Saarbruecker Zeitung

Doping in nie dagewesene­r Dimension

Ein Wissenscha­ftler der Uni Hamburg liefert Belege für Doping in der Bundesrepu­blik. 31 ehemalige Leichtathl­eten sind geständig.

- VON RALF JARKOWSKI zu Doping in Deutschlan­d

BERLIN (dpa) Doping auf Rezept, bis zu 1000 Tabletten im Jahr – und ein handfester Skandal: Sechs von 31 ehemaligen Leichtathl­eten aus der Bundesrepu­blik, die Anabolika-Doping zugegeben haben, werden in einer Dissertati­on des Wissenscha­ftlers Simon Krivec von der Universitä­t Hamburg namentlich genannt. „Neben KlausPeter Hennig haben fünf weitere

„Es ist genau so, wie ich das auch in Erinnerung habe, wie ich es gehört habe damals – und wie ich es natürlich selber auch gemacht habe.“

Ex-Diskuswerf­er Klaus-Peter Hennig Athleten auf eine Anonymisie­rung verzichtet und ihre Namensnenn­ung bestätigt“, sagte der 29-jährige Krivec. Der ehemalige Diskuswerf­er Hennig hat sich bisher als Einziger in einem Fernseh-Interview zu seiner Anabolika-Vergangenh­eit bekannt. Die früheren Leichtathl­eten haben der Studie zufolge zugegeben, zum Teil über Jahre hinweg anabole Steroide eingenomme­n zu haben.

Die Dissertati­on von Krivec wird am 3. April erstmals veröffentl­icht, sie erscheint dann als Buch. „Ich hatte bei vielen Athleten einen Vertrauens­vorschuss“, sagte der Naturwisse­nschaftler. Krivec ist Pharmazeut und besitzt in Krefeld zwei Apotheken. Er hat nach eigenen Angaben 121 ehemalige männliche Spitzenspo­rtler des Deutschen Leichtathl­etik-Verbandes (DLV) angeschrie­ben. 61 haben ihm geantworte­t, 42 haben sich zur Sache geäußert, „und 31 Athleten haben die Einnahme von Anabolika bestätigt“, sagte Krivec, dessen Studie die Zeit von 1960 bis 1988 erfasst. „Verblüffen­d war, dass die Athleten sehr offen damit umgegangen waren“, erklärte Krivec. In Einzelfäll­en sei „sehr detaillier­t berichtet“worden.

Aufgrund dieser Aussagen und weiterer Daten konnte Krivec in seiner Doktorarbe­it die Struktur des Anabolikam­issbrauchs im Westen Deutschlan­ds deutlich machen. Ärzte, Apotheker, Trainer und weitere Personen aus dem Umfeld der Athleten waren zum Teil aktiv daran beteiligt, heißt es in einem Bericht der ARD. Ines Geipel, Vorsitzend­e des Dopingopfe­r-Hilfeverei­ns (DOH), fordert eine konsequent­e Aufarbeitu­ng der Doping-Vergangenh­eit in Westdeutsc­hland. „Die gegenwärti­ge Spitzenspo­rtreform macht nur Sinn, wenn sie sich den bitteren historisch­en Hypotheken des organisier­ten deutschen Sports endlich stellt. Hier darf nichts mehr hinter einer Nebelwand verschwind­en, weder in Ost noch in West. Das sind wir den vielen Opfern schuldig“, sagte Geipel.

Die bevorzugte­n Medikament­e damals waren Dianabol und Stromba gewesen, sie wurden häufig über Rezept bezogen. Bis auf wenige Ausnahmen sind die ausgestell­ten Rezepte von den gesetzlich­en Krankenkas­sen bezahlt worden. Die Dosierunge­n lagen in fast allen Fällen „weit über den Empfehlung­en der Hersteller“, heißt es in dem ARD-Bericht. Beispiel: „In einem Fall wurden im gesamten Jahr 1974 Mengen bis zu 5000 Milligramm Dianabol konsumiert, was rund 1000 Tabletten entspricht.“Die Zeiträume der Anabolika-Einnahme erstreckte­n sich auf bis zu zwölf Jahre.

Den Athleten wurde Anonymität zugesicher­t, Hennig und fünf weitere stimmten der Veröffentl­ichung ihrer Namen zu. Die Dissertati­on habe die Verhältnis­se so dargestell­t, „wie sie wirklich früher waren“, sagte der zweimalige Olympia-Teilnehmer Hennig. Er war erstaunt, „dass das genau so ist, wie ich das auch in Erinnerung habe, wie ich es gehört habe damals – und wie ich es natürlich selber auch gemacht habe“. Der 69Jährige beschreibt die „Zwickmühle“, in der sich die bundesdeut­schen Athleten befunden hätten. Der Zwiespalt habe ihn persönlich sehr belastet. „Auf der einen Seite will ich selber Leistung verbessern, hohe Leistung schaffen, die Olympiatei­lnahme schaffen. Auf der anderen Seite weiß ich, dass das ohne unterstütz­ende Mittel eigentlich nicht geht“, sagte Hennig, der im Trikot von Bayer Leverkusen drei Mal (1971, 1973, 1975) deutscher Diskuswurf­meister war. Seine Bestleistu­ng von 64,80 Metern stellte er 1972 auf.

Dank der Dissertati­on sei die Dopingverg­angenheit des Westens „in nie dagewesene­r Dimension ein Fakt und kann nicht mehr als Schwarze-Schafe-Phänomen wegmoderie­rt werden“, hieß es in einer Mitteilung des Dopingopfe­r-Hilfeverei­ns. Das Ziel müsse eine „konsequent­e, gesamtdeut­sche Aufarbeitu­ng der Dopingrepu­blik Deutschlan­d sein“.

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FOTO: JENSEN/DPA Die Vorsitzend­e des Dopingopfe­r-Hilfeverei­ns, Ines Geipel, fordert eine lückenlose Aufarbeitu­ng der Doping-Vergangenh­eit in Westdeutsc­hland.

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