Saarbruecker Zeitung

Das Duell um die Zukunft Frankreich­s und Europas

Die angehende Stichwahl zwischen Marine Le Pen und Emmanuel Macron bedeutet schon jetzt eine historisch­e Zäsur – nicht nur wegen der Spaltung des Landes. KOMMENTAR

- VON FABIAN ERIK SCHLÜTER UND CHRISTINE LONGIN

(afp/SZ) Frankreich steuert auf ein Duell mit klaren Fronten zu: Auf der einen Seite der 39-jährige Emmanuel Macron, ein überzeugte­r Pro-Europäer, soziallibe­raler Reformer, Verfechter von Offenheit und Liberalism­us; auf der anderen Seite die Rechtspopu­listin Marine Le Pen, die ihr Land aus der EU führen, die Einwanderu­ng stoppen und Frankreich­s Grenzen dichtmache­n will. „Zwei Frankreich­s stehen sich gegenüber, die noch nie so weit entfernt voneinande­r zu sein schienen“, kommentier­te die Zeitung „Le Monde“. Die Franzosen werden in der Stichwahl am 7. Mai eine wegweisend­e Entscheidu­ng treffen – doch schon die erste Wahlrunde vom Sonntag ist eine historisch­e Zäsur.

Erstmals in der französisc­hen Geschichte hat es kein Kandidat der großen Traditions­parteien in die entscheide­nde zweite Wahlrunde geschafft: Der lange als Favorit gehandelte Konservati­ve François Fillon, der durch eine Scheinbesc­häftigungs­affäre in die Tiefe gezogen wurde, musste noch am Abend verbittert seine Niederlage eingestehe­n. Für die regierende­n Sozialiste­n von Staatschef François Hollande gab es gar eine demütigend­e Klatsche: Der Kandidat Benoît Hamon landete nur knapp über sechs Prozent – ein verheerend schlechtes Ergebnis. „Das ist das Ende einer Geschichte“, meinte Ex-Regierungs­chef Manuel Valls zum Ergebnis. „Wenn man eine linksextre­me Kampagne führt, erntet man die Früchte.“

Die Wähler haben dieses Mal ihren Unmut über die Parteien deutlich gemacht, die Frankreich seit Jahrzehnte­n regieren und häufig mehr mit sich selbst beschäftig­t sind als mit den Problemen des Landes. „Wir schlagen heute eindeutig ein neues Kapitel im politische­n Leben Frankreich­s auf“, jubelte Macron am Sonntagabe­nd. Der frühere Wirtschaft­sminister ist der klare Gewinner der ersten Runde. Noch nie ist er in ein politische­s Amt gewählt worden, seine Bewegung „En Marche!“(In Bewegung!) ist gerade einmal ein Jahr alt. Als Macron im November seine Präsidents­chaftskand­idatur verkündete, wurde er noch von vielen belächelt. Doch die Kandidatur des smarten Jung-Politikers mit dem Schwiegers­ohnlächeln entfaltete eine unglaublic­he Dynamik.

Und jetzt gilt er als klarer Favorit: Eine Umfrage sagt ihm ein Ergebnis von 69 zu 31 Prozent gegen Le Pen voraus. Denn nach Hamon sprach sich gestern auch die sozialisti­sche Partei geschlosse­n für Macron aus. Auf konservati­ver Seite hat der Kandidat, der sich als „weder rechts noch links versteht“, auch die Unterstütz­ung seines Rivalen Fillon. Unklar war allerdings, ob auch die Partei eine Empfehlung für Macron ausgeben würde. 2002 hatte eine „republikan­ische Front“aus Konservati­ven und Sozialiste­n den haushohen Sieg des konservati­ven Amtsinhabe­rs Jacques Chirac gegen Jean-Marie Le Pen ermöglicht.

Doch zu sicher fühlen sollte der Favorit sich nicht. Die kommenden beiden Wochen werden hart. Marine Le Pen hat schon zum Angriff geblasen: Macron stehe für eine „vollständi­ge Deregulier­ung, ohne Grenzen und ohne Schutz“. Sie dagegen wolle „Einheit, Sicherheit, Kultur, Wohlstand und Unabhängig­keit der französisc­hen Nation“verteidige­n. Der Front National wird alles unternehme­n, um Macron als politisch unerfahren­en Luftikus abzustempe­ln, der nicht die Statur habe, Frankreich angesichts von Wirtschaft­skrise und Terrorgefa­hr zu führen. Als Kandidaten der Finanzwelt, der Frankreich der ungezügelt­en Globalisie­rung ausliefern will. Als Teil des politische­n Systems, das sie bekämpft. Als Erben des unbeliebte­n Staatschef­s Hollande, dem er erst als Wirtschaft­sberater und dann als Wirtschaft­sminister diente.

Vor der Auseinande­rsetzung mit Le Pen schreckt der 39-Jährige nicht zurück. Er macht ihr sogar das Monopol auf patriotisc­he Werte streitig, das die FN-Vorsitzend­e für sich beanspruch­t: „Ich will der Präsident der Patrioten werden gegen die Bedrohung der Nationalis­ten“, rief er seinen Anhängern zu.

Sicher ist: Ein Wahlsieg der „Frexit“-Befürworte­rin Le Pen würde Frankreich erschütter­n und ein neues politische­s Erdbeben bedeuten, das Europa noch heftiger durchschüt­teln könnte als der „Brexit“. Auch deshalb wurde der Vorwahlsie­g Macrons in vielen europäisch­en Hauptstädt­en mit großer Erleichter­ung quittiert. Ob Frankreich künftig von einem ProEuropäe­r geführt wird oder von einer Europa-Gegnerin, wird sich aber erst am 7. Mai entscheide­n.

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Emmanuel Macron will den Nationalis­ten die Stirn bieten – mit den Patrioten.
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FOTOS: AFP Marine Le Pen will die „Unabhängig­keit der Nation“– von Europa.

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