Saarbruecker Zeitung

Gegen Altersarmu­t helfen nur frische Milliarden

ANALYSE Im Wahlkampf dürfte das Thema Rente ein Renner werden. Schon fordern SPD und Gewerkscha­ften ein kräftiges Umsteuern – und Zuschüsse aus Steuertöpf­en.

- VON RUPPERT MAYR UND BASIL WEGENER

BERLIN (dpa) Es hört sich beruhigend an für die 21 Millionen Rentner in Deutschlan­d. 1,9 Prozent höhere Bezüge gibt es ab 1. Juli im Westen und sogar 3,6 Prozent mehr im Osten. Bis 2030 rechnet die Deutsche Rentenvers­icherung Bund (DRV-Bund) jährlich mit ähnlichen Steigerung­en. Das Rentennive­au liegt dank guter Konjunktur bei 48 Prozent, der Beitragssa­tz zur Rentenvers­icherung beträgt 18,7 Prozent vom Brutto.

Dennoch macht die Entwicklun­g der Renten in den kommenden Jahrzehnte­n immer mehr Menschen Sorgen, die Angst vor Altersarmu­t wächst. Die SPD unter ihrem Kanzlerkan­didaten Martin Schulz will deshalb im Wahlkampf für eine deutliche Aufbesseru­ng der Rente trommeln. Doch klar ist: Dafür wäre frisches Geld in Milliarden­höhe nötig.

Verdi-Chef Frank Bsirske macht eine erschrecke­nde Beispielre­chnung auf: Würde heute schon das zulässige Mindest-Rentennive­au für 2030 von 43 Prozent gelten, hätte jemand mit einem monatliche­n Arbeitsein­kommen von 2500 Euro nach 40 Beitragsja­hren einen Rentenansp­ruch von 809 Euro im Monat. Das sind gerade mal 15 Euro mehr als die Grundsiche­rung von derzeit 794 Euro. Aber, so sagt Bsirske: Mehr als die Hälfte der Arbeitnehm­er kämen nicht einmal auf die 2500 Euro im Monat, und viele erreichen auch keine 40 Beitragsja­hre. Millionen wären also im Alter von Armut bedroht.

Die Präsidenti­n der DRV-Bund, Gundula Roßbach, versucht zu beruhigen: „Die erreichte Rente sinkt nicht. Das ist gesetzlich ausgeschlo­ssen“, sagt sie. Künftig werde allerdings das Renten-Plus geringer ausfallen als der Lohnzuwach­s. Das Rentennive­au sinkt also. Deshalb will Sozialmini­sterin Andrea Nahles (SPD) den Bürgern mit ihrer „doppelten Haltelinie“bis 2045 ein Rentennive­au von mindestens 46 Prozent garantiere­n. Der Beitragssa­tz soll bis dahin nicht über 25 Prozent steigen. Das alles sei aber nicht zum Nulltarif zu haben, räumt Nahles ein. Nach ihren Vorstellun­gen soll ab 2030 ein Demografie-Zuschuss aus Steuermitt­eln eingeführt werden, der bis 2040 auf 2,5 Prozent der Rentenausg­aben anwachsen soll.

Auch Bsirske hält ab den 2040er Jahren einen Milliarden-Zuschuss zur Rente für unausweich­lich und sieht – ebenso wie Nahles – den Steuerzahl­er in der Pflicht. Doch schon bei der Angleichun­g der Renten zwischen Ost und West sowie bei der Mütterrent­e zeigte sich, dass Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble (CDU) auf dem Geld sitzt – um die „schwarze Null“in seinem Haushalt zu halten. Deshalb wird für solche eigentlich gesamtgese­llschaftli­chen Aufgaben, für die der Steuerzahl­er aufkommen müsste, gern in die Rentenkass­e gegriffen.

Die ist dank guter Wirtschaft­sentwicklu­ng in den vergangene­n Jahren zwar prall gefüllt. Doch die DRV-Bund warnte schon Ende 2016, dass die Rentenvers­icherung wieder Defizite einfahre. Tendenz steigend. Bis 2021 könnte das üppige Finanzpols­ter sogar auf die gesetzlich­e Untergrenz­e abschmelze­n, hieß es. Wenn diese Entwicklun­g anhält, könnten die Rentenbeit­räge schneller steigen, als es freundlich­e Prognosen bisher annehmen. Arbeitgebe­r-Präsident Ingo Kramer warnt denn auch vor überhöhten Sozialabga­ben. Er fordert die neue Bundesregi­erung auf, sich dringend um den demografis­chen Wandel zu kümmern. Dazu gehöre unter anderem eine neue Zuwanderun­gspolitik, die sich am Arbeitsmar­kt orientiert. Die Leistungsk­raft der Wirtschaft müsse erhalten werden, betont Kramer – und die der Sozialkass­en auch.

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