Ach, diese ungestillte Sehnsucht
Clemens Meyer bleibt in seinem Band „Die stillen Trabanten“sich und den Menschen am Rand der Gesellschaft treu.
SAARBRÜCKEN Wenn die anderen am Leipziger Literaturinstitut zu klug daherredeten, da musste Clemens Meyer schon mal aus dem Zimmer gehen, damit es nicht zu Handgreiflichkeiten kam. Später konnte er ein Stipendium am Literarischen Colloquium in Berlin nicht antreten, weil er seinen Rottweiler-Dobermann-Rüden Piet nicht mitbringen durfte. Zwar ist Meyer mittlerweile ein etablierter Schriftsteller und muss nicht mehr von Hartz IV oder der Arbeit auf dem Bau leben wie zu der Zeit, in der er am Debüt „Als wir träumten“(2006) schrieb; den Gestalten am Rand der Gesellschaft aber bleibt er auch in den neun Geschichten seines neuen Bandes „Die stillen Trabanten“treu.
Frau Fischer in „Späte Ankunft“ist Reinigungskraft und putzt abends die leeren Züge auf dem Abstellgleis. Nach der Arbeit sitzt sie in ihrer orange leuchtenden Warnweste in der Bahnhofskneipe, nippt an ihrer „kleinen Maria“und wartet. Als sie Birgitt kennenlernt, die Friseurin von nebenan, merkt sie, dass diese Frau genauso allein ist wie sie. Immer wieder treffen die zwei sich. Bis Birgitt eines Tages nicht mehr kommt.
In „Glasscherben im Objekt 95“verliebt sich ein Wachmann, der die Plattenbausiedlung bewachen soll, in eines der Mädchen aus dem benachbarten Asylbewerberheim. Wohin aber bringt sie der Bus? Wird sie verlegt? Evakuiert vor den Randalierern?
Alle Figuren in diesen Geschichten treibt diese ungestillte Sehnsucht nach irgendwas. Sie sehnen sich nach Liebe, nach einem anderen Menschen, nach Gesellschaft, sie wirken, als wären sie in ihrem Leben verloren. Es sind Imbissbudenbesitzer, Lokführer, Arbeitslose, denen der Mut oder die Ideen fehlen, um auszubrechen.
Wer die Stadt Leipzig kennt, wird sie immer wieder in den Texten entdecken, auch wenn sie explizit nie genannt wird. Von „Wendeverlierern“zu sprechen, würde aber zu kurz greifen. Diese Menschen hat das Leben an den Rand gespült. Ihr Horizont endet an den Hochhäusern am Stadtrand, zu denen sie hinüberschauen, wenn sie auf dem Balkon ihre Zigarette rauchen und zusehen, wie in diesen „stillen Trabanten“die Lichter langsam erlöschen, „Wohnung für Wohnung, Fenster für Fenster“.
Der 1977 in Halle an der Saale geborene Meyer weiß, wovon er schreibt. Die Texte beeindrucken durch einen ganz eigenen Ton. Zeitebenen zerfließen in dieser Bewusstseinsprosa, die immer wieder gefangen nimmt. Nur auf den ersten Blick sind diese bewegenden Erzählungen so einfach wie die Figuren, von denen sie erzählen. Meyers eindringliche Erzählungen zählen zu den besten, die das Genre auf Deutsch zuletzt hervorgebracht hat. Dabei hält Meyer das Niveau in allen Geschichten. Zu den besten zählt „Unterm Eis“. Weil der Weiterflug wegen Schneetreibens nicht möglich ist, vertreibt sich der Ich-Erzähler die Zeit am Wiener Flughafen in einem Casino und lernt den Ex-Jockey Frank kennen. Schon zu DDR-Zeiten wollte der immer nach Sankt Moritz, wo auf dem Eis des zugefrorenen Sees Rennen veranstaltet werden. „Die Pferde dampfen, wenn sie durch den Schnee und übers Eis galoppieren, so etwas Schönes hast du noch nicht gesehen.“Jetzt, nach dem Mauerfall, hat er endlich die Chance. Doch er sitzt wegen Schnee am Flughafen fest. .............................................