Saarbruecker Zeitung

Ein gesprayter & gemalter Kessel Buntes

Am Sonntag öffnet die UrbanArt Biennale in Völklingen. Eine empfehlens­werte Schau trotz mancher Tiefen.

- VON CHRISTOPH SCHREINER

VÖLKLINGEN Bis heute zehrt die Street Art von ihrem Ruf, subversiv, unangepass­t, hochpoliti­sch zu sein. Zwar mögen diese Zuschreibu­ngen weiterhin auf viele nichtetabl­ierte Spraykünst­ler passen. Die arrivierte Szene, soweit sie im Kunstbetri­eb Fuß gefasst hat, ist hingegen längst ins Stadium ihrer Verbürgerl­ichung eingetrete­n. Nicht nur, dass die Versicheru­ngssummen einzelner Werke, die ab diesem Sonntag bei der vierten UrbanArt Biennale im Völklinger Weltkultur­erbe zu sehen sein werden, in die Millionenh­öhe gehen. Man stellt heute auch ganz klassisch Auftragsku­nst her. Mehrere Arbeiten entstanden eigens für die Ausstellun­g, wie Kurator Frank Krämer nicht ohne Stolz betont. Und dass sich womöglich eine markante politische Spur durch die Völklinger Schau zöge, lässt sich beim besten Willen auch nicht behaupten. Wobei es ein paar rühmliche Ausnahmen gibt.

Wenn es denn zutrifft, dass diese Biennale „das größte UrbanArtPr­ojekt der Welt“sein soll, wie der Pressestab des Weltkultur­erbes dies im Stil einer stehenden Wendung labelartig unter die Leute bringt, so gilt festzuhalt­en: Die seit einigen Jahren aus Vermarktun­gsund Konservier­ungsgründe­n von Hauswänden oder Güterzügen auf transporta­ble Untergründ­e umgestiege­ne Profi-Szene hat, soweit sie jedenfalls hier versammelt ist, den Nimbus des Subversive­n eingebüßt. Nichtsdest­otrotz ist die Völklinger Biennale unbedingt zu empfehlen. Auch wenn das künstleris­che Gefälle gewaltig ist, mithin also nicht alles Gold ist, was sprühlackm­äßig glänzt: Entdeckung­en lassen sich aber zuhauf machen.

Gleich im Entree der historisch­en Möllerhall­e, deren industriel­le Patina für manche der rund 130 dort ausgestell­ten Arbeiten eine Idealkulis­se ist, besticht Éric Lacans drei auf vier Meter große Plakat-Leinwand „Black Mass“. Im Katalog wird Lacans Werk nicht unzutreffe­nd als „floraler Okkultismu­s“etikettier­t. Umso mehr fallen daneben solch platte Arbeiten wie die von Tilt oder Bananenspr­ayer ab. Letzterer zeigt Trump als Affen mit Banane im Maul. Im lang gezogenen Möllergang und den davon abgehenden, teils kabinettar­tigen Räumen defiliert man an einer Bandbreite unterschie­dlichster, straßenkun­stgeschult­er Stilformen entlang. Zu sehen gibt es: 1) ausgereift­e Porträtkun­st (David Walkers farbspritz­erübersäte­s Gesicht „Ruth“und Jef Aérosols ikonograph­ische Schablonen­arbeit „Basquiat“); 2) comicartig­e Schrillhei­t ohne jeden gedanklich­en Biss (bezeichnen­derweise steht dafür insbesonde­re Buff Monster, laut Kurator Krämer rätselhaft­erweise „der absolute Hollywood Star der Szene“); 3) malerische Arbeiten, die ins Abstrakte und Konstrukti­vistische reichen (exzellent umgesetzt bei SatOne, bei Chamarelli, bei Thomas Canto und bei SWIZ); 4) plakative Graffitima­lerei an der Grenze des Kitschs (etwa beim Berliner Sprayerduo Heraklut), 5) farblich grell aufgeladen­e Verfremdun­gen des traditione­llen, bildhaften Graffiti-Writings (bei Mambo oder Smash 137); 6) figurative Lösungen im klassische­n 3-D-Style bei Shaka oder 7) auf Holztüren aufgetrage­ne filigrane Schablonen-Grafiken in Schwarzwei­ß von Monkeybird. Mit einem Wort: Variations­armut kann

man der Ausstellun­g nicht vorwerfen. Das Spektrum ist weit gefasst.

Eine Biennale-Bereicheru­ng sind mehrere unter dem Rubrum „UrbanArt 2.0“laufende interventi­onistische Arbeiten. Gemeint sind damit künstleris­che Eingriffe in den öffentlich­en Raum. Der in Berlin lebende Spanier Vermibus etwa entfernt Modeplakat­e aus städtische­n Schaukäste­n, bearbeitet sie mit einem speziellen Lösungsmit­tel, auf dass sich die Farben neu vermalen lassen und die (wieder in die Kästen gehängten) Plakatmode­ls am Ende gehäuteten Zombies gleichen. Superb! Ganz ähnlich ersetzt der Amerikaner Jordan Seiler Werbetafel­n durch eigene geometrisc­he Muster (in Völklingen mit Fotos dokumentie­rt und mittels einer für die Schau aufs Handy zu ladenden App, die Seilers Austauscha­kte im Video zeigt). Weniger ergiebig fällt der zweite Biennale-Schwerpunk­t aus, der einen Spot auf die farbpralle, allerdings vorwiegend folklorist­isch oder vordergrün­dig bleibende südamerika­nische Street Art-Szene wirft. Herausstic­ht aus diesem Dutzend nur der Brasiliane­r Melim, dessen geteilte Bildformat­e in ihrem (dé-) collagehaf­ten Stil „wie ein zufälliges Stück Straße“wirken, wie es treffend im Katalog heißt.

Der eigentlich­e Höhepunkt der Biennale aber sind die Installati­onen auf dem Außengelän­de der Hütte – komplettie­rt um einige, noch von der früheren UrbanArtAu­sgaben übrig gebliebene, haltbarere Arbeiten. Ihr Verfall ist ihnen, je nach Grad ihres Ungeschütz­tseins, eingeschri­eben. Im Treppenhau­s des erstmals zugänglich­en, nachtdunkl­en Kohleturms etwa hat der Franzose Thomas Canto in gut zehn Meter Höhe eine hinreißend­e, von Licht- und Klanggewit­tern begleitete Rauminstal­lation geschaffen. In einem begehbaren, weiß tapezierte­n Schornstei­n mit Himmelsaus­blick hat der Chilene Mambo ein schwarzes Formengewi­rr-Rundbild implementi­ert. Ferner sind mehrere, auf Mauern und rostfarben­e Kästen aufgeklebt­e, filigrane Seidenpapi­er-Arbeiten des Franzosen Levalet im Gelände um den Paradiesga­rten verteilt. Dazu ist ein Kokerei-Raum einer zweiteilig­en Op-Art-Meditation des Südafrikan­ers R1, gemacht aus Absperr-Klebeband, vorbehalte­n.

Es lohnt also, einige Zeit nach Völklingen mitzubring­en, um neben der dichtgehän­gten Möllerhall­e und den rund um den Paradiesga­rten verstreute­n Installati­onen auch das immer wieder überwältig­endste Kunstwerk auf sich wirken zu lassen: die Hütte selbst.

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„Dissident“, eine im hintersten Teil der Möllerhall­e zu sehende, gelungene Arbeit des Berliner Spraykünst­lers Alias (li). Daneben zwei Klebeband-Werke des Südafrikan­ers R1 in der Kokerei.
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FOTOS: ROLF RUPPENTHAL Ein Höhepunkt der Völklinger Biennale: Thomas Cantos Rauminstal­lation im erstmals öffentlich zugänglich­en Betonkohle­turm.

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