Deutsch-Türken sichern Erdogan knappen Sieg
Die Reform von Staatschef Erdogan spaltet die Türkei. Wahlbeobachter zweifeln, ob die hauchdünne Mehrheit dafür regulär zustande kam.
ISTANBUL/BERLIN (dpa/red) Nach dem knappen Sieg des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdogan beim historischen Verfassungsreferendum ist Europa uneins über den künftigen Kurs gegenüber Ankara. Wahlbeobachter bemängelten, die Abstimmung zur Einführung eines Präsidialsystems, das Erdogan deutlich mehr Macht verleiht, habe in mehreren Punkten nicht internationalen Standards entsprochen. Wegen des geltenden Ausnahmezustands seien Grundfreiheiten eingeschränkt gewesen, die für einen demokratischen Prozess „wesentlich sind“, heißt es in ihrem Bericht. Die Beobachter kritisierten zudem die „aktive Beteiligung des Präsidenten“. Das Referendum habe unter „ungleichen Bedingungen“beider Seiten stattgefunden. Die Opposition fordert wegen zahlreicher Unregelmäßigkeiten die Annullierung der Abstimmung.
Erdogan und die türkische Regierung wiesen jede Kritik an dem Verfahren zurück. Der Präsident betonte gestern Abend, die Türkei habe „die demokratischsten Wahlen durchgeführt, wie sie kein einziges Land im Westen je erlebt hat“. Nach dem vorläufigen Endergebnis stimmten 51,4 Prozent für die Verfassungsreform. Die Wahlbeteiligung lag nach Regierungsangaben bei mehr als 85 Prozent. Die Türken in Deutschland votierten dabei fast mit Zweidrittelmehrheit für das neue Präsidialsystem: Nach Angaben der Wahlkommission in Ankara lag der Anteil der Ja-Stimmen hierzulande bei 63,1 Prozent.
Auf deutliche Kritik stieß in Europa die Ankündigung Erdogans, er wolle einer Wiedereinführung der Todesstrafe den Weg ebnen – notfalls über ein weiteres Referendum. Der Staatschef betonte, ihm sei gleichgültig, was westliche Staaten dazu meinten. „Ich achte nur darauf, was mein Volk sagt und was Allah sagt“, erklärte Erdogan. Möglicherweise werde er das Volk auch über einen Abbruch des Beitrittsprozesses zur EU abstimmen lassen.
Zuvor hatten mehrere europäische Spitzenpolitiker das Ende der Beitrittsgespräche gefordert. So verlangte der Fraktionschef der europäischen Konservativen, Manfred Weber, einen Neustart in den Beziehungen zu Ankara. Österreichs Außenminister Sebastian Kurz plädierte für einen Abbruch der Gespräche mit der Türkei. Dagegen schlugen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) andere Töne an. Sie plädierten dafür, den Gesprächsfaden mit Ankara nicht abreißen zu lassen. „Der knappe Ausgang der Abstimmung zeigt, wie tief die türkische Gesellschaft gespalten ist“, betonten sie.