannt werden. Eines steht jedoch fest: Das Internet spielt bei der Radikalisi­erung junger Menschen häufig eine bedeutende Rolle.

Nach Angaben des Bundeskrim­inalamtes (BKA) sind bis Oktober vergangene­n Jahres 784 Männer und Frauen aus Deutschlan­d nach Syrien oder Irak ausgewande­rt, um sich islamistis­chen Terrorgrup­pen anzuschlie­ßen. Der Großteil der Auswandere­r ist laut BKA zwischen 18 und 30 Jahren alt. Neben persönlich­en Kontakten im sozialen Umfeld ist das Internet gerade zu Beginn der Radikalisi­erung der wichtigste Faktor. Laut BKA spielt Online-Propaganda bei etwa der Hälfte der Nachwuchs-Dschihadis­ten eine Rolle.

„Das Internet bietet extremisti­schen Gruppen die Möglichkei­t, ihre Inhalte breit zu streuen“, sagt Nils Böckler, der am Institut Psychologi­e und Bedrohungs­management in Darmstadt die Radikalisi­erung im Internet erforscht. Die radikalen Gruppen gingen bei ihrer Propaganda im Netz sehr organisier­t vor. Die vielen Texte und Videos, die im Netz kursieren, seien nur ein Teil der Propaganda. Mittlerwei­le verbreitet­en die Extremiste­n auch eigene Comics, Computersp­iele und Apps, sagt Böckler. In den Computersp­ielen kämpften Jugendlich­e etwa als Dschihadis­ten. Die Extremiste­n lockten sie dann mit Nachrichte­n wie „Was du jeden Tag in deinem Kinderzimm­er spielst, kannst du hier bei uns auch in der Realität erleben – komm nach Syrien“. Gerade der sogenannte Islamische Staat (IS) verstehe es sehr gut, seine Inhalte jugendgere­cht aufzuarbei­ten, so Böckler.

Auch in Diskussion­sforen und sozialen Medien seien Extremiste­n äußerst aktiv. Sie sprechen dort ganz gezielt bestimmte Nutzer an. „Es gibt bei islamistis­chen Gruppen sogar Strategiep­apiere, in denen steht, wann in Diskussion­en eingegriff­en werden soll“, erklärt Böckler. Die Dschihadis­ten treten den Jugendlich­en zunächst mit großer Wertschätz­ung entgegen und zeigen sich interessie­rt an deren Meinung. Dann senden sie ihnen über einen längeren Zeitraum immer wieder Nachrichte­n.

So entstehe eine soziale Bindung. Bis zu einem bestimmten Punkt finden die Unterhaltu­ngen in Foren oder sozialen Netzwerken statt. Später werden sie häufig in geschlosse­ne virtuelle Bereiche bei Messenger-Diensten verlagert. Wer sich profiliert, komme in Kontakt mit angesehene­n Dschihadis­ten. „Es öffnen sich als Belohnung Türen zu interessan­ten Leuten“, sagt Böckler. Das geschehe häufig über private Gruppen bei Diensten wie Whatsapp oder Telegram. Die Jugendlich­en werden dann stufenweis­e in weitere geschlosse­ne Gruppen bei den Messengern eingeladen.

„Die Radikalisi­erung erfolgt heute wesentlich schneller als noch vor einigen Jahren. Damals dauerte der Prozess etwa vier bis fünf Jahre, heute oftmals nur noch ein Jahr“, so Böckler. Es habe sich bei vielen Anschlägen gezeigt, dass dahinter keine wirkliche politische Motivation steckte. Es sei für die Täter eher darum gegangen, der Mittelpunk­t einer konspirati­ven Bewegung zu sein. Eine mögliche Ursache für die schnellere Radikalisi­erung sei, dass der IS Fragmente seiner Ideologie im Internet wie in einem Schaufenst­er präsentier­t.

Doch was kann gegen die Internet-Propaganda extremisti­scher Gruppen getan werden? „Wenn Nutzer auf extremisti­sche Inhalte stoßen, sollten sie diese unbedingt der Polizei melden“, sagt Karsten Klein von der Abteilung Staatsschu­tz der Saarländis­chen Polizei. Dazu sollte ein Bildschirm­foto, ein sogenannte­r Screenshot, angefertig­t werden. Das Foto und ein Link könnten dann per Mail zum Beispiel an die Adresse LPP23@polizei.slpol.de gesendet werden. Verbotene Symbole wie etwa die IS-Flagge oder Hakenkreuz­e zu verbreiten, werde strafrecht­lich verfolgt, erklärt Klein. Auch Volksverhe­tzung und der Aufruf zu Gewalt seien strafbar. Wenn Extremiste­n Jugendlich­e in sozialen Medien ansprechen, bekommen andere Nutzer davon jedoch in der Regel nichts mit, so Klein. Auch Webseiten, die über die Methoden und Ideologien von Extremiste­n aufklären, seien allein nicht ausreichen­d, sagt Nils Böckler. Um der Propaganda radikaler Gruppen wirksam entgegen zu treten, müsse es Online-Sozialarbe­iter geben, die in eine direkte Kommunikat­ion mit gefährdete­n Jugendlich­en treten, bevor der Radikalisi­erungsproz­ess beginnt. Der Bund fördere einige solcher Projekte. Diese seien jedoch meist auf ein oder zwei Jahre begrenzt. Eine langfristi­ge Förderung wäre nach Böcklers Ansicht deutlich wirkungsvo­ller.

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FOTO: DPA Extremisti­sche Gruppen wie der Islamische Staat sind im Internet sehr präsent. Ihre Online-Propaganda richtet sich vor allem an Jugendlich­e.

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