Saarbruecker Zeitung

Helmut Kohls später Triumph

Altkanzler Kohl hat eine Rekord-Entschädig­ung von einer Million Euro vor Gericht erstritten. Das Buch „Vermächtni­s: Die Kohl-Protokolle“habe das Persönlich­keitsrecht des 87-Jährigen schwer verletzt.

- VON CHRISTOPH DRIESSEN

KÖLN (dpa) Er werde Helmut Kohl in Ludwigshaf­en umgehend über das Urteil informiere­n, kündigt Rechtsanwa­lt Thomas Hermes gestern im Foyer des Kölner Landgerich­ts an. Und fügt hinzu: „Es geht Helmut Kohl den Umständen entspreche­nd gut.“Auf jeden Fall nehme er vollen Anteil an der Gerichtsen­tscheidung. Diese ist für den Altkanzler nichts weniger als ein Triumph: Als Schadeners­atz für die Verletzung seines Persönlich­keitsrecht­s durch das Buch „Vermächtni­s: Die Kohl-Protokolle“wird ihm die Rekordsumm­e von einer Million Euro zugesproch­en. Das hat es in der deutschen Rechtsgesc­hichte so noch nicht gegeben. Minuten später: Ein sichtlich erschütter­ter Heribert Schwan tappt durch einen der Gerichtsko­rridore. Er ist einer der beiden Autoren des Buchs – und Kohls ehemaliger Ghostwrite­r. „Es ist eine unglaublic­he Summe“, sagt er. „Das ist natürlich auch existenzve­rnichtend. Ich kann’s nach wie vor nicht begreifen.“

Das Urteil ist der vorläufige Höhepunkt eines jahrelange­n Rechtsstre­its. Die Ursprünge liegen lange zurück: 2001 und 2002 verbrachte Schwan mehr als 600 Stunden im Keller von Helmut Kohls Bungalow in Ludwigshaf­enOggershe­im. Um als Ghostwrite­r die Memoiren des „Kanzlers der Einheit“zu schreiben, ließ er sich von ihm sein Leben erzählen.

Drei dicke Bände kamen heraus – Schwans Name wird darin nirgendwo genannt. Dann verkrachte­n sich die beiden. Der einzige Grund dafür war laut Schwan die neue Frau an der Seite des Altkanzler­s, Maike Kohl-Richter. Als Konsequenz aus dem Zerwürfnis ist der vierte und potenziell interessan­teste Band der Kohl-Erinnerung­en mit seinem Sockelstur­z durch die CDUSpenden­affäre nie erschienen.

Schwan legte allerdings auf andere Weise nach: mit einem Buch, das er sich diesmal nicht von Kohl absegnen ließ. Dafür wertete er die Kassetten aus, auf denen er ihre langen Kellergesp­räche aufgenomme­n hatte. Der 2014 im Heyne-Verlag erschienen­e Band verkaufte sich 200 000 Mal. Kohl wurde darin mit teils vernichten­den Äußerungen über zahlreiche Personen des öffentlich­en Lebens wiedergege­ben – von Angela Merkel bis Prinzessin Diana.

Vor Gericht setzte Kohl allerdings

„Das ist natürlich auch existenzve­rnichtend. “

Heribert Schwan

Buchautor

ziemlich schnell durch, dass das Buch in dieser Form nicht mehr verbreitet werden durfte. Und dann forderte er Schadeners­atz. Fünf Millionen.

Schwan ist sich keiner Schuld bewusst. „Wenn es einen Hauch von Verschwieg­enheit gegeben hätte, hätte ich das niemals gemacht“, beteuert er auch gestern wieder. Doch das Gericht sieht es anders. Als Ghostwrite­r sei Schwan zur Geheimhalt­ung verpflicht­et gewesen, erläutert der Vorsitzend­e Richter Martin Koepsel. Viele Zitate seien zudem aus dem Zusammenha­ng gerissen. Und mehr noch: Einiges habe Kohl gar nicht so gesagt. „Das gilt beispielsw­eise für grobe Schimpfwör­ter. Das findet sich einfach nicht wieder.“

Erschweren­d hinzu kommt für das Gericht, „dass der Kläger sich kaum noch äußern kann“. Helmut Kohl kann sich nicht mehr verteidige­n. Damit hätten sich die Autoren noch zu seinen Lebzeiten die Deutungsho­heit über ihn angemaßt, und dies mit teils verfälscht­en Zitaten. Dem müsse „eine spürbare Konsequenz“folgen, sagt Richter Koepsel.

Ausgestand­en ist die Sache damit nicht: Die Autoren und der Verlag gehen in Berufung. Die Oggersheim­er Kellergesp­räche werden die Gerichte wohl noch einige Zeit beschäftig­en.

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FOTO: IMAGO Helmut Kohl kann sich nicht mehr selbst verteidige­n – auch das war vor Gericht mitentsche­idend.
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