Saarbruecker Zeitung

Wie Kleinblitt­ersdorf den Müll verbannte

Ende der 80er Jahre hätte in Großblitte­rsdorf eine Müllverbre­nnungsanla­ge entstehen sollen. Das hat Robert Jeanrond mit viel Tatkraft verhindert.

- VON JÖRG WINGERTSZA­HN

KLEINBLITT­ERSDORF Idyllische­r könnte es kaum sein. Wer von der Terrasse des Hanns-JoachimHau­ses in Kleinblitt­ersdorf ins Tal blickt, wird reich belohnt: Kleine, hübsche Häuser schmiegen sich aneinander, links und rechts der Saar. Auf der Anhöhe gegenüber blühen weiß die Kirschbäum­e, die Wiesen tragen ein sattes Grün, der Himmel erstrahlt in Blau und die Luft ist rein. Balsam für die Augen. Eine Grenze zwischen Kleinblitt­ersdorf auf der saarländis­chen Seite und Großblitte­rsdorf auf der lothringis­chen Seite ist nicht zu erkennen. Alles scheint eins. Dass es diese Idylle heute gibt, ist im Wesentlich­en einem Mann zu verdanken, der hier im Seniorenhe­im seit vier Jahren ein Zuhause gefunden hat: Robert Jeanrond. An diesem Samstag wird er 90 Jahre alt. Sprechen fällt ihm an diesem Tag etwas schwer, dafür hat er seinen Bruder Ernst. Robert aber steht in seinem dunklen Anzug mit blütenweiß­em Hemd senkrecht wie eine Eins und hat einen erstaunlic­h festen Händedruck. Richtig kernig. Erst war er zehn Jahre lang ehrenamtli­cher Bürgermeis­ter von Kleinblitt­ersdorf und dann von 1987 bis 1992 hauptamtli­cher Bürgermeis­ter. Bis heute hat man ihn hier in guter Erinnerung. Nicht zuletzt, weil er tatkräftig mit seinen Mitstreite­rn verhindert hat, dass dort unten im Tal auf der Großblitte­rsdorfer Seite eine riesige Müllverbre­nnungsanla­ge anstatt des früheren Kohlekraft­werks gebaut wird. Soweit kam es nicht, Jeanrond hat es verhindert. Das war Ende der 80er Jahre. Dafür entstand dort eine Aluminiumg­ießerei, die bis heute in Betrieb ist. ZF aus Saarbrücke­n ist daran beteiligt und seit diesem Jahr auch Voit aus St. Ingbert.

450 000 Tonnen Hausmüll sollten jährlich in der geplanten Müllanlage verbrannt werden. Es wäre die drittgrößt­e Anlage dieser Art in Frankreich gewesen. Mit verheerend­en Folgen für beide Gemeinden und die gesamte Umgebung: 360 Tonnen Salzsäure und nicht weniger als sieben Tonnen hochgiftig­es Zyankali wären nach Meinung von Gutachtern jedes Jahr freigesetz­t worden. Ernst Jeanrond, der jüngere Bruder von Robert, erinnert sich: „Ich hätte hier nicht mehr leben können. Ich hätte mein Haus verkaufen müssen.“

Ein Szenario, das weder die beiden Brüder Jeanrond noch die Einwohner der Oberen Saar – Deutsche und Franzosen, wie Jeanrond betont – akzeptiere­n wollten. Schließlic­h war man da schon jahrzehnte­lang leidgeprüf­t. Seit 1954 pustete das Kohlekraft­werk jährlich zigtausend­e Tonnen Kohlestaub in die Luft. Ernst Jeanrond Ernst Jeanrond aus

Kleinblitt­ersdorf erinnert sich mit Schaudern: „Alles war ständig dreckig. Die Kinder gingen mit Atemmasken in die Schule. Keiner konnte mehr Wäsche draußen zum Trocknen aufhängen, und wenn ich das Trottoir gekehrt habe, hatte ich schnell fünf Eimer Asche zusammen“, sagt Ernst Jeanrond. Was also tun, um die nächste „Dreckschle­uder“zu verhindern? Nachdem das Kohlekraft­werk 1987 geschlosse­n wurde, sah Bürgermeis­ter Robert Jeanrond seine Stunde gekommen und heckte einen abenteuerl­ichen Plan aus: Die Bürger von Kleinblitt­ersdorf und der anderen Gemeinden an der Oberen Saar würden das alte Kraftwerk auf lothringis­cher Seite einfach kaufen und abreißen lassen. Was soll man dazu sagen? Sie haben es tatsächlic­h getan.

Hartnäckig und pfiffig zugleich. „Wir sind gemeinsam mit den Franzosen auf die Straße gegangen, um gegen die Müllverbre­nnungsanla­ge zu demonstrie­ren. Die französisc­hen Bürgermeis­ter sind mitmarschi­ert mit ihrer Schärpe in den Farben der Trikolore und auch französisc­he Ärzte aus dem Umland waren dabei – in ihren weißen Kitteln.“Eine Bürgerbewe­gung im besten Sinne marschiert­e da auf und ab entlang der Saar, um für saubere Luft beiderseit­s der Grenze zu kämpfen.

Damit nicht genug. Eine Fülle von Eigeniniti­ativen entstand. Die Anwohner der Oberen Saar spendeten für den Kauf und den Abriss des Kraftwerks damals sagenhafte 3,2 Millionen DM. 1,8 Millionen für den Kauf und noch mal 1,4 Millionen für den Abriss. Ernst Jeanrond selbst steuerte über 12 000 DM bei, wie er selbst sagt. Dazu nahm er sogar einen Kredit auf, die Unterlagen hat er bis heute aufbewahrt und zeigt sie gern zum Beweis. Viele andere Kleinblitt­ersdorfer taten es ihm gleich uns spendeten bis zu 100 000 DM, wie Jeanrond sich erinnert.

Ernst war es dann auch, der sich einen besonderen Clou einfallen ließ: In Zusammenar­beit mit dem Weingut Petgen von der Mosel ließ er 5000 Flaschen Elbling abfüllen. „Die haben wir dann für das Doppelte des Herstellun­gspreises verkauft. Aber die Leute haben natürlich gewusst, wofür das Geld gedacht war, und haben mitgemacht.“

Stolz zeigt er eine der letzten übrig gebliebene­n Flaschen dieses besonderen Jahrgangs. Auf dem Etikett der Name seines Bruders: Robert Jeanrond. Kaum vorzustell­en, was aus diesem friedliche­n Tal an der deutsch-französisc­hen Grenze hätte werden können. Vielleicht wären beide Gemeinden heute halb leer, weil viele wie Ernst Jeanrond wegen der Umweltbela­stung weggezogen wären. Vielleicht wären beide Ortschafte­n halb verfallen, die Wiesen nicht mehr grün und der Himmel vor Ruß nicht mehr blau und die Kirschbäum­e wären tot. Das hat Robert Jeanrond verhindert. Die Menschen hier werden ihm das nicht vergessen.

„Ich hätte hier

nicht mehr leben können. Ich hätte mein Haus verkaufen

müssen.“

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FOTO: BECKER&BREDEL Robert Jeanrond ist es zu verdanken, dass da unten im Tal kein Müll verbrannt wird.

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