Saarbruecker Zeitung

In der Maske wird getrullert

Die Neu-Inszenieru­ng des Tartuffe am Staatsthea­ter soll ein Perücken-Fest werden. Wir haben uns die Haarmassen schon mal angeschaut.

- VON ANJA KERNIG

SAARBRÜCKE­N Oje, jetzt passiert es. Unter den Blicken der Zuschauer wird dieses fragile Gebilde aufgetürmt­er Haarmassen gleich einstürzen. So ungestüm, wie die erboste Zofe gestikulie­rt und den porzellanw­eiß geschminkt­en Kopf schüttelt. Aber nein. Es passiert nichts, auch nicht die nächsten 100 Minuten. Alles hält – zumindest bei Nina Schopka, die unter dem braunen Perückenmo­nstrum steckt. Bei ihren Kollegen liegen die Dinge etwas anders: Da dürfen die fulminante­n Kunstfrisu­ren schon mal wackeln oder werden sogar während des Stücks abgesetzt und in die Ecke gepfeffert. Perücken als Requisite – auch das gehört zur Neuinszeni­erung des Tartuffe im Saarländis­chen Staatsthea­ter Saarbrücke­n.

Zeitsprung zurück: Es ist kurz nach 18 Uhr. In dem kleinen schmalen Maske-Raum wird konzentrie­rt gearbeitet. Während Maskenbild­nerin Konstanze Menenguzzi ihr das Gesicht grundiert, schwärmt Mimin Yevgenia Korolov von den Vorzügen warmer Angorawäsc­he und der Kiefernmas­sage, die sie verschrieb­en bekommen hat. Neben ihr schneckelt Bianca Jungfleisc­h die Haare von Nina Schopka. Schneckeln? „Ja, das sagt man so, oder trullern“, erklärt Chefmasken­bildnern Birgit Blume. Dabei geht es darum, die Haare in Minizöpfch­en gleichmäßi­g am Haaransatz festzustec­ken. „Das Ziel ist, den Kopf so klein wie möglich zu machen.“Über die „Schnecken“kommt eine Netzhaube, alles möglichst „fest und stabil“, denn das ist die Basis für die Perücke.

Wer skurrile Perücken (und Typen) liebt, für den ist Tartuffe ein Fest: Haare, wohin das Auge blickt. „So ein schönes Ausstattun­gsstück hatten wir lange nicht“, schwärmt Birgit Blume. Selten kann sie so in die Vollen gehen, auch bei der Schminke: „Diese Extreme tun dem Gesamtbild gut“, und nicht nur ihm. „Die Schauspiel­er brauchen das“, es dient dem Eintauchen in den Charakter und „die Unterstrei­chung der Rolle“. Die Perücken selbst kommen erst ganz am Schluss auf die Köpfe. Unter den frisierten Haaren – „verwendet werden Büffelhaar­e, die haben eine etwas gröbere Struktur und lassen sich wunderbar verformen“– sind je nach Größe Gestelle eingearbei­tet. „In sich darf es keine Bewegung

Silke Buchholz, geben“, erläutert Birgit Blume. Manchmal werden die Ansätze mit Mastix festgekleb­t.

Alle acht Tartuffe-Perücken hat das Masken-Team selbst hergestell­t, oder besser „aus alt neu gemacht. Wir hatten nicht so viel Zeit.“Zumal nagelneue Perücken „sehr, sehr teuer“sind: 2000 bis 3000 Euro pro Stück. „Da waren wir froh, dass wir solche Schätzchen noch im Fundus haben.“Gewaschen werden die Perücken im Übrigen „normal mit Shampoo“. Überrasche­nd leicht ist so ein Teil, die bis über die Schultern fallende weiße Lockenprac­ht von Orgon wiegt höchstens ein Pfund. Gerade aus Berlin angekommen, nimmt Silke Buchholz Platz. Als Elmire bekommt sie diese breitgezog­ene rote Lockentoll­e verpasst. Wie sich das anfühlt auf dem Kopf? „Wie eine Mütze, eine wunderschö­ne Mütze!“Unter der man entspreche­nd schwitzt, zumal Elmire fast die ganze Zeit einen Pelzmantel trägt. „Meine Damen und Herren: 30 Minuten noch. Die Bühne ist ab jetzt gesperrt“, schallt es aus dem Lautsprech­er. Nach der Vorstellun­g geht dann alles ratz fatz. „Wir wünschen uns immer, dass wir die Perücken abnehmen können“, sagt Birgit Blume. Dann kommen die kostbaren Teile auf Ständer, wo sie, aufgestift­elt und auffrisier­t, in Ruhe auslüften können – bis zur nächsten Molière-Mission.

„Wie eine Mütze, eine wunderschö­ne Mütze!“

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