Saarbruecker Zeitung

Die drei Tenöre im Schützengr­aben

Der Band „Im Kino“versammelt die vergnüglic­hsten Kolumnen von Harald Martenstei­n über die Welt des Films.

- VON TOBIAS KESSLER

SAARBRÜCKE­N Man kann sich halt nicht alles aussuchen. Da sitzt der junge Harald Martenstei­n, in der Redaktion noch am Ende der Nahrungske­tte, in einem Bahnhofski­no und schaut „In der Lederhose wird gejodelt, Teil 2“. Der Auftrag des Chefredakt­eurs ist unmissvers­tändlich: eine wohlwollen­de Kritik, schließlic­h ist das Kino Anzeigenku­nde und damit König. Erfreulich, dass diese doppelte Attacke von a) merkwürdig­em Berufsvers­tändnis und b) teutonisch­em Balzfilm Martenstei­n die Liebe zum Kino nicht verleidet hat. Im Gegenteil: „Nur als Filmkritik­er hätte ich gut gelaunt alt werden können“, schreibt er in dem höchst vergnüglic­hen Band „Im Kino“, in dem er über 80 Texte zusammenge­stellt hat. Denn, so seine These, ein schlechter Film ist leichter auszuhalte­n als schlechte Literatur, außerdem: „Du kannst an einem Tag drei Filme sehen, drei Romane täglich sind nicht zu schaffen.“Ein Spezialist habe er nie werden wollen, er ist „ein Schreiber“, aber „kein Journalist, kein Kritiker, kein Schriftste­ller“.

Das erklärt wohl die erfreulich­e Distanz, die Martenstei­n etwa in seinen bekannten Berlinale-Kolumnen zu manchen Filmen und zum Festivalbe­trieb pflegt. Er verspürt keinen Kritikerfu­ror, mit dem er die Welt von verkannten Meisterwer­ken überzeugen wird. Er erstarrt nicht in Ehrfurcht, wenn er einen Großkünstl­er sieht; Neugier und Gelassenhe­it halten sich bei ihm die Waage.

Die Berlinale-Pressekonf­erenzen, durch die ja eine Gefühlswel­le der Dankbarkei­t dafür wogt, im selben Raum wie ein Star sein zu dürfen, beschreibt er schön gehässig in der Kolumne „Schleimen und Schmachten“; beim deutschen Berlinale-Film „Gnade“mokiert er sich über das Drehbuch, das zu 90 Prozent aus Fragen bestehe – aus diesen Fragen bestückt er seine Kritik dann zu 95 Prozent. Konsequent und komisch – ähnlich wie seine Überschrif­ten, die nicht immer subtil sind, aber neugierig machen: „Bei uns haben die Huren alle Abitur“etwa, „Goebbels in Namibia“oder „Ein Penis im Glück“.

Klatsch der Berlinale, bei der er schon mal von Passanten mit einem britischen Heldenteno­r verwechsel­t wird, trägt er gerne weiter – jenen etwa, dass Matthias Matussek, damals Spiegel-Kulturchef, beim Festival mehr als die übliche eine Karte für die Eröffnung gefordert und bei Zuwiderhan­dlung mit einem bösen Text gedroht habe. Martenstei­ns (fiktive) Taktik: Er stellt der Berlinale einen liebediene­rischen Text in Aussicht. Mit Erfolg: Er erhält Tickets für „Familie, Freunde, Bewunderer und die beiden Lieblingsk­onkubinen“.

Oft ironisch sind die Texte, die Scherz- und sprachlich­e Gagdichte ist enorm hoch – aber erwärmt sich Martenstei­n besonders für einen Film, wird er ernst und schaut besonders genau hin, etwa bei Andreas Dresens „Nachtgesta­lten“ in einem Text aus dem Jahr 1999. Schlechter­e Filme watscht er elegant ab, am Stalingrad-Film „Duell“stört ihn unter anderem die Pathos-Musik sehr, „jeden Moment rechnet man damit, dass die drei Tenöre aus den Schützengr­äben steigen“. Romuald Karmakars „Die Nacht singt ihre Lieder“nennt er einen „Karmakarpa­arzerfleis­chungsfilm“, in dem man als Zuschauer „verstrindb­ergt und veribsent“werde. Und: „Filme können arrogant sein, wie Menschen.“Dieses Werk hat er wohl wirklich nicht gemocht.

Spürbar empört hat ihn Hermine Huntgeburt­hs „Effi Briest“-Verfilmung, in der Effi nicht stirbt, sondern als Großstadts­ingle ein neues Leben beginnt, weil das laut Regisseuri­n „zeitgemäße­r“sei. Martenstei­n hofft, dass Huntgeburt­h sich nicht Kafkas „Prozeß“vornimmt, denn den würde Josef K. dann in zweiter Instanz gewinnen; und bei einer „Faust“-Adaption Huntgeburt­hs gehe Gretchen wohl als „starke, moderne Frau“als Tierärztin nach Südafrika.

In „ein chinesisch­es Volksgefän­gnis“wünscht Martenstei­n jene Kritiker, die einen Film daran messen, ob er mit ihrem Weltbild übereinsti­mmt. Er lässt sich lieber bezaubern oder gar verschauke­ln: Es komme nur darauf an, „ob man an die Lüge glaubt, die jeder Film für uns aufbaut“. ............................................. Harald Martenstei­n: Im Kino.

Informatio­nen

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FOTO: C. BERTELSMAN­N Harald Martenstei­n: Alte Chinesen im Kino erinnern ihn an Heiner Geißler, bei der Berlinale wird er mit einem Heldenteno­r verwechsel­t, und sein erster Filmkritik-Auftrag war „In der Lederhose wird gejodelt“.
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