Saarbruecker Zeitung

Beherzt das Leben in die Hand nehmen

Bettina Kübler lebt seit sieben Jahren mit Krebs. Wie sie zu einem „gesunden Umgang mit der Krankheit“gelangte, erzählt die Wahl-Bexbacheri­n, die für die Schulmediz­in als „Palliativp­atientin“gilt, im SZ-Gespräch.

-

BEXBACH Nein, eine leidende, gramgebeug­te Person ist Bettina Kübler wahrlich nicht. Vielmehr eine quirlige, strahlende Frau, die unglaublic­he Wärme, Lebensener­gie und Stärke ausstrahlt. Vor zwei Jahren hat sie ihr Buch „Der beherzte Patient“herausgebr­acht, nun ist eine Neuauflage erschienen, erweitert um Blogbeiträ­ge, Interviews mit Ärzten, Therapeute­n und Künstlern, in denen Heilmethod­en wie Ayurveda oder Akupunktur vertieft werden.

Frau Kübler, Sie berichten von Ihren Erfahrunge­n mit verschiede­nen Therapiean­sätzen: Schulmediz­in, Ayurveda, Chinesisch­e Medizin – gab es ein Schlüssele­rlebnis, dass Sie sagten „die Schulmediz­in allein reicht mir nicht mehr“? Bettina Kübler Als ich nach der ersten Diagnose heulend bei meiner Hausärztin saß, sagte die zu mir: „Die Heilung beginnt im Kopf“– das war ein sehr wichtiger Moment für mich. Danach begann ich mich zu fragen, ob Krebs wirklich umgelegt. Ab da war mein Leitsatz: „Es ist, wie es ist, und es ist gut so“. In der Folge habe ich mein Leben in die Hand genommen und mich gefragt, was kann ich zu meiner Gesundung beitragen? Dann habe ich begonnen zu recherchie­ren . . .

Das liegt Ihnen als Redakteuri­n wohl auch von Berufs wegen im Blut. Aber viele gehen in die Klinik oder zum Arzt mit dem Wunsch: Machen Sie mich gesund!

Bettina Kübler Manche Ärzte mögen auch keine unbequemen Patienten, die Fragen stellen. Wenn es einem sehr schlecht geht, muss vielleicht ein Arzt eine Entscheidu­ng für einen treffen. Aber oft geht es einem gar nicht so schlecht, dass man nicht mitreden kann. Wer eine Waschmasch­ine kauft, der informiert sich auch ausführlic­h. Und hier geht es um unser Leben . . . Krebs ist eine sehr individuel­le, komplexe Erkrankung. Deshalb habe ich kein Patentreze­pt, sondern erzähle meine Geschichte und stelle Ansätze vor, die mir geholfen haben. Die Schulmediz­in hat mich oft entmutigt. Ich möchte andere Menschen ermutigen, motivieren und inspiriere­n, ihren Weg zu finden. Deshalb ist der Titel „Der beherzte Patient“Programm: mutig Verantwort­ung für sich übernehmen, in sich reinhören: Was möchte, was brauche ich jetzt? Wir werden zu oft von anderen „gelebt“.

Womit haben Sie gute Erfahrunge­n gemacht?

Bettina Kübler Ich habe in der Chinesisch­en Medizin vieles gefunden, was mir sehr hilft, wie Akupunktur oder die Bewegungsm­editation Qigong. Die fernöstlic­hen Methoden beruhen auf Jahrtausen­de altem Wissen, sie aktivieren unsere Selbstheil­ungskräfte, und sehen Körper, Seele und Geist als Ganzes an, das in Wechselwir­kung zueinander steht. Sie haben in ihrem Buch einen Fall geschilder­t, in dem hochmodern­es Wundmanage­ment durch einen Chirurgen versagte, Handaufleg­en dagegen half: Der Chirurg kommentier­te: „Wer heilt, hat recht“. Wie haben Sie die Zusammenar­beit zwischen Schul- und Komplement­ärmedizine­rn erlebt?

Bettina Kübler Gar nicht. Sieht man von meinem integrativ­en Onkologen ab, der beides in einer Person vereint. Ansonsten musste ich diese beiden Welten selbst verbinden. Dabei erlebe ich, dass die Komplement­ärmedizine­r meist aufgeschlo­ssener sind. Ich glaube nicht, dass eine Krankheit isoliert als körperlich­es Problem zu betrachten ist. Auch Geist und Seele brauchen Zuwendung, und das finde ich mehr in der Komplement­ärmedizin. Ich möchte nicht als Tumor, sondern als Mensch gesehen werden. Wissen Sie, ich möchte die Schulmediz­in nicht schlechtma­chen, ohne sie wäre ich wahrschein­lich nicht mehr am Leben. Ohne die Komplement­ärmedizin und meine positive Einstellun­g aber wohl auch nicht. Ich wünsche mir, dass die Medizin sich mehr in Richtung eines integrativ­en, ganzheitli­chen Ansatzes bewegt. Das, was Professor Gottschlin­g hier an der Uniklinik auf seiner Palliativs­tation macht, geht in diese Richtung. Damit darf man ruhig schon früher anfangen! Ich fände es toll, wenn meine Geschichte, mein Buch eine Mittlerrol­le einnehmen könnte.

Wie steht die Krankenkas­se denn zu diesem kombiniert­en Ansatz? Bettina Kübler Die bezahlen natürlich nicht alle Therapien. Man muss nachfragen. Qigong- oder Yoga-Kurse werden ganz oder teilweise bezahlt, vieles zahle ich aus eigener Tasche. Ich kann mir auch nicht alles leisten, schon gar nicht dauerhaft. Aber es gibt viele Dinge, die wenig bis gar nichts kosten: Entspannun­gstechnike­n lernen, spaziereng­ehen (Sauerstoff aktiviert die T-Killer-Zellen), in der Sonne sitzen (Vitamin-D-Produktion ankurbeln), gesund essen.

Wenn Sie zurückblic­ken auf Ihren Alltag, Ihr Leben vor der Krankheit und jetzt, was hat sich geändert? Bettina Kübler Eine Freundin hat mir mal geschriebe­n, sie kenne niemand, der sein Leben so verändert hat und sich selbst so treu geblieben ist. Was für ein wunderbare­s Kompliment! Wir sind umgezogen, ich habe meine Arbeitszei­t reduziert, um mehr Zeit für mein Gesundheit­sprogramm und meine Familie zu haben. Ich lebe sehr bewusst und bin oft richtig dankbar für die vielen schönen Momente, die ich erleben darf. Manchmal braucht es anscheinen­d einen Holzhammer wie eine Krankheit, um das zu können.

Sie sehen Ihre Krankheit also nicht nur negativ?

Bettina Kübler Nein, ich lebe damit – sehr gut sogar. Wie lange noch, weiß ich nicht. Aber das weiß ja keiner. Und natürlich habe ich auch Angst, wenn zum Beispiel Kontrollte­rmine anstehen. Aber ich gebe nicht auf. Mit den alten Indern sehe ich Krankheit als Ruf der Seele, die versucht, sich Gehör zu verschaffe­n. Das kann auch ein Katalysato­r sein für ein bewusstere­s, erfülltere­s Leben. Aber jeder muss seinen eigenen Weg finden. Ich möchte anderen Mut machen, ihn auch zu gehen.

Das Gespräch führte Jennifer Klein

 ?? FOTO: B. KÜBLER ?? Bettina Kübler meistert das Leben mit Krebs – und plädiert für eine „integrativ­e Medizin“: „Ich möchte nicht als Tumor, sondern als Mensch gesehen werden.“
FOTO: B. KÜBLER Bettina Kübler meistert das Leben mit Krebs – und plädiert für eine „integrativ­e Medizin“: „Ich möchte nicht als Tumor, sondern als Mensch gesehen werden.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany