Gegen Altersarmut helfen nur frische Milliarden
ANALYSE Im Wahlkampf dürfte das Thema Rente ein Renner werden. Schon fordern SPD und Gewerkschaften ein kräftiges Umsteuern – und Zuschüsse aus Steuertöpfen.
BERLIN (dpa) Es hört sich beruhigend an für die 21 Millionen Rentner in Deutschland. 1,9 Prozent höhere Bezüge gibt es ab 1. Juli im Westen und sogar 3,6 Prozent mehr im Osten. Bis 2030 rechnet die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV-Bund) jährlich mit ähnlichen Steigerungen. Das Rentenniveau liegt dank guter Konjunktur bei 48 Prozent, der Beitragssatz zur Rentenversicherung beträgt 18,7 Prozent vom Brutto.
Dennoch macht die Entwicklung der Renten in den kommenden Jahrzehnten immer mehr Menschen Sorgen, die Angst vor Altersarmut wächst. Die SPD unter ihrem Kanzlerkandidaten Martin Schulz will deshalb im Wahlkampf für eine deutliche Aufbesserung der Rente trommeln. Doch klar ist: Dafür wäre frisches Geld in Milliardenhöhe nötig.
Verdi-Chef Frank Bsirske macht eine erschreckende Beispielrechnung auf: Würde heute schon das zulässige Mindest-Rentenniveau für 2030 von 43 Prozent gelten, hätte jemand mit einem monatlichen Arbeitseinkommen von 2500 Euro nach 40 Beitragsjahren einen Rentenanspruch von 809 Euro im Monat. Das sind gerade mal 15 Euro mehr als die Grundsicherung von derzeit 794 Euro. Aber, so sagt Bsirske: Mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer kämen nicht einmal auf die 2500 Euro im Monat, und viele erreichen auch keine 40 Beitragsjahre. Millionen wären also im Alter von Armut bedroht.
Die Präsidentin der DRV-Bund, Gundula Roßbach, versucht zu beruhigen: „Die erreichte Rente sinkt nicht. Das ist gesetzlich ausgeschlossen“, sagt sie. Künftig werde allerdings das Renten-Plus geringer ausfallen als der Lohnzuwachs. Das Rentenniveau sinkt also. Deshalb will Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) den Bürgern mit ihrer „doppelten Haltelinie“bis 2045 ein Rentenniveau von mindestens 46 Prozent garantieren. Der Beitragssatz soll bis dahin nicht über 25 Prozent steigen. Das alles sei aber nicht zum Nulltarif zu haben, räumt Nahles ein. Nach ihren Vorstellungen soll ab 2030 ein Demografie-Zuschuss aus Steuermitteln eingeführt werden, der bis 2040 auf 2,5 Prozent der Rentenausgaben anwachsen soll.
Auch Bsirske hält ab den 2040er Jahren einen Milliarden-Zuschuss zur Rente für unausweichlich und sieht – ebenso wie Nahles – den Steuerzahler in der Pflicht. Doch schon bei der Angleichung der Renten zwischen Ost und West sowie bei der Mütterrente zeigte sich, dass Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) auf dem Geld sitzt – um die „schwarze Null“in seinem Haushalt zu halten. Deshalb wird für solche eigentlich gesamtgesellschaftlichen Aufgaben, für die der Steuerzahler aufkommen müsste, gern in die Rentenkasse gegriffen.
Die ist dank guter Wirtschaftsentwicklung in den vergangenen Jahren zwar prall gefüllt. Doch die DRV-Bund warnte schon Ende 2016, dass die Rentenversicherung wieder Defizite einfahre. Tendenz steigend. Bis 2021 könnte das üppige Finanzpolster sogar auf die gesetzliche Untergrenze abschmelzen, hieß es. Wenn diese Entwicklung anhält, könnten die Rentenbeiträge schneller steigen, als es freundliche Prognosen bisher annehmen. Arbeitgeber-Präsident Ingo Kramer warnt denn auch vor überhöhten Sozialabgaben. Er fordert die neue Bundesregierung auf, sich dringend um den demografischen Wandel zu kümmern. Dazu gehöre unter anderem eine neue Zuwanderungspolitik, die sich am Arbeitsmarkt orientiert. Die Leistungskraft der Wirtschaft müsse erhalten werden, betont Kramer – und die der Sozialkassen auch.