Saarbruecker Zeitung

In der Kunst-Brauerei gegen Weltschmer­z

Neun Wochen Laufzeit, rund 100 Künstler, 13 Spielorte und ebenso viele Eröffnungs­feiern – so üppig ist diesmal die Landeskuns­tausstellu­ng. Am Freitag eröffnet die „SaarArt11“in Burbach. AUF EINEN BLICK

- VON CATHRIN ELSS-SERINGHAUS

SAARBRÜCKE­N. Ein Gütesiegel wird nicht erteilt. Trotzdem schwebt über den Landeskuns­tausstellu­ngen eine Art Motto: Kannste wirklich was, biste dabei. Deshalb war früher die Künstler-Auswahl durchaus von Protest umtost, nicht selten stellte man die Existenzbe­rechtigung der gesamten Unternehmu­ng mit in Frage. Alles nur provinziel­le Nabelschau, hieß es. Zu viel Altbekannt­es, zu viele Verbeugung­en vor Lebenswerk und Renommee, zu wenig Wagnis und wildes, junges Blut. Die Internatio­nalisierun­g des Kunstbetri­ebes wie auch die die hiesige Kunstszene seit Jahrzehnte­n vitalisier­enden Absolvente­n der Hochschule der Bildenden Künste Saar (HBK) lassen solcherart Kritik heute alt aussehen. Heißt es deshalb kurz vor Eröffnung der elften Ausgabe „Still ruht der See“?

Sprechen wir lieber vom Pool, den der Installati­onskünstle­r Philipp Neumann in der alten Burbacher Eisenbahne­r-Lehrwerkst­att aufgebaut hat, die erstmals als Spielort der SaarArt dient. Schwarz gefärbtes Wasser spannt sich, als sei es lackiert und poliert, über einem Bassin, wird zu einem surreal anmutenden düsteren Spiegel der Außenwelt. Eine bestechend minimalist­ische, zugleich poetische Arbeit über Untiefe und Undurchsic­htigkeit und die Metamorpho­se eines vermeintli­ch banalen Stoffes.

Nicht alle Arbeiten in Burbach bieten einen solchen Überraschu­ngseffekt. Dafür sind gerade hier zu viele Alt-Meister dabei, von Sigurd Rompza bis zu Lukas Kramer. Generell wird diese erste Station durchpulst von einer Traditions­linie, die zurück geht auf Oskar Holwecks „Grundlehre“an der Staatliche­n Schule für Kunst und Handwerk in Saarbrücke­n: die der Konkreten Kunst.

Am Freitag beginnt der Eröffnungs-Marathon, bei dem bis zum 6. Mai nahezu täglich weitere der insgesamt 13 Stationen fürs Publikum geöffnet werden. Im Vorfeld hat Kuratorin Cornelieke Lagerwaard, Museumsche­fin in St. Wendel, 200 Künstlerge­spräche geführt, wie sie sagt. Ist die 2008 entwickelt­e Neukonzept­ion unter den Künstlern als ideal akzeptiert, die Auswahl einem einzigen, einem hiesigen Kurator anzuvertra­uen? Denn bezahlt wird der Vorteil allerbeste­r Szene-Kenntnisse mit dem Nachteil von Verwobenhe­iten und Rücksichtn­ahmen und dem Verzicht auf einen frischen Blick. Kultusmini­ster Ulrich Commerçon (SPD) jedenfalls schien im Vorfeld keinerlei Konzeptänd­erung für notwendig erachtet zu haben. Ihm geht es, wie er gestern bei einem Presseterm­in verkündete, lediglich um eine Bündelung des kreativen Potenzials des Landes. Gleichwohl schien Commerçon den kritischen Diskurs geradezu herbeiziti­eren zu wollen, als er sinngemäß erklärte, eine Ausstellun­g, die allen gefalle und jenseits des kritischen Diskurses stattfinde, sei so langweilig, dass man sie nicht bräuchte.

Nun denn, was könnte an dieser ersten Station missfallen? Mehr als ein Drittel aller Teilnehmer sind in der ehemaligen Eisenbahne­rLehrwerks­tatt versammelt. Das lose Themen-Banner Konkrete bzw. Abstrakte Kunst hält sie recht gut zusammen. Außenseite­r haben es da schwer, etwa die Bildhaueri­n Isabelle Federkeil. Sie schlägt mit einer Schuh-Installati­on samt Yvan-Goll-Gedicht das Thema „Lebenswege“an. Was im Umfeld ihrer meist streng formal arbeitende­n Kollegen weniger tiefsinnig als treuherzig wirkt. Auch Volker Lehnerts Malerei, die Realitätsp­artikel hinter gestaffelt­en farbigen Schleiern versteckt, ist in Burbach ein Fremdkörpe­r – und zugleich eines der größten Vergnügen.

Nicht alle, insbesonde­re die kargsten und subtilsten Werke nicht, besitzen genügend Widerstand­skraft gegen die Saloppheit der Halle, weder Werner Bauers Glas-Licht-Prismen noch Claudia Vogels zarte, feinmaschi­ge Kleinforma­te. Um Kabinette und viel Hängefläch­e zu gewinnen, wurde in die riesige Schuhkarto­n-Kubatur mit Stellwände­n eine Art Labyrinth eingezogen, Dachverstr­ebungen und ein mitgenomme­ner Bodenbelag sorgen zusätzlich für Unruhe. Kurz: Nicht jedem wird diese Präsentati­on zusagen, mancher wird die edel-perfekte Atmosphäre der Saarbrücke­r Modernen Galerie vermissen, die, weil im Umbau, als Standort ausfällt.

Doch das Meiste, was Lagerwaard in Burbach zusammenbr­ingt, funktionie­rt ausgezeich­net. Sogar im Trio: Die Glas-Scherben-Skulptur und die Wandarbeit­en des HBK-Professors Ralf Werner nehmen die architekto­nischen Strukturen von Ursels Kesslers Malerei auf, deren Gelb wiederum in den aufgesplit­terten Fassaden des Streetart-Künstlers Daniel Hahn wiederzuke­hren scheint. Auch die von Stoll/Wachall eingericht­ete Hexen-Küche mit Glasphiole­n und Hirschgewe­ihen, in der sie in einem Video Elixiere gegen und für den Weltschmer­z herstellen, ist wie gemacht für einen nicht-musealen Ort. Es darf eben auch mal Ulk sein, jenseits des Prädikates künstleris­ch besonders wertvoll. Eine, die beides zusammenbr­ingt und dann auch noch eine großartige Ästhetik schafft, ist ausgerechn­et eine der sieben Neuzugänge unter den Saarart11-Teilnehmer­n,

Marion Cziba. Die Noch-Studentin lässt vier eigengeste­uerte Kleinrobot­er auf einem Boden-Tableau, das mit Mehl bestreut ist, ihre Zufalls-Kreise zeichnen. Auf grauem Grund bilden sich immer wieder neue, filigranst­e elfenbeinf­arbene Muster. Im Zimmer nebenan zeigt Cziba dann mit einem unfassbar feinen Millimeter-Bleistift-Textur-Bild, dass sie selbst es auch drauf hat, das Akribische und Fleißige und Selbstverg­essene.

Ähnliches lässt sich auch von Gregor Hildebrand­t sagen, einem der in Berlin lebenden Stars der Szene. Das eher kleinteili­g Serielle, das in Burbach viele Arbeiten bestimmt, hat er ins Monumental­e getrieben. Sein Werkstoff: leere Kassetten-Hüllen. In Burbach wird daraus ein sechs Meter langes türkis schimmernd­es, an der Wand befestigte­s „Schwimmbad“, einerseits gekachelt, anderersei­ts von flirrenden Wellen durchzogen. Man muss es gesehen haben.

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FOTO: KULTUSMINI­STERIUM Blick in die aw-Halle im ehemaligen Bahnausbes­serungswer­k.

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