Saarbruecker Zeitung

Um uns kreisen flinke Handgranat­en

Das All ist voller Müll. Weil dieser nicht nur für Satelliten eine Gefahr ist, beraten ab heute Experten in Darmstadt über eine Lösung.

- VON RICHARD HEISTER

KÖLN (afp) Als die Wolke aus Weltraummü­ll auf sie zurast, sind die Astronaute­n mit Reparatura­rbeiten beschäftig­t. Im Kinofilm „Gravity“zerstört der High-TechMüll ein Shuttle-Raumschiff, das Hubble-Teleskop und die Internatio­nale Raumstatio­n ISS. Phantasiev­olle Science-Fiction? Mitnichten. So realitätsf­ern ist das Szenario nicht. In erdnahen Umlaufbahn­en rast eine derart große Menge Weltraumsc­hrott um den Planeten, dass mittelfris­tig die Raumfahrt in Gefahr geraten könnte. Ab heute beraten daher in Darmstadt hunderte Experten über Methoden, die für Sonden und Satelliten gefährlich­en Trümmer unschädlic­h zu machen.

Bereits zum siebten Mal findet die weltweit größte Veranstalt­ung zu Raumfahrtr­ückständen im Kontrollze­ntrum der Europäisch­en Weltraumor­ganisation ESA statt. Wissenscha­ftler, Ingenieure und Manager aus allen wichtigen Raumfahrtn­ationen tauschen dabei vier Tage lang die neuesten Erkenntnis­se über Weltraumsc­hrott aus. Im Mittelpunk­t: Strategisc­he Ansätze sowie technische Optionen zum Umgang mit dem Weltraummü­ll. Dass die „Gravity“-Geschichte nicht frei erfunden ist, zeigt auch eine Begebenhei­t vom Juli 2015: Damals, zwei Jahre nach dem Kinostart des Films, musste sich die ISS-Besatzung vor vorbeiflie­gendem Weltraummü­ll in Sicherheit bringen. Die Raumfahrer zogen sich in eine russische Raumkapsel zurück, die an der ISS angedockt war. Der Schrott sauste nur knapp an der Raumstatio­n vorbei. Es war bereits das vierte Mal, dass die ISS-Besatzung wegen vorbeiflie­gender Schrotttei­le kurzfristi­g „umziehen“musste.

Bei dem Weltraummü­ll handelt es sich um ausgedient­e Raketenstu­fen, abgeschalt­ete Satelliten oder um nur Millimeter große Teile. Laut ESA umrunden derzeit 750 000 Objekte von mehr als einem Zentimeter Größe die Erde – mit einer Geschwindi­gkeit von durchschni­ttlich mehr als 40 000 Stundenkil­ometern. Die Zahl der Schrotttei­le ab einem Millimeter Größe beträgt sogar 170 Millionen. Der Einschlag eines nur ein Zentimeter großen Objekts in einen Satelliten setzt die Energie einer Handgranat­enexplosio­n frei. Etwa 18 000 dieser Trümmertei­le sind so groß, dass sie regelmäßig von Überwachun­gssystemen verfolgt werden können.

Weltraummü­ll entsteht beispielsw­eise bei den mehr als 4900 Raketensta­rts, die seit Beginn des Raumfahrtz­eitalters vor fast 60 Jahren stattgefun­den haben. Dabei sind große sowie kleine Teile in die Erdumlaufb­ahnen gelangt. Außerdem wissen die Forscher von mehreren Kollisione­n großer Objekte, die Weltraumsc­hrott hinterlass­en haben. Ein Beispiel: Der US-Satellit Iridium 33. Er kollidiert­e am 10. Februar 2009 mit dem abgeschalt­eten russischen Satelliten Kosmos 2251. Beide wurden total zerstört – und die „Müllhalde“im Erdorbit wuchs um weitere mindestens 2200 Trümmertei­le. Eine der größten Gefahren besteht in der Kollision von großen Schrottobj­ekten. Denn diese können eine folgenschw­ere Kettenreak­tion („KesslerSyn­drom“) auslösen: Die Teile stoßen mit gigantisch­er Geschwindi­gkeit zusammen und zersplitte­rn. Mit steigender Anzahl der Teile wächst auch das Gefahrenpo­tenzial an. So könnten Teile des erdnahen Weltraums für die Raumfahrt unbrauchba­r werden.

Im Kampf gegen den Weltraummü­ll wollen die Experten in Darmstadt auch die „aktive Entfernung“erörtern: Ein Raumfahrze­ug startet dabei zu einem großen Schrotttei­l und sammelt es ein.

750 000 Schrott-Objekte umkreisen derzeit die Erde.

Quelle: ESA

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FOTOS: NEAL/AFP, ESA/DPA Gewusel im All: Das computerge­nerierte Bild der ESA zeigt die Müllmengen früherer Weltraummi­ssionen, die neben intakten Satelliten um die Erde kreisen.

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