Machthaber Assad testet neue „rote Linien“aus
ANALYSE Erst diese Woche hatte Donald Trump erklärt, die Absetzung Assads sei im Moment nicht mehr amerikanische Priorität. Das stärkt das syrische Regime.
KAIRO/GENF (SZ/dpa) Ein unbeschreibliches Grauen zeigen die Bilder auf syrischen Internetseiten von Toten und Menschen, die mit dem Erstickungstod ringen und alle Symptome von Giftgas zeigen. Die Szenen entstanden, nachdem bei drei Luftangriffen über dem Ort Chan Scheichun Geschosse mit giftigen Substanzen abgeworfen worden waren. Die Provinz Idlib wird von einer Allianz aus Rebellen und Dschihadisten kontrolliert und ist immer wieder Ziel von Luftangriffen.
Da das Gift aus der Luft abgeworfen wurde – entweder aus einem Helikopter oder einem Jet – steht für die Betroffenen zweifelsfrei fest, dass das Regime hinter dem Angriff steht, auch wenn noch nicht sicher ermittelt werden konnte, um welche Substanz es sich handelt. Nicht namentlich genannte Vertreter des Regimes von Bashar al-Assad sprachen in ersten Reaktionen von „Verleumdung“.
Das ist ein bekanntes Muster. Assad hat diese abscheulichen Verbrechen immer abgestritten, auch wenn in internationalen Untersuchungen der Einsatz von Chlorgas in mehreren Fällen belegt werden konnte. Er setzt diese Waffe, die einen enormen psychologischen Effekt hat, ganz gezielt ein. Und das obwohl sein Vorrat an chemischen Waffen im Herbst 2013 in einer internationalen Aktion vernichtet worden sein sollte. Mit diesem „Zugeständnis“konnte Assad damals angedrohte USLuftangriffe verhindern.
UN-Menschenrechtsrat
Ex-Präsident Barack Obama hatte den Einsatz von chemischen Waffen als „rote Linie“bezeichnet. Offensichtlich will Assad jetzt die „roten Linien“des neuen Präsidenten im Weißen Haus austesten. Er tut dies aus einer Position der Stärke. Erst diese Woche hatte Donald Trump erklärt, die Absetzung Assads sei im Moment nicht mehr amerikanische Priorität, die Bekämpfung der Terroristen des IS habe Vorrang. Die amerikanische UN-Botschafterin Nikki Haley hatte nur Stunden vor der neusten chemischen Attacke Assad als Kriegsverbrecher bezeichnet, der von Russland und Iran unterstützt werde. Sie hoffe aber, dass die Trump-Regierung ihn zur Verantwortung ziehen werde.
Der Zeitpunkt dieses GiftgasEinsatzes ist auch eine Ohrfeige für die Vertreter von EU, UN und einigen arabischen Staaten, die derzeit in Brüssel nicht nur das Geld für die humanitäre Hilfe in Syrien und die Kriegsflüchtlinge auftreiben, sondern auch die Nachkriegszeit vorbereiten wollen. Das heißt, die Zeit nach der Unterschrift unter ein politisches Abkommen. Dieser Zeitpunkt scheint jetzt aber in noch weitere Ferne gerückt. Die Opposition verlangt von der UN nicht nur eine Untersuchung vor Ort sondern stellt auch den Fortgang der Genfer Verhandlungen in Frage.
Die Vereinten Nationen reagierten gestern erwartungsgemäß mit einer scharfen Verurteilung des Angriffs. Die Syrien-Ermittler des UN-Menschenrechtsrates untersuchten den Vorfall, teilten sie mit. „Sowohl der Einsatz von chemischen Waffen als auch der bewusste Angriff auf medizinische Einrichtungen würden ein Kriegsverbrechen und eine weitreichende Verletzung der Menschenrechte bedeuten“, hieß es in einer Stellungnahme.
Die letzte Verhandlungsrunde in Genf ist am Wochenende ohnehin ohne zählbares Ergebnis vertagt worden. Diese jüngsten grauenhaften Verbrechen spielen den Extremisten nun als Rekrutierungsargument in die Hände. Assad scheint auf militärische Eskalation zu setzen, um nicht verhandeln zu müssen, sondern diktieren zu können.
„Der Einsatz von chemischen Waffen
würde ein Kriegsverbrechen
bedeuten.“