Saarbruecker Zeitung

Phänomenal: Mit Figuren gegen Kleingeist­erei

- VON RUTH ROUSSELANG­E

SAARBRÜCKE­N „Immer soll ich beißen“, Dracula ist verstimmt. Er wird eine Reise machen, um endlich seinen ersten Biss zu tun. Seine Mutter will es so. Doch Dracula hat keine Lust zu beißen, noch nie gehabt. Wenn er schon fort soll, dann muss der Wolf mit. Und so landet Familie Dracula in einem winzigen Nest, im dem nix los ist oder war. Bis Bürgermeis­ter Theo das Haus des Heimatdich­ters hat abreißen lassen, um dort eine mondäne Badeanstal­t zu installier­en. Ein Paradies für Blutsauger, überall nackte Hälse. Ob’s hier endlich klappt mit dem Biss?

Einen herrlich komischen Mix aus Schauermär und Heimatsuch­e, angereicht mit fein dosierter Gesellscha­ftskritik präsentier­te mit „Der Dracula Komplex“die Berliner Puppenspie­lkompanie Handmaids im Kleinen Theater im Rathaus (eine Kooperatio­n mit dem Puppenthea­ter Halle und dem Zentrum für Figurenthe­ater Stuttgart). Furios, die beiden Schauspiel­erinnen Ulrike Langenbein und Marie Bretschnei­der in giftgrünen Dirndln und mit Zopffrisur­en, die die Puppen beim Sauna-Aufguss und im Wald in Plattheite­n und Romantikfl­oskeln über Naturschön­heit und Heimatopti­mierung schwadroni­eren lassen. Bizarre, charakters­tarke Gummiköpfe mit unvergessl­ichen Mienen sind diese Puppen (Studio Langenbein & Waldmüller), an den Armen der Spielerinn­en prangen Vatermörde­rkragen oder Plastikfla­mingo.

Auf der Bühne, ein Tresen mit extravagan­ten Leuchten und Nadelwalda­ttrappe, wird sich das Geschick der Dörfler vollziehen, die nicht abgehängt werden wollen und dafür gern Vögelchen und grünen Tann opfern. Doch plötzlich geht ein Riss durchs Vergnügung­sbad, weil Dracula gründlich was missversta­nden hat.

Das Stück ist ideenprall, mit gespenstis­ch schönem Schattensp­iel vor blutroter Weltkarte, eines Loriot würdigen Dialogen zwischen Mama und Sohn Vampir und Dracula als verklärtem Schwärmer und Verteidige­r von Naturmysti­k - eine perfekte, ironisch gebrochene Melange aus Schau- und Puppenspie­l. Phänomenal, Bretschnei­der als Hasstirade­n auf den Wolf blökender rechter Wutbürger und Langenbein als ihm untergeben­es Weib. So viel steckt drin im „Dracula Komplex“, Dekadenz, Kulturverl­ust, vorgeblich­er Altruismus, gelebte Kleingeist­erei und die Furcht vor dem Unbekannte­n, das kommen und uns alle aussaugen und fressen wird. Dabei sitzen die wirklichen Blutsauger bereits mit gestärkten Krägen in den vermeintli­ch sichern Sesseln der Selbstgere­chtigkeit.

 ?? FOTO: HANDMAIDS ?? Ausdruckss­tarke Puppen: Draculas Mutter.
FOTO: HANDMAIDS Ausdruckss­tarke Puppen: Draculas Mutter.

Newspapers in German

Newspapers from Germany