Die demokratische Hälfte der Türken lässt hoffen
LEITARTIKEL
Erdogan hat nun sein Ermächtigungsgesetz. Die türkische Republik ist nach einem äußerst fragwürdigen Referendum abgeschafft, ein fast allmächtiges Präsidialsystem installiert und das Land tief gespalten. Die Landbevölkerung steht gegen die Städter, die Säkularen stehen gegen die Gläubigen, ProEuropäer gegen Nationalisten, Junge gegen Alte. Herzlichen Glückwunsch, was für ein Sieg.
Welche weiteren Katastrophen das Land nun peinigen werden, ist offen. Es liegt allein in der Hand dieses größenwahnsinnig gewordenen Volkstribuns. Doch gibt es viele Gründe anzunehmen, dass Todesstrafe, Repression, Islamisierung und noch aggressiveres Vorgehen die nächsten Schritte sein werden. Erdogan und sein Clan sind bereits viel zu weit gegangen, um noch straflos umdrehen zu können.
Der türkische Staat ist für Deutschland und die EU damit auf lange Sicht kein konstruktiver Partner mehr. Die EU ist und bleibt auch eine Wertegemeinschaft – eine so verfasste Türkei gehört nicht dazu. Da gibt es nichts mehr abzuwarten. Angesichts der vielen bereits verhafteten Oppositionellen und Journalisten ohnehin nicht. Die EU-Beitrittsverhandlungen wurden von konservativen EU-Regierungen, darunter auch Merkels CDU, zwar schon immer unaufrichtig geführt. Das hat den Prozess der Renationalisierung der Türkei zweifellos beschleunigt. Nun aber wurden sie auch von türkischer Seite de facto beendet.
Die Kooperation mit der türkischen Wirtschaft hingegen kann weitergehen. Sie läuft ja auch mit weit schlimmeren Diktaturen, man denke nur an die Investorenschwärme, die neuerdings in Teheran einfallen. Freilich müssen alle wissen, dass Geschäfte mit der Türkei nun unsicherer sind als zuvor. Denn abhängig von Erdogans Vorgehen kann es jederzeit zu Sanktionen kommen. Ähnlich fragil ist die Zukunft der militärischen Zusammenarbeit in der Nato. Sie hängt davon ab, ob Erdogan künftig auch Nachbarländer bedroht. Dann muss sofort Schluss sein.
Was hingegen sogar verstärkt werden muss, ist die Kooperation mit der türkischen Zivilgesellschaft: Schüler- und Studentenaustausch, Partnerschaften gerade mit den großen Städten, deren Bürger mehrheitlich gegen das Präsidialsystem gestimmt haben, und die Kulturförderung. Fast die Hälfte der Türken hat mit Nein votiert, und das unter äußerst schwierigen Bedingungen. Diese Hälfte will Demokratie, will Europa, will jedenfalls keine Autokratie. In Deutschland erzielte Erdogan zwar eine deutliche Mehrheit, doch ist auffällig, wie viele Migranten hier nicht zur Wahl gingen. Das lässt hoffen.
Dieser Ostersonntag war kein guter Sonntag, nicht für die Türkei und nicht für Europa. Bertolt Brecht hat eine Ermutigung für solche Tage geschrieben: „Es wechseln die Zeiten. Die riesigen Pläne der Mächtigen kommen am Ende zum Halt. Und gehn sie einher auch wie blutige Hähne. Es wechseln die Zeiten, da hilft kein Gewalt.“