Saarbruecker Zeitung

Die Europäer erwartet ein schmutzige­r Brexit

ANALYSE Beim EU-Gipfel gaben sich die 27 verbleiben­den Mitglieder der Union als eine Front gegenüber London. Doch Brüssel wird Zugeständn­isse machen müssen.

- VON DETLEF DREWES

BRÜSSEL. Die Freude über den Turbo-Gipfel der 27 EU-Staaten ist verständli­ch. So viel Einigkeit zwischen den Staats- und Regierungs­chefs darf man schon als Überraschu­ng feiern. Aber genau genommen hat die Union kaum mehr geschafft, als für die bevorstehe­nden Brexit-Verhandlun­gen ihre Forderunge­n zu verabschie­den. Diese sind deutlich und unmissvers­tändlich – vor allem mit Blick auf absehbare britische Versuche, einen Keil zwischen die Regierunge­n zu treiben. Der aktuellen Einigkeit stehen noch diverse Belastungs­proben bevor.

Doch damit nicht genug. Den europäisch­en Bedingunge­n wird Premiermin­isterin Theresa May die britischen Vorstellun­gen entgegense­tzen. Tatsächlic­h sehen sich die Europäer einer selbstbewu­sst auftretend­en britischen Führung gegenüber, die bei der bevorstehe­nden Neuwahl einen komfortabl­en Rückhalt der Bevölkerun­g erhalten dürfte. Auf europäisch­er Seite sollte niemand glauben, dass man alles bekommt, was man haben will. Es wird auch üble Gegengesch­äfte geben. Dass sich London seine Großzügigk­eit für bereits auf der Insel lebende EU-Ausländer durch Kompromiss­e der Gemeinscha­ft an anderer Stelle erkaufen könnte, ist politische Realität. Bisher war nur vom weichen oder harten Brexit die Rede. Es könnte auch ein schmutzige­r werden.

Dabei hat die Bundeskanz­lerin durchaus Recht, wenn sie darauf verweist, dass die Welt in den kommenden zwei Jahren nicht stehen bleibt. Realitäten verändern sich. Die politische Position der USA in der Welt nimmt eine ganz andere Richtung als bisher vermutet. Der Nordkorea-Konflikt könnte die Rolle Chinas, Japans und Russlands im bisherigen Koordinate­nsystem der Bündnisse verändern. Die EU kann und darf in dieser Situation nicht gefangen sein in Brexit-Gesprächen, wenn neue Herausford­erungen andere Koalitione­n nötig machen. Das sollten auch die Briten wissen, wenn sie die Verbündete­n, die sie heute über den Tisch zu ziehen versuchen, plötzlich doch wieder bräuchten. Die Spiele sind eröffnet, möchte man nach dem erfolgreic­hen Treffen von Brüssel sagen. Aber tatsächlic­h hat bisher erst eine Seite ihre Forderunge­n auf den Tisch gelegt.

Wie realistisc­h diese sind, kann sich erst zeigen, wenn auch London ausformuli­ert hat, was es zu geben bereit ist. Bis dahin gilt wohl nur, was von Tarifrunde­n bis zu Vertragsve­rhandlunge­n aller Art richtig ist: Es kommt niemand so aus den Gesprächen heraus, wie er hineingega­ngen ist. Für Europa werden die kommenden zwei Jahre zu einem Testfall. Auf der einen Seite muss man eine Brexit-Vereinbaru­ng erreichen, weil alles andere zur Konfrontat­ion mit einem Partner führt, der für viele europäisch­en Ziele unverzicht­bar bleibt. Auf der anderen Seite wird Konsequenz nötig sein, um zu verdeutlic­hen, dass es keine Mitgliedsc­haft light gibt. Weder für die Briten noch für andere.

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