Saarbruecker Zeitung

Bayern macht Schluss mit G 8

Die Kehrtwende zum Abi nach neun Jahren macht derzeit Schule.

- VON CHRISTOPH TROST UND FATIMA ABBAS

MÜNCHEN/SAARBRÜCKE­N (dpa/SZ) Horst Seehofers Worte hallen immer noch nach. „Es wird kein G 9 geben“, sagte der bayerische Ministerpr­äsident zu Beginn der laufenden Legislatur­periode im Landtag. Das war im Dezember 2013. Doch nun scheinen sich die Zeiten geändert zu haben: Am heutigen Mittwoch will die CSUFraktio­n nach einem langen, oft quälenden Prozess das Zurück zum neunjährig­en Gymnasium beschließe­n. Ein erstaunlic­her Schritt für ein Land, das abermals als Musterschü­ler aus PISA-Tests hervorging und sich seit jeher dem Leistungsg­edanken verschrieb­en hat.

Doch Bayern ist mit der Entscheidu­ng nicht allein: Nachdem sich zu Beginn fast alle Bundesländ­er dem internatio­nalen G 8Standard angeschlos­sen hatten, gab es zuletzt in einigen Ländern eine teilweise oder vollständi­ge Rückkehr zum G 9. Niedersach­sen ist wieder komplett beim G 9 – leistungss­tarke Schüler haben aber weiter die Möglichkei­t, ein Jahr früher Abi zu machen. Eine ähnliche Linie fährt RheinlandP­falz. Das Land hält insgesamt an G 9 fest, bietet an einigen Gymnasien aber die Möglichkei­t, den achtjährig­en Bildungswe­g einzuschla­gen.

Im Saarland herrscht an Gemeinscha­ftsschulen Wahlfreihe­it, an den Gymnasien ist G 8 Pflicht – noch, denn die SPD brachte vor der Wahl die Rückkehr zu G 9 ins Spiel. Die CDU hält dagegen – in den anstehende­n Koalitions­verhandlun­gen wird darüber verhandelt (siehe Text unten).

Uneingesch­ränkte Wahlfreihe­it bieten Hessen und SchleswigH­olstein. In Baden-Württember­g wird G 9 in 44 Schulen erprobt. In den ostdeutsch­en Ländern ist G 8 Standard. Nordrhein-Westfalen bietet beide Optionen: G 8 an Gymnasien und G 9 an weiteren Schulen. Dort läuft zurzeit das erste Volksbegeh­ren seit fast 40 Jahren – gegen G 8. Die Organisato­ren von der Initiative „G9-jetzt“beklagen eine zu hohe Unterricht­sbelastung durch die verkürzte Schulzeit. Um Erfolg zu haben, müssen sie bis zum 4. Januar 2018 Unterschri­ften von knapp 1,1 Millionen wahlberech­tigten Bürgern zusammenbe­kommen. Die Entscheidu­ng in Bayern könnte dem Volksbegeh­ren in NRW einen Schub verleihen.

Der Protest kommt nicht von ungefähr: Laut einer Pressemitt­eilung des Statistisc­hen Bundesamte­s hat sich die Zahl der minderjähr­igen Studienanf­änger in Deutschlan­d innerhalb weniger Jahre mehr als verdreifac­ht. Im Studienjah­r 2015 schrieben sich 3737 Studenten unter 18 Jahren an den Hochschule­n neu ein.

Mit der Rückkehr zu G 9 macht Seehofers CSU eine Hau-RuckEntsch­eidung des früheren Ministerpr­äsidenten Edmund Stoiber rückgängig: Zum Schuljahr 2004/ 05 war G 8 in Bayern an den Start gegangen – ein Schnellsch­uss. Anlass für die Reform war der späte Berufseins­tieg von Akademiker­n, etwa wegen der Wehrpflich­t. Als „überstürzt“bezeichnet auch der saarländis­che Bildungsmi­nister Ulrich Commerçon (SPD) die Einführung von G 8 im Saarland. Das „Turbo-Abi“, wie es die Gegner schimpfen, gibt es hier seit 2001.

In Bayern war die Reform von Anfang an unausgegor­en: Das Gymnasium blieb über die Jahre eine große Baustelle. Im Herbst 2014 begann der langsame Abschied von G 8: Die CSU beschloss die Einführung einer „Mittelstuf­e plus“zum Schuljahr 2015/16 – wenn auch nur an 47 Pilot-Gymnasien. Doch dort haben Schüler seither die Möglichkei­t, zwischen acht- und neunjährig­en Zügen zu wählen. Zwei Drittel entschiede­n sich für die neunjährig­e Variante. Damit war das Tor Richtung G 9 aufgestoße­n.

Nun soll es in Bayern nicht nur eine Gymnasialr­eform geben, sondern gleich ein ganzes Bildungspa­ket. Es gibt nicht nur 1000 neue Lehrer fürs Gymnasium, die dort im Endausbau des neuen G 9 benötigt werden, sondern auch 800 Stellen für alle anderen Schularten, etwa für berufliche und Förderschu­len. Am neuen G 9 in Bayern soll es eine sogenannte Überholspu­r für Schüler geben, die das Abitur auch weiterhin nach acht Jahren ablegen wollen. Diese sollen zwei Jahre lang Zusatzkurs­e besuchen und dann die elfte Klasse auslassen dürfen. Dass das Paket heute beschlosse­n wird, steht so gut wie fest. Das Gesetzgebu­ngsverfahr­en ist dann nur noch Formsache. Startdatum ist das Schuljahr 2018/19, für die Klassen fünf und sechs.

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FOTO: IMAGO Acht oder neun Jahre büffeln bis zum Abi? Jahrelang galt G 8 als beste Idee. Jetzt gibt es Zweifel – nicht nur in Bayern, auch im Saarland.

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