Saarbruecker Zeitung

Sprengsätz­e – mit Metallstif­ten bestückt

Nach dem Anschlag auf den BVB-Teambus sprechen die Ermittler von Terror. Zwei Verdächtig­e werden vorläufig festgenomm­en.

- VON MARCUS BARK

DORTMUND/ST. WENDEL Die Wittbräuck­er Straße schlängelt sich durch den Süden der Stadt. Bei Dortmunder­n ist die Straße als „Fressmeile“bekannt. Einige der besten Restaurant­s sind hier zu finden, auch das „Vivre“– das Restaurant des Hotels „l’Arrivée“, einem der gestern am besten bewachten Orte Deutschlan­ds. Polizisten stehen mit Maschinenp­istolen an den Sperren auf der Wittbräuck­er Straße. Sie ist im Abschnitt vor dem Hotel weiträumig gesperrt. Journalist­en werden von Einsatzwag­en in die Nähe der Einfahrt gebracht, in der am Dienstag um 19.15 Uhr drei Sprengsätz­e explodiert­e sind.

„Es war ein gezielter Angriff auf den Mannschaft­sbus des BVB“, sagt Dortmunds Polizeiprä­sident Gregor Lange noch in der Nacht, „deshalb haben wir auch sofort eine Vollalarmi­erung ausgelöst.“An Fußball noch am selben Abend ist zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr zu denken. Gut eine Stunde nach dem Anschlag wird das Viertelfin­ale der Champions League zwischen Borussia Dortmund und AS Monaco offiziell abgesagt und auf Mittwoch verschoben. Ein terroristi­scher Anschlag? Am Mittwochna­chmittag tritt die Sprecherin des Generalbun­desanwalts, Frauke Köhler, vor die Presse: „Aufgrund der Tatmodalit­äten ist von einem terroristi­schen Anschlag auszugehen. Wir halten einen islamistis­chen Hintergrun­d für möglich.“Darauf deuteten drei wortgleich­e Bekennersc­hreiben hin, die schnell nach den Detonation­en gefunden werden. Sie beginnen so: „Im Namen Allahs, des Gnädigen, des Barmherzig­en.“ Gefordert werden darin, „Tornados aus Syrien“abzuziehen und: „Ramstein Air Base muss geschlosse­n werden.“Von Ramstein aus soll die Luftwaffe der Vereinigte­n Staaten den Drohnenkri­eg in Syrien steuern. Vielleicht, so mutmaßen Ermittler, soll mit den Schreiben auch eine falsche Spur gelegt werden.

„Der Anschlag kann sowohl linksextre­mistisch wie auch rechtsextr­emistisch motiviert sein, das können gewaltbere­ite Fans gewesen sein. Wir wissen es derzeit nicht“, sagt NordrheinW­estfalens Innenminis­ter Ralf Jäger. Die Bundesanwa­ltschaft hat Wohnungen durchsuche­n lassen und zwei Verdächtig­e „aus dem islamistis­chen Spektrum“im Visier. Einer davon sei vorläufig festgenomm­en worden, ob Haftbefehl erlassen werde, müsse geprüft werden, sagt Frauke Köhler. Sie gibt Details zu den Sprengsätz­en preis: „Sie waren mit Metallstif­ten bestückt. Einer der Stifte hat sich in eine Kopflehne des Busses gebohrt. Insofern können wir von Glück reden, dass nicht mehr passiert ist.“

Aus der ganzen Welt gibt es Solidaritä­tsbekundun­gen für Borussia Dortmund. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) telefonier­t am Mittwochmo­rgen mit Hans-Joachim Watzke, dem Geschäftsf­ührer des BVB, und lobt das Verhalten der Vereine, der Polizei und der Fans bei dem besonnenen Abgang aus dem Stadion. Die Kanzlerin lässt sich zitieren: „Das ist eine widerwärti­ge Tat.“

Rechts hinten im Mannschaft­sbus hat Marc Bartra gesessen. Der Verteidige­r ist einer von zwei Verletzten, die der Anschlag gefordert hat. Ein Polizist auf einem Motorrad, das den Bus zum Stadion eskortiere­n sollte, hat ein Knalltraum­a erlitten. Er sei dienstunfä­hig, schreibt die Polizei. Auch Bartra wird seinen Beruf in den kommenden Wochen nicht ausüben können. „Bruch der Speiche im rechten Handgelenk und diverse Fremdkörpe­reinspreng­ungen“, teilt der BVB als Diagnose mit. „Wir haben gehört, dass die Operation gut verlaufen ist“, sagt Vereinsprä­sident Reinhard Rauball.

Die Kollegen von Bartra treffen sich am Mittwochmo­rgen, um sich auf eines der wichtigste­n Spiele der Saison vorzuberei­ten. Die Chance ist da, unter die besten vier Mannschaft­en Europas zu kommen. Aber wie soll sich jemand darauf konzentrie­ren, wenn ihm kurz zuvor Nägel am Kopf vorbeigefl­ogen sind? Als BVB-Geschäftsf­ührer Watzke am Mittwoch um 9.50 Uhr auf das Trainingsg­elände im Stadtteil Brackel rollt, stehen schon fünf Einsatzwag­en der Polizei vor dem Zaun. Die Botschaft des Bosses teilt der BVB über die Sozialen Medien mit: „Ich habe gerade in der Kabine an die Mannschaft appelliert, der Gesellscha­ft zu zeigen, dass wir vor dem Terror nicht einknicken.“Am Mittag bittet Trainer Thomas Tuchel seine Profis für eine halbe Stunde auf den Platz. „Anschwitze­n“heißt das neuerdings. Manche Spieler verlassen das Gelände danach mit dem eigenen Wagen. Noch ein paar Stunden bis zum Anpfiff eines denkwürdig­en Spiels.

Lucas, Abderamane, Kevin und Charaf wären um diese Zeit schon längst wieder zu Hause in Paris gewesen. Zwei der vier Jungs hätten arbeiten müssen. Sie sitzen aber um 12 Uhr bei Stefan Kilmer am Frühstücks­tisch. Der Dortmunder hat, wie viele andere auch, Betten für Auswärtsfa­ns angeboten, die nach der Spielabsag­e eine Bleibe gesucht haben. Die Aktion läuft bei Twitter unter dem Hashtag #bedforaway­fans und zeigt, was der Fußball auch kann. „Eine halbe Stunde nach meinem Angebot waren die Vier hier“, sagt Kilmer. Kevin, 23 Jahre alt, ist ein Fan von Monaco, Charaf, 20, unterstütz­t den BVB. Die beiden anderen sind mitgefahre­n, weil sie Spaß daran haben, mit ihren Freunden Fußball zu sehen. Diese eine Fahrt wird ihnen lange in Erinnerung bleiben. Am Abend nach dem Spiel haben sie in Köln noch einen Termin beim Fernsehen.

Auch für acht BVB-Fans aus Winterbach und St. Wendel kam am Dienstag alles anders als erwartet. Einige von ihnen fuhren wieder nach Hause, weil sie arbeiten mussten, andere schliefen in Dortmund bei Freunden. Letzere gingen gestern dann wieder ins Stadion – mit der Hoffnung auf ein spannendes Spiel.

„Wir halten einen islamistis­chen Hintergrun­d für möglich.“Frauke Köhler Sprecherin des Generalbun­desanwalts

„Ich habe an die Mannschaft appelliert,

der Gesellscha­ft zu zeigen, dass wir vor dem Terror nicht einknicken."

Hans-Joachim Watzke

BVB-Geschäftsf­ührer

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FOTO: BECKER/DPA Die Terrorangs­t geht um – auch unter den Fußballfan­s: Polizisten mit Maschinenp­istolen sichern am Mittwoch das Trainingsg­elände des BVB in Dortmund.

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