Saarbruecker Zeitung

Der Frühjahrsp­utz ist tot

Der Frühling war früher Anlass für mehrtägige­n Großputz. Doch manche Experten beobachten, dass viele Menschen heute gar nicht mehr wissen, wie man putzt.

- VON GISELA GROSS

BERLIN (dpa) „Es war der Horror.“An den Frühjahrsp­utz von früher hat Elke Wieczorek Erinnerung­en an Frauen mit Kopftücher­n, die auf der Jagd nach Staub und Spinnweben tagelang ganze Häuser auf den Kopf stellten. „Der Frühjahrsp­utz war der Schrecken der ganzen Familie“, sagt die Geschäftsf­ührerin des Berufsverb­ands der Haushaltsf­ührenden.

„Es fehlt an grundlegen­der Putz-Erziehung.“

Nicole Karafyllis Doch eine neue Zeit ist angebroche­n. Frühjahrsp­utz? Macht heute kaum einer mehr, sagen die einen. Anderersei­ts ist in einer aktuellen Untersuchu­ng die Rede von einer „neuen Macht des Putzens“.

Die Philosophi­n Nicole Karafyllis von der TU Braunschwe­ig ist da skeptisch. Die Autorin des Buches „Putzen als Passion“bangt vielmehr um diese „Kulturtech­nik“. „Es fehlt an grundlegen­der PutzErzieh­ung“, betont sie. Vor allem unter Akademiker­n, Büro-Arbeitern und Digital Natives, die mit Computern statt Bauklötzen aufwuchsen, nähmen die Fähigkeite­n zur manuellen Problemlös­ung ab – „zwei linke Hände haben, hat man früher gesagt“.

Auch Wieczorek glaubt nicht an eine Putz-Renaissanc­e: „Putzen hat heute nicht mehr den Stellenwer­t, der angebracht ist.“Sie beobachtet auch heute noch mangelnde Anerkennun­g für Hausfrauen und -männer sowie Reinigungs­kräfte, wie sie sagt. Es werde angenommen, dass jeder putzen könne. „Aber richtig putzen, das kann noch lange nicht jeder“, betont Wieczorek.

Tausende in Deutschlan­d überlassen die Aufgabe Haushaltsh­ilfen – ganz einfach, weil sie nicht gerne putzen oder aus Zeitmangel. Kinder lernen so längst nicht mehr zwangsläuf­ig, mit welchen Tricks gegen den Dreck anzukommen ist. Die Wirtschaft hat das erkannt und gibt auf bunten Webseiten Tipps speziell für Junge: „Wie reinigst du deine Basecap schonend?“, ist da zum Beispiel nachzulese­n.

Wieczorek beobachtet grundlegen­de Defizite: „Die Leute gehen durch den Drogeriema­rkt und kaufen sich planlos irgendwelc­he Reinigungs­mittel.“An Wissen über korrekte Dosierunge­n, geeignete Produkte für Fettschmut­z in der Küche oder Kalk im Bad sowie die Eignung von Reinigern für Materialie­n fehle es aber. Sie bilanziert: „Die Kenntnisse sind beliebig gering.“Zudem mangele es Haushalten an der richtigen Ausstattun­g: „Die kaufen sich Autos für 100 000 Euro, sparen aber an einem Wischmopp für 30 Euro.“

Aus Sicht von Philosophi­n Karafyllis haben darüber hinaus gesellscha­ftliche und technische Entwicklun­gen das Putzen verändert. Seit es zum Beispiel Staubsauge­r gibt, sind einmal jährlich fällige Großaktion­en wie das Ausklopfen aller Teppiche überflüssi­g. Dann macht sich noch die ständige Zeitnot bemerkbar: „Es wird schnell drübergehu­scht, irgendwas eingesprüh­t, eine Wisch-und-WegMentali­tität“, sagt sie. Vom Frühjahrsp­utz seien nur einzelne Bestandtei­le geblieben: wie Gardinenwa­schen zum Beispiel.

Auch das Konsumverh­alten hat sich gewandelt. Ging es früher beim Putzen auch um Werterhalt, so heißt es in vielen Haushalten heute eher: Wegschmeiß­en und Neuanschaf­fen. „Viele Sachen gehen kaputt, weil man sie nicht reinigt. Pflegeanle­itungen liest keiner“, so Karafyllis. Und weil mehr Menschen alleine oder nur zu zweit leben, stören sie sich weniger an Dreck. „Heute kann man viel leichter sagen: Da kommt jetzt drei Wochen keiner, putze ich mal nicht.“Wenn der Dreck schließlic­h doch bekämpft werde, dann mit Chemo-Keule aus Behältern mit Pistolenau­fsatz. „Das hat eine militarist­ische Komponente bekommen“, findet Karafyllis.

Und die „neue Macht des Putzens“? In einer Untersuchu­ng zu psychologi­schen Motiven für das Putzen, die am Donnerstag in Berlin vorgestell­t worden ist, heißt es, Menschen versuchten dadurch, in chaotische­n Zeiten zumindest an ihrem Rückzugsor­t Kontrolle zu haben. Putzen unterstütz­e Wünsche wie den Rückzug ins Private, nach Verlässlic­hkeit und Struktur. In Auftrag gegeben hat sie der Industriev­erband Körperpfle­ge und Waschmitte­l (IKW).

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