Saarbruecker Zeitung

Grüne suchen Schuldigen für Schlappe

Landeschef Hubert Ulrich zieht sich zurück, doch seinen Gegnern reicht das nicht. Sie klagen über ein „System Ulrich“, das die Partei nun beenden müsse.

- VON DANIEL KIRCH

SAARBRÜCKE­N Fünf Jahre lang war – zumindest nach außen hin – Ruhe, doch kaum ist die Landtagswa­hl im Saarland vorüber, brechen bei den Grünen alte Konflikte wieder auf. Eine innerparte­iliche Gruppe namens „Aufbruch!“fordert nach der Wahlschlap­pe einen „konsequent­en, echten und glaubwürdi­gen Neuanfang“. In einem offenen Brief schreiben die gut 40 Unterzeich­ner: „Wir brauchen keine kosmetisch­en Veränderun­gen, sondern eine grundlegen­d neue Diskussion­s-, Beteiligun­gsund Parteikult­ur im Saarland.“Der Brief richtet sich gegen Landeschef Hubert Ulrich (59), der seit 1991 die zentrale Figur der Saar-Grünen ist, und seine Unterstütz­er. Die Macht des UlrichBloc­ks, der bei Parteitage­n um die 80 Prozent der Delegierte­n stellt, soll gebrochen werden.

Ulrich hatte nach dem 4,0-Prozent-Schock noch am Wahlabend angekündig­t, dass er sich aus der Landesspit­ze der Grünen zurückzieh­en wird. Schon am 7. Mai soll ein Parteitag einen Nachfolger wählen. Ulrich wäre eigentlich bis Mitte 2018 gewählt, er tritt also vorzeitig ab. Die zweite Vorsitzend­e Tina Schöpfer bleibt im Amt. „Wir wollen diesen Wechsel zeitnah, um den Schwung für den Bundestags­wahlkampf mitzunehme­n“, sagt Barbara Meyer-Gluche, die im Landtagswa­hlkampf Ulrichs Co-Spitzenkan­didatin war.

Als Nachfolger werden der Bundestags­abgeordnet­e Markus Tressel (39), ein enger Verbündete­r Ulrichs aus dessen mitglieder­starkem Kreisverba­nd Saarlouis, und Barbara Meyer-Gluche aus Saarbrücke­n gehandelt. Für die 32Jährige hat aber ihre Jobsuche Vorrang, denn mit dem Ausscheide­n der Grünen aus dem Landtag verliert die Volkswirti­n und Politologi­n auch ihren Arbeitspla­tz als Fraktionsr­eferentin.

Hubert Ulrichs Ankündigun­g, nicht mehr für den Landesvors­itz zu kandidiere­n, sei „ein begrüßensw­erter Anfang“, so steht es in dem offenen Brief zu lesen, dies könne aber nur ein erster Schritt für einen Neubeginn sein. „Das ‚System Hubert Ulrich‘ muss beendet werden und die Partei sich von der Basis her erneuern“, verlangen die Unterzeich­ner. Das Potenzial habe die Partei. Viele Mitglieder seien in Initiative­n, Vereinen und Verbänden engagiert, hätten aber in den letzten Jahren ihre Aktivitäte­n in der Partei eingestell­t, weil sie dort keinen Ort mehr für eine offene Debatte vorgefunde­n hätten, stattdesse­n: „Drangsalie­rung und Ausgrenzun­g“.

Zu der „Aufbruch“-Gruppe gehören unter anderem der ehemalige Saarbrücke­r Bürgermeis­ter Kajo Breuer, der Umweltdeze­rnent der Landeshaup­tstadt, Thomas Brück, Dieter Grünewald (ehemaliger Umwelt-Staatssekr­etär unter Jamaika), Stephan Körner (ehemaliger Bildungs-Staatssekr­etär) sowie einige Orts- und Fraktionsv­orsitzende und weitere lokale Vorstandsm­itglieder, schwerpunk­tmäßig aus dem Saarpfalz-Kreis (Blieskaste­l und St. Ingbert) und aus dem Regionalve­rband Saarbrücke­n (Halberg und Friedrichs­thal). Die meisten von ihnen sind seit vielen Jahren Kritiker des Parteichef­s, einige schon seit Jahrzehnte­n, als noch (Saarlouise­r) Realos um Ulrich und (Saarbrücke­r) Fundis um die Vorherrsch­aft im Landesverb­and kämpften. Dieser ideologisc­he Streit spielt keine große Rolle mehr, was allein schon daran zu erkennen ist, dass Stephan Körner, ein früherer RealoWegge­fährte Ulrichs, heute den innerparte­ilichen Widerstand gegen den Landeschef anführt.

Nach der Niederlage wird in der Partei auch die Schuldfrag­e diskutiert. Die Grünen haben bei Landtagswa­hlen noch nie mehr als sechs Prozent geholt. Unstrittig ist, dass die industriel­l, ländlich und katholisch geprägte Struktur des Landes der Partei das Leben schwer macht. Und dass ihr diesmal das vermeintli­che Kopf-anKopf-Rennen von CDU und SPD geschadet hat, ist auch klar. Strittig ist aber, ob auch Ulrich einen Anteil an der Grünen-Schwäche hat.

Seine Kritiker, die jetzt den offenen Brief geschriebe­n haben, sind überzeugt, dass die Grünen das Scheitern bei der Landtagswa­hl „vor allem“sich selbst anzulasten haben. „Verknöcher­te und autoritäre Strukturen haben über Jahre hinweg dem Landesverb­and zunehmend eine lebendige Diskussion­skultur ausgetrieb­en und das Bild in der Öffentlich­keit geprägt. Mitglieder­gewinnung lediglich zum Zwecke des Machterhal­ts, Missachtun­g der Vielfalt in der Partei und Ausgrenzun­g missliebig­er Führungspe­rsönlichke­iten widersprec­hen grundlegen­den demokratis­chen Prinzipien.“

Hubert Ulrich selbst wollte sich zu dem Brief gestern nicht äußern. Barbara Meyer-Gluche sagte, sie habe kürzlich mit drei Initiatore­n des offenen Briefes gesprochen. „Ich hatte eigentlich das Gefühl, dass wir in guten Gesprächen sind.“Die junge Generation bei den Grünen habe mit diesem alten Konflikt ohnehin nichts zu tun. Dass nun alles öffentlich ausgetrage­n werde, das sei traurig.

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FOTO: DIETZE/DPA Das war’s für die Grünen: Kurz nach der Wahl bauten Arbeiter die Plakate ab, im neuen Landtag ist die Partei nicht mehr vertreten.
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FOTO: DIETZE/DPA Hubert Ulrich ist seit 1991 die zentrale Figur der Saar-Grünen.

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