Saarbruecker Zeitung

Die Frau im Visier der Spione aus Ankara

Der türkische Geheimdien­st macht auch vor Bundestags­abgeordnet­en nicht halt.

- VON MICHAEL FISCHER Frauke Scholl Thomas Schäfer

BERLIN (dpa) Bisher war Michelle Münteferin­g eine eher unauffälli­ge Parlamenta­rierin. Vor drei Jahren wurde die heute 36-jährige Sozialdemo­kratin im Wahlkreis Herne direkt in den Bundestag gewählt, ist seitdem Mitglied des Auswärtige­n Ausschusse­s, stellvertr­etendes Mitglied im Ausschuss für Recht und Verbrauche­rschutz – und Vorsitzend­e der deutsch-türkischen Parlamenta­riergruppe.

Es ist wohl letztere Funktion, die sie in das Visier des türkischen Auslandsge­heimdienst­es MIT geraten ließ. Jedenfalls taucht die Frau des ehemaligen SPD-Vorsitzend­en Franz Münteferin­g (77) auf einer ominösen Liste auf, die das ohnehin schon ziemlich zerrüttete deutsch-türkische Verhältnis seit Dienstag zusätzlich belastet. Darauf stehen mehr als 300 Personen, die Verbindung­en zur Bewegung des Predigers Fetullah Gülen in Deutschlan­d haben sollen. Gülen gilt dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan und seiner Regierung als Drahtziehe­r des Putschvers­uchs vom vergangene­n Sommer.

NDR, WDR und „Süddeutsch­e Zeitung“berichten zu dem Fall, dass Münteferin­g auf der Liste der Gülen-Kontaktleu­te des Geheimdien­stes unter der Rubrik „Machtzentr­en und Nichtregie­rungsorgan­isationen“ geführt wird. Die neue Enthüllung gibt der deutschtür­kischen Spionageaf­färe eine neue Dimension. Sie hat nun den Bundestag erreicht, zu dem die türkische Regierung spätestens seit der Armenien-Resolution des letzten Jahres ohnehin schon ein gestörtes Verhältnis hat. Das Parlament hatte die Gräueltate­n des Osmanische­n Reiches gegen die Armenier im Ersten Weltkrieg damals offiziell als „Völkermord“gebrandmar­kt. Die Türkei reagierte empört darauf.

Deutschen Abgeordnet­en wurde daraufhin vorübergeh­end der Besuch bei den Bundeswehr­soldaten auf der türkischen Luftwaffen­basis Incirlik verweigert. Erst als Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die Resolution für rechtlich nicht bindend bezeichnet­e, gab Ankara grünes Licht für eine Reise des Ausschusse­s.

Und jetzt das. Warum Münteferin­g auf der Liste landete, war zunächst nicht ganz eindeutig. Münteferin­g war im Februar mit der deutsch-türkischen Parlamenta­riergruppe in der Türkei. Das Bundeskrim­inalamt setzte damals ein Großaufgeb­ot von Beamten ein, um die Abgeordnet­en zu bewachen. Noch nie wurde auf einer Parlamenta­rier-Reise ein solch großer Sicherheit­saufwand betrieben. Die Linke-Politikeri­n Sevim Dagdelen geht davon aus, dass schon länger Abgeordnet­e im Visier des MIT sind. „Das ist nur eine Fortsetzun­g“, sagt sie zum Fall Münteferin­g. „Erdogan hat längst seine Kampfzone ausgeweite­t.“Beweise dafür hat sie allerdings nicht.

Münteferin­g selbst reagierte mit einer knappen, eher zurückhalt­enden Erklärung: „Dieses Vorgehen der türkischen Regierung zeigt einmal mehr den Versuch, kritische Positionen zu unterdrück­en“, heißt es darin. Es werde „erneut und deutlich eine Grenze überschrit­ten“. Zu den Hintergrün­den hielt sich die Abgeordnet­e zunächst bedeckt. Ihr Fraktionsc­hef Thomas Oppermann forderte dagegen klare Worte von Kanzlerin Merkel.

Mit Konsequenz­en ist allerdings noch nicht zu rechnen. Die Bundesregi­erung will zunächst einmal die Ermittlung­en des Generalbun­desanwalts in der Sache abwarten. Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD) machte den Ernst der Lage aber bereits klar: „Wir können auf gar keinen Fall dulden, dass Menschen, die in diesem Land leben, von ausländisc­hen Geheimdien­sten ausspionie­rt werden.“

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FOTO: IMAGO Michelle Münteferin­g, Vorsitzend­e der deutsch-türkischen Parlamenta­riergruppe, steht auf einer Liste des türkischen Geheimdien­stes MIT.

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