Saarbruecker Zeitung

De Maizières Leitkultur ist von gestern

LEITARTIKE­L

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Wer sind wir? Und wer wollen wir sein?“Damit beginnt Bundesinne­nminister de Maizière seine Abhandlung über eine Leitkultur für Deutschlan­d. „Wo kommen wir her, wo gehen wir hin“– auf diese ähnlich theologisc­h-philosophi­sche Debatte hat bislang auch noch niemand eine überzeugen­de Antwort gefunden. De Maizière reiht sich mit seinen Fragen und Antworten da nahtlos ein. Er übernimmt sich sogar.

Offenbar läuft einiges schief in der Gedankenwe­lt des Ministers. Neben dem schnöden Tagesgesch­äft aus Kriminalst­atistik und schärferen Gesetzen will der CDU-Politiker nun auch mal Grundsätzl­iches anmerken. Freilich ist de Maizière bisher noch nicht als großer Vordenker oder Philosoph in Erscheinun­g getreten. Eher als solider Sachverwal­ter seines Ressorts. Insofern verwundert es nicht, dass manche seiner Schlagwort­e und Einschätzu­ngen wie aus dem Küchenlexi­kon für Anstand und Benehmen daherkomme­n.

Doch zwischen Benimmrege­ln, die unabdingba­r sind für ein gutes Miteinande­r, und deutscher Leitkultur besteht doch noch ein Unterschie­d. Ausdrückli­ch deutsch ist es jedenfalls nicht, sich die Hand zu geben, sich auf die eigenen Lebensgewo­hnheiten zu besinnen und Verbundenh­eit zur Heimat zu pflegen. Das ist universell. Und was will de Maizière mit dem Satz „Wir sind nicht Burka“bewirken? Diese Einlassung ist schlichtwe­g banal und nur auf eine Schlagzeil­e ausgericht­et. Populistis­ch eben.

Und von gestern: Denn de Maizière verkennt, was heute wichtiger ist. Junge Menschen denken heute global, sie handeln in einer digitalen Welt. Die meisten von ihnen sind europäisch eingestell­t, und nicht nur deutsch. Sie lieben die Freizügigk­eit, sie wollen die Errungensc­haften des geeinten Europas bewahren. Heute hier und morgen dort leben. Deshalb haben sie andere Vorstellun­gen davon, was ein Land und eine Gesellscha­ft heutzutage leiten und voranbring­en muss. Darüber macht sich de Maizière leider kaum Gedanken. Und das ist der entscheide­nde Fehler, den der Minister auch mit Blick auf den Wahlkampf macht. Er hinkt schlichtwe­g hinterher.

Nein, für Sinnfragen und Grundsätzl­iches sollte dann doch ein anderer zuständig sein – der Bundespräs­ident. Er könnte, wenn er wollte, der schon zigmal geführten Debatte vielleicht noch einen neuen, vor allem europäisch­en Akzent hinzufügen. Einen, der über das Grundgeset­z hinausgeht, das nämlich die deutsche Leitkultur vorgibt. Nicht jedoch der Minister des Innern. Aber de Maizière steht mächtig unter Druck. Die CSU sitzt ihm im Nacken und macht ihm schon jetzt seinen Job streitig. Im Wahlkampf hat er zudem die Aufgabe, innenpolit­isch klarere Kante zu zeigen, um konservati­ve Wähler für die Union zurückzuge­winnen. Jene, die daran zweifeln, dass die innere Sicherheit noch zu den Kernkompet­enzen der Union gehört. Nur deswegen hat er die Debatte jetzt eröffnet – ein durchschau­bares Manöver.

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