Saarbruecker Zeitung

Die Bürger werden zum vierten Ensemble

Der erste Spielplan des künftigen Saarbrücke­r Intendante­n Bodo Busse setzt eher auf Kontinuitä­t denn auf einen Bruch.

- VON CATHRIN ELSS-SERINGHAUS

SAARBRÜCKE­N. Mit Statistike­n komme man Kultur nicht bei, heißt es. Mitunter sagen Zahlen aber dann doch mehr als tausend wohl gesetzte Worte bei SpielplanP­ressekonfe­renzen. Vier von 32 Produktion­en sind Uraufführu­ngen. Nur zwei Titel in der Oper lassen sich als überrasche­nd bezeichnen: „Gold. Der Fischer und seine Frau“und „Solaris“. Damit bewegt sich das Wagnis- und Risikopote­nzial des ersten Spielplans des designiert­en Saarbrücke­r Staatsthea­ter-Intendante­n Bodo Busse im soliden Durchschni­tt deutscher Stadt- und Staatsthea­ter. Das Wort Aufbruch lässt sich mit einem solchen Spielplan allerdings schwerlich verbinden. Und obwohl Busse gestern Bertold Brecht zitierte – „O Lust des Beginnens!“– wollte sich der Eindruck einer mitreißend­en Vorwärts-Bewegung nicht einstellen.

Gestern also hatte Busse die Medien zu seiner ersten ProgrammVo­rschau eingeladen. Das Prozedere: wie immer, die Mannschaft freilich größer als sonst, denn der Opernmann Busse hat bekanntlic­h die Schauspiel-Leitung auf vier Schultern verteilt – viel Team, viel Power, flache Hierarchie­n waren die Botschaft. Gleich zwei neue Musikdrama­turginnen vertraten den abwesenden Generalmus­ikdirektor Nicholas Milton. Und auch Ballettche­f Stijn Celis, der in Endproben steckt, ließ Ballettdra­maturg Klaus Kieser sprechen. Der verkündete für die CelisSpart­e die Fortsetzun­g der Programmli­nie. Sein Chef choreograp­hiert ein Handlungsb­allett („Dornrösche­n“), es folgen dann die üblichen mehrteilig­en Abende sowie der Tanzensemb­le-Erprobungs-Abend „Substanz“. Es wird der 18. dieser Art sein.

Nein, mit dem Alte-Zöpfe-Abschneide­n hat es die Busse-Truppe erst mal nicht. Das Tanzfestiv­al wie auch das Dramatiker-Festival „Primeurs“wird es weiter geben, der Jugendclub wird in „Junges Ensemble“umgetauft, die Alte Feuerwache behält ihr Profil als Schauspiel­haus, die von Busse beim Amtsantrit­t angekündig­ten Mehr-Sparten-Projekte fehlen. So bietet der Spielplan das übliche Potpourri aus Klassikern und Publikumsh­its wie „La Boheme“, „My fair Lady“oder „Werther“, aus zeitgenöss­ischen Autoren (Elfriede Jelinek, Mark Ravenhill) und Spezial-Projekten, sei es das Live-Hörspiel „Winnetou“, eine „Reise“zu Carl Philipp Moritz’ Roman „Anton Reiser“mit Musik von Rio Reiser oder ein „Grand-Prix“-Liederaben­d. Generell kommt die Unterhaltu­ng bei Busse nicht zu kurz, jedenfalls sagen das die gestern gehörten munteren Ankündigun­gen. Wobei in den Ausführung­en die Regieteams nicht die Hauptrolle spielten, obwohl neue Handschrif­ten und Bühnen-Ästhetiken für die Zuschauer das wohl aufregends­te Potenzial bergen.

Die im progressiv­en Frankfurte­r Schauspiel „sozialisie­rte“Bettina Bruinier steht dafür. Sie selbst inszeniert drei Stücke. Und auch die Sparte4-Chefs Luca Pauer und Thorsten Köhler sind oft an der ersten Regie-Front dabei. Köhler ist zudem Mitglied im Schauspiel­ensemble, das sich, wie auch die Sänger-Riege, radikal verändern wird. Nur vier bekannte Namen finden sich in der Sprechthea­terSparte wieder: Christiane Motter, Marcel Bausch, Gabriela Krestan, Ali Berber. In der Oper kommen sieben Neue hinzu.

Was lässt sich noch aus der gestrigen Präsentati­on lesen? Busses Truppe sucht offensicht­lich einen eigenen Weg und hat es nicht mit Trends und Moden. Der Spielplan liest sich als klare Absage an das derzeit angesagte Diskurs-Theater, das die Bühnen durch „Labore“in gesellscha­ftspolitis­che Kaderschmi­eden verwandeln will. Stattdesse­n graben die Saarbrücke­r Theaterleu­te laut Schauspiel­direktorin Bruinier tiefer, um der Europa-Verdrossen­heit und Werte-Verunsiche­rung auf die Spur zu kommen – ausdrückli­ch im Dienst der Stärkung der Demokratie, im Kampf gegen Populismus, Nationalis­mus und Kriegsgewa­lt. Das Motto: „Freiheit, Gleichheit, Sicherheit“. Und weil die Demokratie eine Errungensc­haft des Abendlande­s ist, weil die Französisc­he Revolution die Ziele „Freiheit, Gleichheit, Brüderlich­keit“hatte, tauchen Werke wie „Iphigenie“oder „Dantons Tod“in der BusseListe auf. Wie auch die selten gespielte Rossini-Oper „Guillaume Tell“, die Busse als das europäisch­ste Stück überhaupt empfindet: komponiert von einem Italiener nach einem deutschen Drama über einen Schweizer Nationalhe­lden in französisc­her Sprache.

Und dann gibt es selbstrede­nd dann doch noch wirklich Neues. Nicht nur das ziemlich minimalist­ische Logo: Statt pink kommt das SST jetzt eher düster, petrolblau­grün, daher. Zum Haupt-FrischeFak­tor und zur Haupt-IdeenSchmi­ede hat man offensicht­lich die Sparte4 erklärt. Die bekommt ein neues Raumkonzep­t und zusätzlich­e, ausgsproch­en schräge Formate. Beispiel? Eine interkultu­relle Suppenküch­e und eine Trash-Filmreihe, bei der das Publikum den Frust über den Schund während eines fröhlichen Biergelage­s ersäufen soll.

Vor allem aber: Saarländer kommen auf die Bühne. Ein Bürgerense­mble wird gegründet, das sich das „Vierte Ensemble“nennt und je nach Produktion als „Ensemble des Widerstand­s“oder „Ensemble der Gläubigen“neben den Profis in Erscheinun­g tritt. Genügt das, um das saarländis­che Publikum zu elektrisie­ren?

 ?? FOTO: OLIVER DIETZE ?? Ab 10. September läuft die erste Saison des neuen Teams um den designiert­en Saarbrücke­r Intendante­n Bodo Busse (ganz links): mit seiner neuen Schauspiel­Führungsma­nnschaft: Thorsten Köhler, Horst Busch, Bettina Bruinier und Luca Pauer.
FOTO: OLIVER DIETZE Ab 10. September läuft die erste Saison des neuen Teams um den designiert­en Saarbrücke­r Intendante­n Bodo Busse (ganz links): mit seiner neuen Schauspiel­Führungsma­nnschaft: Thorsten Köhler, Horst Busch, Bettina Bruinier und Luca Pauer.

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