Saarbruecker Zeitung

Der alte Mann und der Roulette-Kessel

Die Staatsanwa­ltschaft ermittelt gegen einen Profizocke­r, der seit vielen Jahren in einem Saarbrücke­r Spielcasin­o ein und aus geht. Der gebürtige Serbe wehrt sich gegen die Manipulati­onsvorwürf­e, die zwei ehemalige Mitspieler gegen ihn erhoben haben.

- VON MICHAEL JUNGMANN

SAARBRÜCKE­N Der alte Mann im blauen Jacket wirkt unruhig. Nervös bewegt er einen kleinen Berg Jetons zwischen den Fingern der rechten Hand, während er mit der geöffneten linken Hand seinen Kopf abstützt. „Doc“nennen Stammgäste und Mitarbeite­r der Spielbank am Deutsch-Französisc­hen Garten in Saarbrücke­n den 79 Jahre alten Miroljub Kastratovi­c, ein in Serbien geborener, promoviert­er Zahnmedizi­ner. Mehrmals in der Woche reist er aus dem Main-Kinzig-Kreis mit Fahrer nach Saarbrücke­n an. Für zwei, vielleicht drei Stunden am späten Nachmittag sitzt „Doc“dann auf seinem Stammplatz am Rouletteti­sch. Der Stuhl direkt neben einem Croupier, der die Kugel wirft und den Roulette-Kessel dreht, ist für ihn reserviert. Der DeutschSer­be aus Hessen genießt Privilegie­n. Hier kennt er Geschäftsf­ührer, Saalchefs, Croupiers und das Serviceper­sonal.

Mit Trinkgeld ist er nicht kleinlich. Für seinen schwarzen Daimler ist vor dem Eingang ein Parkplatz reserviert. Die Verantwort­lichen der Spielbank wissen, was sie an dem großzügige­n Berufsspie­ler haben, rollen für ihn den roten Teppich aus. „Doc“bringt Umsatz und angeblich auch Ertrag. Er kommt selten alleine, hat Damen in seiner Begleitung, die auch Geld ausgeben – wahrschein­lich sein Geld. Sogar der Fahrer zockt, vertreibt sich die Zeit am Automaten. Wenn „Doc“setzt, zieht es auch andere Beobachter und Spieler an den Tisch. Manche spielen die selben Zahlen wie er. In der Regel aber mit deutlich geringeren Beträgen.

Für den Mann, der seit Jahrzehnte­n regelmäßig in Saarbrücke­n zockt, gelten – wie für einige andere auch – besondere Konditione­n. Sein persönlich­es Limit wurde erhöht – 400 Euro statt 200 Euro pro Zahl sind sein Maximum. 37 Zahlen hat das Spiel. Meist startet er mit kleineren Jetons zu 20 Euro. Wenn es läuft, zückt er Jetons für 100 Euro. Der Mann hat nach eigenen Angaben auch verlieren gelernt. Wahrschein­lich hat der wohlhabend­e „Doc“im Lauf seiner mehr als 30-jährigen Spielerkar­riere am Casino-Standort Saarbrücke­n schon Millionen verloren, aber auch gewonnen. Angeblich steht er im laufenden Jahr im Plus. An diesem Aprilnachm­ittag hat der Hesse, der im Gespräch gerne betont, er sei Akademiker, kein Glück. Er verliert, verzieht dabei aber keine Miene. Schätzungs­weise 2000 Euro hat er in drei Stunden in Saarbrücke­n gelassen.

Der Profispiel­er ist ein so genannter Kesselguck­er. Er hat eigene Messpunkte im Roulette-Kessel, schätzt die Geschwindi­gkeit der Kugel sowie das Tempo des drehenden Kessels. Kurz bevor der Croupier „nichts geht mehr“ruft, das Spiel also absagt, nennt der Kesselguck­er seine neun Zahlen. Vier vor und vier hinter der Zahl, von der er glaubt zu wissen, dass die Kugel dort landen wird. Er schiebt dem Croupier seine Jetons hin, lässt setzen. Der Croupier wiederholt die Ansage in sein Mikrofon. Zur Kontrolle. Die Ansage wird aufgezeich­net.

„Doc“hat in Saarbrücke­n Nachahmer gefunden. Die Brüder S. haben nach eigenen Erzählunge­n sein Spiel beobachtet und ausgewerte­t. Der 79-Jährige finanziert­e teilweise auch deren Spiel. Er schob ihnen mal 100 Euro, manchmal mehr zu. Das bestätigen die Brüder und ihr Gönner. Dann kam der Eklat. Das Duo forderte mehr, erzählt „Doc“, drohte angeblich mit einer Strafanzei­ge und der Öffentlich­keit, weil er mit Mitarbeite­rn gemeinsame Sache mache. Die Saalleitun­g reagierte, erteilte den Brüdern Hausverbot – wegen Störung des Betriebsfr­iedens und Beleidigun­g von Personal und Gästen. Einer der Betroffene­n erstattete daraufhin Anzeige, der zweite informiert­e Journalist­en. In dieser Woche, so war zu hören, sollen Kriminalbe­amte den Anzeigener­statter vernehmen, ihm auf den Zahn fühlen.

Die beiden Saarbrücke­r bleiben bei ihrem Vorwurf: Das Spiel werde für „Doc“manipulier­t, Unregelmäß­igkeiten würden „von oben“gedeckt. Belege oder gar Beweise werden nicht präsentier­t. Einige ihrer Behauptung­en halten einer ersten Überprüfun­g nicht stand. So ist „Doc“keineswegs, wie sie verbreitet haben, in anderen deutschen Spielbanke­n gesperrt. Er verfügt vielmehr europaweit über Einladunge­n.

Die beiden jetzt ausgesperr­ten Stammkunde­n beherrsche­n, so behaupten sie, unter bestimmten Voraussetz­ungen das „Kesselguck­en“.

Wenn „Doc“am Tisch sitze, werde aber der Roulette-Kessel langsamer gedreht, die Kugel nicht so hart geworfen. Verlässt er den Tisch, drehe sich der Kessel wieder flotter. Automatisc­he Aufzeichnu­ngen zum Tempo des Kessels widerlegen nach Spielbanka­ngaben diese Vorwürfe. Zudem werde das Geschehen am Rouletteti­sch von fünf Kameras permanent überwacht. Beim Landesamt für Zentrale Dienste laufen die Übertragun­gen aus der Spielbank zur Kontrolle durch Finanzbeam­te auf. Das Angebot der Spielbankc­hefs: Sollte der Staatsanwa­lt Interesse an dem Videomater­ial haben, kann er es gerne haben.

„Doc“reagiert sauer auf die Behauptung­en seiner Ex-Mitspieler: „Das ist eine Riesenschw­einerei. Alles gelogen.“Er will einen Anwalt beauftrage­n, die beiden anzuzeigen. Anwälte haben zwischenze­itlich auch die Spielbank und deren Technikche­f E., der Ende des Monats in den Ruhestand geht, eingeschal­tet. Die Rede ist von übler Nachrede und Geschäftss­chädigung. Profispiel­er Kastratovi­c kommt derweil weiter nach Saarbrücke­n, um in den Roulette-Kessel zu gucken. Er lässt sich bislang das Spiel nicht verderben, offenbart am Rande sogar einen Bluff. Die goldene Rolex an seinem Arm ist ein Plagiat, für kleines Geld auf Ibiza gekauft.

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SYMBOLFOTO: DPA/SCHMIDT Kam es im Casino am Deutsch-Französisc­hen Garten in Saarbrücke­n zu Unregelmäß­igkeiten? Die Staatsanwa­ltschaft ermittelt gegen einen spendablen Stammgast.
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FOTO: JUNGMANN Seit mehr als 30 Jahren ist Miroljub Kastratovi­c (79) Stammgast in der Saarbrücke­r Spielbank.

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