Das Duell um die Zukunft Frankreichs und Europas
Die angehende Stichwahl zwischen Marine Le Pen und Emmanuel Macron bedeutet schon jetzt eine historische Zäsur – nicht nur wegen der Spaltung des Landes. KOMMENTAR
(afp/SZ) Frankreich steuert auf ein Duell mit klaren Fronten zu: Auf der einen Seite der 39-jährige Emmanuel Macron, ein überzeugter Pro-Europäer, sozialliberaler Reformer, Verfechter von Offenheit und Liberalismus; auf der anderen Seite die Rechtspopulistin Marine Le Pen, die ihr Land aus der EU führen, die Einwanderung stoppen und Frankreichs Grenzen dichtmachen will. „Zwei Frankreichs stehen sich gegenüber, die noch nie so weit entfernt voneinander zu sein schienen“, kommentierte die Zeitung „Le Monde“. Die Franzosen werden in der Stichwahl am 7. Mai eine wegweisende Entscheidung treffen – doch schon die erste Wahlrunde vom Sonntag ist eine historische Zäsur.
Erstmals in der französischen Geschichte hat es kein Kandidat der großen Traditionsparteien in die entscheidende zweite Wahlrunde geschafft: Der lange als Favorit gehandelte Konservative François Fillon, der durch eine Scheinbeschäftigungsaffäre in die Tiefe gezogen wurde, musste noch am Abend verbittert seine Niederlage eingestehen. Für die regierenden Sozialisten von Staatschef François Hollande gab es gar eine demütigende Klatsche: Der Kandidat Benoît Hamon landete nur knapp über sechs Prozent – ein verheerend schlechtes Ergebnis. „Das ist das Ende einer Geschichte“, meinte Ex-Regierungschef Manuel Valls zum Ergebnis. „Wenn man eine linksextreme Kampagne führt, erntet man die Früchte.“
Die Wähler haben dieses Mal ihren Unmut über die Parteien deutlich gemacht, die Frankreich seit Jahrzehnten regieren und häufig mehr mit sich selbst beschäftigt sind als mit den Problemen des Landes. „Wir schlagen heute eindeutig ein neues Kapitel im politischen Leben Frankreichs auf“, jubelte Macron am Sonntagabend. Der frühere Wirtschaftsminister ist der klare Gewinner der ersten Runde. Noch nie ist er in ein politisches Amt gewählt worden, seine Bewegung „En Marche!“(In Bewegung!) ist gerade einmal ein Jahr alt. Als Macron im November seine Präsidentschaftskandidatur verkündete, wurde er noch von vielen belächelt. Doch die Kandidatur des smarten Jung-Politikers mit dem Schwiegersohnlächeln entfaltete eine unglaubliche Dynamik.
Und jetzt gilt er als klarer Favorit: Eine Umfrage sagt ihm ein Ergebnis von 69 zu 31 Prozent gegen Le Pen voraus. Denn nach Hamon sprach sich gestern auch die sozialistische Partei geschlossen für Macron aus. Auf konservativer Seite hat der Kandidat, der sich als „weder rechts noch links versteht“, auch die Unterstützung seines Rivalen Fillon. Unklar war allerdings, ob auch die Partei eine Empfehlung für Macron ausgeben würde. 2002 hatte eine „republikanische Front“aus Konservativen und Sozialisten den haushohen Sieg des konservativen Amtsinhabers Jacques Chirac gegen Jean-Marie Le Pen ermöglicht.
Doch zu sicher fühlen sollte der Favorit sich nicht. Die kommenden beiden Wochen werden hart. Marine Le Pen hat schon zum Angriff geblasen: Macron stehe für eine „vollständige Deregulierung, ohne Grenzen und ohne Schutz“. Sie dagegen wolle „Einheit, Sicherheit, Kultur, Wohlstand und Unabhängigkeit der französischen Nation“verteidigen. Der Front National wird alles unternehmen, um Macron als politisch unerfahrenen Luftikus abzustempeln, der nicht die Statur habe, Frankreich angesichts von Wirtschaftskrise und Terrorgefahr zu führen. Als Kandidaten der Finanzwelt, der Frankreich der ungezügelten Globalisierung ausliefern will. Als Teil des politischen Systems, das sie bekämpft. Als Erben des unbeliebten Staatschefs Hollande, dem er erst als Wirtschaftsberater und dann als Wirtschaftsminister diente.
Vor der Auseinandersetzung mit Le Pen schreckt der 39-Jährige nicht zurück. Er macht ihr sogar das Monopol auf patriotische Werte streitig, das die FN-Vorsitzende für sich beansprucht: „Ich will der Präsident der Patrioten werden gegen die Bedrohung der Nationalisten“, rief er seinen Anhängern zu.
Sicher ist: Ein Wahlsieg der „Frexit“-Befürworterin Le Pen würde Frankreich erschüttern und ein neues politisches Erdbeben bedeuten, das Europa noch heftiger durchschütteln könnte als der „Brexit“. Auch deshalb wurde der Vorwahlsieg Macrons in vielen europäischen Hauptstädten mit großer Erleichterung quittiert. Ob Frankreich künftig von einem ProEuropäer geführt wird oder von einer Europa-Gegnerin, wird sich aber erst am 7. Mai entscheiden.